Sie will Kurs halten – Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nicht vor, sich dem Druck aus den Reihen der Fraktion zu beugen. Foto: dpa-Zentralbild

Sie schreiben und streichen und mildern ab. Sie fordern Kurskorrekturen und streiten um Methoden – die Abgeordneten der Unionsfraktion im Bundestag sind aufgewühlt.

Berlin - Politik funktioniert nicht wie das richtige Leben. In der Politik kann man nämlich eine Antwort auf einen Brief erhalten, den man noch nicht einmal abgeschickt hat. Heute geht ein Schreiben aus den Reihen der Unionsfraktion im Bundestag an die Kanzlerin ab. Darin wird sie zu einer „Änderung der bisherigen Zuwanderungspraxis“ aufgefordert.

Portosparend hat die Kanzlerin schon am Montag den Regierunssprecher mitteilen lassen, „dass sie eine ganz klare Agenda von nationalen und europäischen Aufgaben habe“. Wer Zweifel darüber haben mochte, wie das gemeint ist, konnte von Generalsekretär Peter Tauber Interpretationshilfen erhalten. „Als CDU“ sei man der Überzeugung, dass sich die großen Herausforderung „nur europäisch lösen lässt“. Das war noch nicht alles. Parteivize Armin Laschet schrieb dem Merkel-Kritikern gleich noch ins Stammbuch, „dass man diesen Kurs durchhält“. Man solle nicht über einen Plan B reden. Denn: „Der Plan A muss jetzt umgesetzt werden.“

Der Brief landet heute dennoch im Briefkasten des Kanzleramtes. Er ist sozusagen das bislang letzte Kapitel einer kleinen Geschichte des Widerstands. Auf dem Bundesparteitag waren diejenigen, die eine Rückkehr zu einem nationalen Grenzregime gefordert hatten, krachend gescheitert. In der vergangenen Woche kursierte dann ein Text, von dem sich Merkel-Kritiker wie die baden-württembergischen Abgeordneten Christian von Stetten (Hohenlohe) oder Ingo Wellenreuther (Karlsruhe) erhofften, er könne in der Fraktion zur Abstimmung gestellt werden. Dazu war es aber nicht gekommen. Nicht zuletzt deshalb, weil sich in der Unionsfraktion eine Gegenbewegung formierte, die sich dagegen stemmte, eine Spaltung der Fraktion in dieser Frage offenkundig zu machen. So fand ein Schreiben des brandenburgischen Abgeordneten Martin Patzelt viel Unterstützung, der an die Kritiker appellierte, „die Folgen eines kurzschlüssigen und erkennbar kaum nachhaltigen politischen Handelns zu bedenken“. Der Kernsatz lässt die Härte erahnen, mit der gerade in der Bundestagsfraktion gekämpft wird: „Kraftakte gegen die Richtlinienkompetenz unserer Kanzlerin, seien sie durch persönliche Frustrationen in der Abgeordnetenbiografie oder wegen persönlich gegensätzlicher Auffassungen einem Ohnmachtsempfinden geschuldet, werden letztlich uns allen schaden.“

Zur erhofften Eintracht hat das nicht geführt. Nun also ein Brief an die Kanzlerin. Allerdings in einer recht weich gespülten Version. In einer härter formulierten ersten Fassung, wesentlich inspiriert durch Wolfgang Bosbach, schloss der Brief mit einer handfesten Drohung im Falle eines merkelschen Weiter so: „Für diesen Fall halten wir es aus unserer parlamentarischen Verantwortung für notwendig, in der Fraktion hierüber eine Abstimmung herbeizuführen.“

Dagegen hatten nicht zuletzt die beiden CDU-Innenpolitiker aus dem Südwesten, Armin Schuster und Clemens Binninger, denen auch im merkelfreundlichen Lager durchweg ehrenwerte Motive unterstellt werden, vehementen Einspruch eingelegt. Nun schließt der Brief ohne Drohung, in der Sache aber gleichwohl unmissverständlich: „So sehr wir die Auffassung vertreten, dass Deutschland selbstverständlich seinen humanitären, verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen muss, so sehr vertreten wir auch die Auffassung, dass wir unser Land und unsere Gesellschaft nicht überfordern dürfen.“ ;Man stehe aber vor einer „Überforderung unseres Landes“. Schlusssatz: „Deshalb halten wir eine Änderung der derzeitigen Zuwanderungspraxis – aus humanitären Gründen – durch die Rückkehr zur strikten Anwendung des geltenden Rechts für dringend geboten.“ Bis in die Abendstunden wurden am Montag Unterschriften gesammelt. Eines zeichnete sich allerdings frühzeitig ab. Das einmal angestrebte Ziel, bis zu einem Drittel der Fraktionskollegen hinter dem Text versammeln zu können, wird scheitern. Nach Recherchen unserer Zeitung lagen bis gestern abend rund 50 Unterschriften vor. Allerdings haben alle maßgeblichen Innenpolitiker unterzeichnet.

In der Sache teilen viele in der Fraktion die Sicht. Sie stören sich eher am Instrument. Ihr Argument: Statt den inneren Konflikt öffentlich zu machen, sollte man sich lieber mit der politischen Konkurrenz, vor allem der SPD beschäftigen, die längst in den „Wahlkampfmodus geschaltet“ habe.

Tatsächlich hat SPD-Chef Gabriel der Kanzlerin den massiven Vorhalt gemacht, sich „aus der Verantwortung für eine nachhaltige Integration zu verabschieden“.Die CDU ihrerseits eröffnete eine neue Debatte. Zur Eindämmung der Flüchtlingszahlen aus Marokko, Algerien und Tunesien will sie die drei Länder zu sicheren Drittstaaten erklären. Das beschloss der Vorstand am Montag. Überhaupt rückt der Umgang mit den nordafrikanischen Staaten immer mehr ins Zentrum der Debatte. Ein Aspekt: Soll man diesen Staaten die Entwicklungshilfe kürzen, wenn sie abgelehnte Asylbewerber nicht zurücknehmen wollen? SPD-Chef Gabriel finden das eine gute Idee. Am Montag erntete er Widerspruch beim zuständigen Fachminister Gerd Müller (CSU). Wer dort Berufsprojekte stoppen wolle, produziere Hoffnungslosigkeit statt Perspektiven.

Auch die CSU hat ein neues Thema entdeckt. Die Landtagsfraktion hat sich dafür ausgesprochen, Zuwanderer in der bayerischen Landesverfassung zur Achtung der deutschen Leitkultur zu verpflichten – zur Not mittels Volksentscheid. In schöner Kontinuität mit der CSU-eigenen Leitkultur in Sachen Umgangston unter den beiden Unionsparteien machte nun übrigens Edmund Stoiber bekannt, was er auf dem jüngsten Treffen in Kreuth der Kanzlerin zugerufen habe: „Du machst Europa kaputt.!“