Brennende Barrikaden: Die Wut auf die Regierung entlädt sich Foto:  

Nach dem Verschwinden von 43 Studenten wächst in Mexiko die Wut. Mächtige Drogenkartelle haben Teile des Landes im Griff. Viele Mexikaner haben kein vertrauen mehr in ihren Staat und in ihren Präsidenten.

Iguala - Das Schauspiel wiederholt sich nahezu jede Nacht im Bundesstaat Guerrero: Mal ist es das Regionalparlament, mal sind es Fahrzeuge der Polizei, die in Flammen aufgehen. Aber immer sind es Symbole, die den Staat repräsentieren. Zumindest in Guerrero ist die Wut vieler Menschen auf den völlig unterwanderten Staat, von dem sie sich alleingelassen fühlen, deutlich zu spüren. Das ungeklärte Schicksal der seit dem 26. September in Iguala verschwundenen 43 Studenten bewegt die Mexikaner. Zwar ist nicht das ganze Land in Aufruhr, wie die TV-Bilder vermuten lassen könnten, doch nach den blutigen Jahren des mexikanischen Drogenkrieges scheint sich in breiten Bevölkerungsschichten die Einsicht durchzusetzen, dass sich etwas ändern muss.

Der, der das tun soll, steht selbst am Pranger. Präsident Enrique Pena Nieto muss sich derzeit mit einem Skandal um die Finanzierung seiner Privatvilla herumschlagen. Seit zwei Jahren ist er an der Macht. Unblutige Verhaftungen von prominenten Kartellbossen machten leise Hoffnung, dass er sein Versprechen einlösen würde und mit chirurgischen Eingriffen statt Tausenden von Soldaten die Kämpfe eindämmen könnte, die seit dem Amtsantritt seines Vorgänger Felipe Calderon 2006 und dessen Offensive gegen die Kartelle mehr und mehr eskaliert waren. Doch im Fall der „Los 43“ gab Pena Nieto kein gutes Bild ab. „Zu spät, Präsident, zu spät“, wetterte der Lateinamerika-Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, José Miguel Vivanco, als sich das Staatsoberhaupt zunächst gar nicht und dann zu unsensibel um den Fall kümmerte.

Das Problem, unter dem Mexiko leidet, ist kein nationales: Weltweit steigt der Hunger nach Drogen: Kokain, Marihuana, Heroin, Crack und synthetische Substanzen lassen die Kartelle immer reicher und mächtiger werden. Den größten Gewinn erwirtschaften sie in den USA, in Kanada und Europa. Von dort fließen Milliarden in den Kreislauf der Gewalt, den die mexikanische Gesellschaft auszubaden hat. Die Kartelle – ausgestattet mit prall gefüllten Kriegskassen und einer Skrupellosigkeit, die das Blut in den Adern gefrieren lässt – haben sich wie ein Krake in dem System eingenistet. Politik, Polizei und Justiz sind unterwandert. Daran hat auch der Umstand nichts geändert, dass allein unter Präsident Calderon 20 der 37 meistgesuchten Drogenbosse verhaftet oder erschossen wurden.

„Blei oder Silber“ nennt der mexikanische Priester und Menschenrechtler Alejandro Solalinde die Alternativen. Polizisten, Richter und Politiker hätten die Wahl: Wer kooperiert, kassiert. Wer sich weigert mitzumachen, droht von Killern oder den eigenen Kollegen aus dem Weg geräumt zu werden. Angesichts einer Aufklärungsquote von nicht einmal fünf Prozent drohen den Tätern kaum Konsequenzen. Den größten Teil ihrer Waffen beziehen die Kartelle aus den USA. US-Waffenkonzerne gehören zu den größten Profiteuren des Drogenkrieges, denn die Milliarden, die die Kartelle erwirtschaften, stecken sie in hochmoderne Waffen. Menschenrechtler fordern von der US-Regierung schon seit Jahren vergeblich, die Kontrolle von Waffenlieferungen zu verschärfen.

In den letzten Jahren waren es vor allem konservative Politiker wie der Präsident Guatemalas, Otto Perez Molino, die laut über eine Legalisierung des Drogenhandels nachdachten. Der Drogenmafia müsse der finanzielle Boden unter den Füßen entzogen werden, meint auch Uruguays in wenigen Wochen scheidender linker Präsident José Mujica, der den Staat zum Dealer machen will. In den USA gibt es Bundesstaaten, in denen Marihuana-Konsum inzwischen legal ist. „In Kolumbien müssen wir die Marihuana-Kleinbauern verhaften – und in einigen US-Bundesstaaten zündet sich der Gringo in Ruhe einen Joint an“, lästerte unlängst Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos, der sich in seinem Land mit waffenstrotzenden linken Guerilleros und rechten Paramilitärs herumschlagen muss, die ebenfalls fleißig im Drogenhandel mitmischen.

Das alles funktioniert nur, weil es eine Bankenlandschaft gibt, die offenbar wegschaut, wenn es darum geht, die riesigen Gewinne zu waschen. Völkermord wirft der mexikanische Bischof Raul Vera dem weltweiten Finanzsystem vor, das gierig die Drogenmilliarden aufnimmt, weil es daran erstklassig verdient. Mexiko ist zudem eines der wichtigsten Transitländer für Drogen. Die „Guerreros Unidos“, die zusammen mit der Polizei und dem Bürgermeister Igualas für die Entführung und Ermordung der 43 Studenten verantwortlich sein sollen, waren beispielsweise auf den Drogentransport nach Chicago spezialisiert.

Fast 100 000 Menschen sind seit Beginn des Drogenkriegs gestorben, Zehntausende werden vermisst. Ein Ende der Gewalt ist nicht absehbar. Die Kartelle wird Mexiko nicht alleine besiegen können. Nicht nur, weil das Drogengeschäft längst ein globales ist, sondern auch, weil Mexikos Kartelle mittlerweile so mächtig sind, dass sie die Demokratien Mittelamerikas destabilisieren.