Die Mieter im Wohnheim an der Daimlerstraße klagen über Kakerlaken und Ratten in den Häusern. Foto: Julia Barnerßoi

In einem privaten Wohnheim tauchen laut den Bewohnern immer wieder Kakerlaken und Ratten auf. Der Vermieter engagiert trotzdem keinen Kammerjäger mehr. Er sagt, die Beseitigung sei Sache der Mieter. Der Mieterverein sieht das anders.

Bad Cannstatt - Dominik Franke hat vor die Ritze unter seiner Zimmertür einen winzigen Zaun aus Klebeband gebaut. Er soll die Mitbewohner in der Wohngemeinschaft von seinem Schlafgemach fernhalten. Allerdings nicht die fünf Studenten, mit denen er gerne im privaten Wohnheim an der Daimlerstraße lebt, sondern die unerwünschten vier- und sechsbeinigen Mitbewohner: Ratten und Kakerlaken.

„In der Verzweiflung kommen einem viele Ideen“, sagt der 25-jährige Student über den klebrigen Zaun. Seit viereinhalb Jahren wohnt er in dem 2007 zum Wohnheim umgebauten Haus. Jedes Frühjahr kämpfe die wechselnde WG-Belegschaft seither mit beziehungsweise gegen Schaben. „Und zwar so große“, sagt Franke und zeigt einen Abstand von zwei Zentimetern zwischen Daumen und Zeigefinger. Kürzlich habe er sogar eine in seiner Wäsche-Schublade entdeckt. Und seiner Mitbewohnerin Célia Kaiser sei im Badezimmer eine Schabe über den Fuß gekrabbelt, wie sie angeekelt erzählt. Die Studenten in den Wohnungen über und im Haus neben ihnen würden dasselbe berichten. Es könne also nicht an ihrem Lebenswandel liegen.

Neben dem Köder liegt eine tote Schabe. Foto: Barnerßoi

Die Krabbeltiere sind laut den Studenten nicht das einzige Problem. In den Wänden würden zudem Ratten hausen, man höre sie besonders abends scharren und fiepsen. Bis die Bewohner ein Loch in der Wand hinter der Küchenzeile verschlossen hatten, sei sogar zweimal ein Tier in die Wohnung gelangt. Mehrmals sei der Kammerjäger gekommen und habe den Befall dokumentiert, berichtet Dominik Franke. Das sei aber zwei Jahre her. Seither bezahle der Vermieter den Experten in Sachen Ungeziefer nämlich nicht mehr. „Er sagt, die Beseitigung sei unsere Sache“, erzählt Franke. Was die Studenten am meisten ärgert: Trotz der Beschwerden habe der Vermieter vergangenes Jahr sogar die Miete angehoben.

Der Vermieter kritisiert die Sauberkeit des Treppenhauses

Jörg Nusser ist überrascht von den Vorwürfen seiner Mieter. Einfach deshalb, weil er in der Vergangenheit gar keine Klagen mehr gehört habe. „Ich dachte, die Sache hat sich erledigt“, sagt der Geschäftsführer einer Systembau-Firma. Er verweist darauf, dass er den Kammerjäger über einen langen Zeitraum bezahlt habe, obwohl es im Mietvertrag anders geregelt sei. Zudem habe er einen Schreiner finanziert, der jegliche Öffnungen, durch die Ratten ins Haus kommen könnten, verschlossen hat, er habe außerhalb des Hauses einen Raum für die Lagerung der Gelben Säcke eingerichtet, die Gullys im Hof mit feinmaschigen Gittern versehen und sogar einmal das Treppenhaus auf eigene Kosten reinigen Lassen, obwohl auch dies Sache der Mieter sei – beim Sauberkeitsstatus der Stiegen könnten sich Schädlinge nämlich durchaus wohlfühlen, findet er. Seiner Meinung nach habe er aus Vermietersicht alles getan.

Not macht erfinderisch: der Klebenband-Zaun. Foto: Barnerßoi

Mietrechtlich ist das nicht ganz richtig, weiß Angelika Brautmeier, die Geschäftsführerin des Mietervereins Stuttgart. Egal ob Ameisen, Schaben, Ratten oder auch Tauben – so eine Mangelbeseitigung sei „grundsätzlich Aufgabe des Vermieters“, sagt die Expertin. Ein entsprechender Paragraf im Mietvertrag sei „als Formularklausel unwirksam“. Die einzige Handhabe für einen Vermieter wäre es, Kosten für Handwerker oder Kammerjäger über die Betriebskosten abzurechnen – das ginge aber nur, wenn es sich um eine regelmäßige Maßnahme handle und im Vertrag geregelt werde. Jörg Nusser ist diese Info neu. Er verweist darauf, dass er seine Mietverträge stets nach Vorlagen des Haus- und Grundbesitzervereins erstelle.

Auch eine städtische Kita ist im Haus

Auch die Stadt Stuttgart mietet Räume in dem Gebäude an der Daimlerstraße. Im zweiten Obergeschoss ist eine Kindertagesstätte mit eigenem Eingang im Hinterhaus. Dort gebe es das Schabenproblem nicht, sagt Bruno Pfeifle, der Leiter des städtischen Jugendamts. Vor zwei Jahren seien Ratten aufgetaucht, die wurde die Einrichtung nach dem Besuch eines Kammerjägers aber schnell wieder los. Bezahlt hat das die Stadt selbst. Sie habe sich laut Jörg Nusser auch nie über die Klausel im Mietvertrag beschwert. Das bestätige ihn in seiner Meinung.

Die Studenten wiederum bestätigen, dass sie sich in jüngster Zeit nicht mehr beim Vermieter beklagt hätten, da sie resigniert hätten. Alle Bitten oder auch Drohungen, die Miete zu kürzen, seien im Sand verlaufen. Dominik Franke sieht nur noch eine Lösung. Obwohl er besonders die Lage des Wohnheims sehr schätze, will er vor der nächsten Schabenwelle im kommenden Frühjahr ausziehen.