Bunte Gebetsfahnen sind in Tibet und im gesamten Himalaya an jedem Bergpass und auf jedem Gipfel zu finden. Sie wehen bis zur Verwitterung im Wind, damit – soe die Überzeugung der tibetischen Buddhisten – die Gebete gen Himmel gelangen. Foto: Wikipedia/Gerd Eichmann/CC BY-SA 4.0

Alternative Heilmethoden liegen im Trend. Viele Patienten vertrauen auf die Kraft sanfter Medizin. In unserer Serie stellen wir Heilmethoden und Therapien der Welt vor.

Stuttgart - Die Tibetische Medizin gehört zu den ältesten Heilsystemen der Welt und wird seit mehr als 3000 Jahren praktiziert. Wie Ayurveda und Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) beinhaltet sie Heilkräuterkunde, Ernährungstherapie und äußerliche Anwendungen.

Geistesgifte und Körperenergien

Als ganzheitliche Medizin strebt die Tibetische Medizin nach dem inneren Gleichgewicht der Kräfte in Körper, Geist und Seele. Seinen Ursprung hat die tibetische Heilkunst im Schamanismus der Bön-Religion, in die buddhistisches und ayurvedisches Gedankengut aufgenommen wurde.

Die Ursachen von Krankheiten liegen nach tibetischer Vorstellung in den drei Geistesgiften Hass, Gier und Ignoranz. Ihnen entsprechen die drei zentralen Körperenergien Galle, Schleim und Wind, die für energetische Zustände stehen. Galle (Tripo) reguliert die Stoffwechselvorgänge. Schleim (Bedgen) ist für alle Körperflüssigkeiten und die Aufnahme der Nahrung verantwortlich. Wind (Lung) kontrolliert physische, psychische und emotionale Aktivitäten.

Fünf Elemente

Die drei Körperenergien manifestieren sich in den fünf Elementen Erde, Wasser, Luft, Feuer und Raum. Sind diese Energien im Gleichgewicht, ist der Mensch gesund. Besteht eine Disharmonie, ist er krank. Bei der Diagnose versucht der Arzt festzustellen, welche der drei Kräfte fehlt und welche dominiert. Hierbei sind Pulsdiagnose, Zungendiagnostik und Urinuntersuchung die wichtigsten Hilfsmittel.

Heilmittel

Die Tibetische Medizin kennt rund 300 Heilmittel, vornehmlich aus pflanzlichen Inhaltsstoffen wie Cascararinde, Langer Pfeffer, Ingwerwurzel, Enzianwurzel oder Rhabarberwurzel. Der Geschmack einer Heilpflanze ist ein wichtiger Indikator für ihre Wirkung.

Sechs Geschmacksrichtungen werden unterschieden: süß, sauer, salzig, bitter, scharf und herb. Für eine Arznei können bis zu 100 verschiedene Substanzen gemischt werden. Bei der Behandlung spielen Ernährungstherapie, Massagen und Akupunktur eine zentrale Rolle. Die Kräuter werden als Pulver, Salbe, Tinktur, Tee oder Pille verabreicht.

Ungleichgewicht der Elemente

Nach tibetischem Verständnis sind viele Krankheiten auf falsche Ernährungs- und Lebensgewohnheiten zurückzuführen. Deshalb sind eine Verhaltensänderung und gesunde Ernährung der erste Therapieschritt. Sollte dies nicht ausreichen, werden Medikamente verschrieben.

Ziel jeder Behandlung ist es, das Ungleichgewicht der Elemente wieder ins Lot zu bringen. Dies kann auch über eine physikalische Therapie wie zum Beispiel heiße und kalte Kompressen, Schröpfen oder mineralische Bäder geschehen.

Fazit: Komplementärverfahren

Gegenüber Ayurveda und TCM führt die Tibetische Medizin allerdings ein Schattendasein. Doch kann sie einen wichtigen Beitrag zur Behandlung von Zivilisationskrankheiten wie Durchblutungsstörungen, Verdauungsbeschwerden oder chronisch-entzündlichen Krankheiten leisten.

Die Tibetische Medizin entstammt einem völlig anderen Lebensumfeld als die westliche Schulmedizin. Als Komplementärverfahren hat sie unbestritten ihre Berechtigung, aber auch ihre Grenzen.