In einem Seminar an der Universität Heidelberg wurde im Wintersemester erprobt, ob Hausarbeiten durch Wikipedia-Einträge mit wissenschaftlichem Hintergrund ersetzt werden können. Foto: dpa

Mehrere Hausarbeiten pro Semester – für Studenten und Seminarleiter eine Zumutung? Dozenten der Universität Heidelberg haben sich in einem Seminar etwas Neues einfallen lassen: Dort reichen Wikipedia-Einträge als Leistungsnachweis.

Heidelberg - Das klingt für Studenten – besonders der geisteswissenschaftlichen Studiengänge – fast zu schön, um wahr zu sein: Keine nervige Hausarbeit am Ende des Semesters, die bis zu 30 Seiten lang sein muss, sondern ein wissenschaftlicher Wikipedia-Eintrag, der als Leistungsnachweis ausreicht. An der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg war das im Wintersemester in einem Zusatzangebot zu einem Seminar möglich.

Dieses hieß: „(Schreib-)Maschinen und Gesellschaft: Philosophische und soziologische Perspektiven auf ‚Neue Medien‘ und ihre Technik“. Philosophiedozent Christian Vater und Friederike Elias vom Max-Weber-Institut für Soziologie leiteten das Seminar.

Austausch mit der Wikipedia-Community

In einer dazugehörigen Arbeitsgemeinschaft wurden die Studenten im Umgang mit der Online-Enzyklopädie Wikipedia und ihren Spielregeln geschult. „Ich korrigiere auch sehr gerne Hausarbeiten und sie sind im Studium wichtig. In dieser Arbeitsgemeinschaft ging es aber darum, dass die Studenten lernen, sich ein Thema mit der Literatur aus der Bibliothek zu erschließen und es im Austausch mit der Wikipedia-Community zu erarbeiten“, erklärt Philosophiedozent Christian Vater. So erfuhren die Studenten, wie ein wissenschaftlicher Wikipedia-Eintrag recherchiert, veröffentlicht und vor der Online-Community verteidigt wird, bevor er veröffentlicht werden kann. Denn die User schauen sich die Berichte vorab sehr genau an, machen Anmerkungen und Korrekturen. Nicht das Schreiben des Eintrags, sondern die Auseinandersetzung mit den Wikipedianern vor Veröffentlichung sei die eigentliche Arbeit für die Stundenten gewesen.

Einen solchen Eintrag zu verfassen, sei laut Vater praxisnah und erleichtere es den Studenten später einmal zum Beispiel Essays zu verfassen, deren Thesen man ebenfalls in einer wissenschaftlichen Öffentlichkeit verteidigen müsse. Zudem seien die Macher der ehrenamtlichen Plattform Wikipedia für die wissenschaftliche Fortschreibung mancher Themen dankbar.

Online-Liste mit Themenvorschlägen

Wie schwierig ist es aber, ein Thema zu finden, das es noch nicht auf Wikipedia gibt? Momentan gibt Wikipedia an, dass weltweit rund 41 Millionen Artikel in etwa 291 Sprachen verfügbar sind. In Deutsch wurden bis zu zwei Millionen Beiträge veröffentlicht. „Es ist gar nicht so schwer, es gibt online eine Liste mit Vorschlägen aus der Wikipedia-Gemeinschaft, in der man sich ein Thema heraussuchen kann“, sagt Vater. Aber auch bestehende Themen fortzuschreiben und zu aktualisieren sei ein Bestandteil der Übung gewesen.

Einer der Studenten aus Vaters Seminar hat ein Thema gefunden, das es im deutschsprachigen Wikipedia so noch nicht gab. Er verfasste einen Beitrag über den amerikanischen Technik-Philosophen Langdon Winner. „Sein Ziel war es, einen als ‚lesenswert’ bewerteten Bericht zu veröffentlichen. Das hat der Student geschafft“, schildert Vater. Der Bericht war nach dem Urteil der Community so fundiert, dass er von den Wikipedianern vor der Veröffentlichung mit diesem Prädikat für andere Leser sichtbar versehen wurde. Eine Glanzleistung – der Dozent ist dementsprechend stolz auf den Text seines Studenten. Das hat allerdings auch vier Monate Zeit gekostet – viel Aufwand für die Studenten.

Dennoch wurden die Wikipedia-Einträge aus der freiwilligen Arbeitsgemeinschaft noch nicht benotet. „Das ändern wir aber im kommenden Semester, dann bieten wir eine Übung an, in der die Studierenden erneut Artikel schreiben“, sagt Vater. Er hofft darauf, dass die Teilnehmer aus dem vergangenen Wintersemester auch weiterhin an ihren Berichten arbeiten. Ziel sei es aber auch, die Erfahrungen an andere Kollegen weiterzugeben.

Ein Nebeneffekt der Arbeitsgemeinschaft war auch, dass die geisteswissenschaftlichen Studenten die Wiki-Software und das Programmieren kennengelernt haben. Etwas, das im Studium sonst eher weniger Thema ist. „Zudem erhalten sie einen Blick hinter die Kulissen der unsichtbaren Technologien; was passiert hinter dem Interface?“