Im großen Senat der Neuen Aula simulieren 40 Studenten der Universitäten Tübingen, Heidelberg und Hohenheim eine Generalversammlung der Vereinten Nationen Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Sie werden da verhandeln, wo sonst echte UN-Diplomaten sitzen: 18 Tübinger Studierende reisen ins Hauptquartier der Vereinten Nationen. Mit einer Probekonferenz bereiten sie sich auf die weltweit größte Simulation der UN-Generalversammlung vor.

Tübingen - Die Redezeit soll nicht mehr als 60 Sekunden betragen. Da sind sich die meisten Nationen einig. Das ist allerdings auch schon die schnellste Übereinkunft, zu der die 40 Delegierten an diesem Freitagmorgen bei der „Tübingen Model United Nations“ kommen werden. Alles weitere wird dauern.

Die Konferenz im großen Senat der Neuen Aula ist so etwas wie eine Generalprobe für die 18 Studierenden der Uni Tübingen. Als Delegierte der Republik Chile werden sie im März zusammen nach New York reisen. Und im Hauptquartier der Vereinten Nationen für die Interessen ihres Staates einstehen – als Teil der „National Model United Nations“, der weltweit größten Simulation der UN-Generalversammlung mit insgesamt rund 5000 Studierenden.

„Der Einigungsprozess ist spannend“

Im großen Senat sitzt Sandra Klaft für Peru an einem der dunklen Pulte. Die 23-Jährige absolviert den Master Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Tübingen. Die Teilnahme an der Simulation kann sie für ihr Studium anrechnen lassen. Das ist allerdings nicht der Grund, aus dem Klaft an dem Planspiel teilnimmt. „Während meines Bachelorstudiums in Göttingen habe ich schon einmal bei einer ähnlichen Simulation mitgemacht“, sagt sie. „Ich finde den Einigungsprozess zwischen den Nationen spannend.“

Bei der Konferenz in Tübingen, zu der auch die Delegationen der Universitäten Hohenheim und Heidelberg eingeladen sind, müssen sich diese zunächst einmal auf eines der folgenden Themen einigen: Soll erst darüber geredet werden, wie die Aufnahmeländer von Flüchtlingen gestärkt werden können? Über Menschenrechte und den Klimawandel? Oder über Massenvernichtungswaffen?

Klaft stimmt für den Klimawandel: „In Peru leiden bereits sehr viele Menschen unter klimatischen Veränderungen: In den Wüstenregionen herrscht Dürre, in den Gletscherzonen schmelzen die Eisflächen.“ Für ihre Rolle hat Klaft viel recherchiert: Hat Peru schon Reden zu den jeweiligen Themen gehalten? Welche Verträge hat die UN geschlossen? Was muss noch gemacht werden? In New York wird sie dann als Teil des Umweltkomitees am Rednerpult stehen.

Tübingen nimmt zum 20. Mal an der Simulation teil

An der Simulation im UN-Hauptquartier nimmt die Universität Tübingen bereits zum 20. Mal teil. Der Politikwissenschaftler und Hochschullehrer Volker Rittberger initiierte das Planspiel 1997 für Studierende, die sich für internationale Diplomatie interessieren. Seit 2012 ist Bettina Ahrens für die Delegation verantwortlich. Zu Beginn des Wintersemesters wählt die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der politischen Fakultät 18 Teilnehmer aus etwa 50 Bewerbern aus. „Das Projekt ist interdisziplinär“, sagt Ahrens. „Politikwissenschaftler, BWL-Studenten und Juristen nehmen teil, aber auch Sprachwissenschaftler, Soziologen, Philosophen.“

Mit einem Workshop und einem Seminar werden die zukünftigen Delegierten auf ihre Aufgabe vorbereitet. Sie erhalten Rhetorik- und Verhandlungstrainings, sie lernen von der Geschichte und Außenpolitik Chiles und der Vereinten Nationen. „Die Studierenden sollen wissen: Was simulieren wir hier eigentlich?“, sagt Ahrens unserer Zeitung.

Nun sitzt die Politikwissenschaftlerin als Vorsitzende im großen Senat der Neuen Aula und ruft die Nationen einzeln auf. „Australia? Germany? Israel?“ Allesamt anwesend. Nur wenige Delegierte fehlen – der Platz von Polen etwa bleibt frei an diesem Tag. Bei der Tübinger Generalprobe vertritt jeweils ein Student die Interessen eines Staates.

In Genf treffen die Studierenden auf UN-Diplomaten

Alexander Orlowski nimmt die Position Ghanas ein. Die westafrikanische Republik wählte der 23-jährige Soziologiestudent, um die Perspektive zu wechseln. „Afrika ist auf der Weltbühne nicht übermäßig vertreten“, sagt er. Eine diplomatische Karriere könnte sich Orlowski für seine berufliche Laufbahn gut vorstellen. „Ich habe mich immer schon für internationale Politik interessiert“, sagt er. „Die Simulation gibt mir die Chance, in dieses Feld hineinzuschnuppern.“

Bevor sie ab dem 20. März fünf Tage lang mit den anderen Delegationen in New York debattieren, werden die Tübinger Studenten in zwei Wochen in Genf auf UN-Diplomaten treffen. „Eines der Highlights des Projekts“, sagt Orlowski während einer kurzen Pause.

„Wenn sich alle Nationen einigen, ist das ein großer Schritt“

Die formellen und informellen Sitzungsperioden wechseln sich im Laufe der Verhandlungen ab: Auf die Kurzreden einzelner Delegierter folgen Unterbrechungen, in denen sich Kleingruppen sammeln, um ihre jeweilige Position zu stärken. Bis 15.30 Uhr sollen sie Arbeitspapiere erarbeiten, über die später abgestimmt werden wird. Ziel ist es, am Ende des Tages ein gemeinsames Papier auf den Weg zu bringen.

Doch der Weg dahin ist weit, die Beweggründe der Nationen unterschiedlich. „Manchmal ist es sehr frustrierend, sich für etwas einzusetzen und es nicht zu erreichen“, sagt Klaft. Umso faszinierender findet sie, wenn eine gemeinsame Resolution zustande kommt: „Wenn alle Nationen an einem Tisch sitzen, sich auf etwas einigen: Das ist schon ein großer Schritt.“