Lucas Federhen (links) und Gerd Richter spielen Patrick und seinen ungeborenen Bruder Foto: jes

In Kristo Sagors Stück geht es um das schwierige Thema pränatale Diagnostik, trotzdem wird bei der Premiere von „Patricks Trick“ im Jes viel gelacht. Die Idee des Theaterautors, ungeborenes Leben auf der Bühne sichtbar zu machen, geht auf.

Stuttgart - Er brüllt. Wälzt sich auf dem Bühnenboden, windet sich, zuckt – und hört nicht auf zu brüllen. Gerd Ritter spielt Patricks kleinen Bruder. Und der wird behindert sein. Schon vor seiner Geburt entwickelt das Kind enorme Kräfte, Lebenskräfte. „Ich will nicht sterben“, sagt es in einem leisen Moment.

Pränatale Diagnostik heißt die Methode, die ermöglicht, Krankheit oder Behinderung eines Ungeborenen zu benennen. Welche Kümmernisse damit verbunden sind, das erzählen Lucas Federhen und Gerd Ritter in vielen Rollen. Denn was Mutter und Vater dem elfjährigen Patrick (Lucas Federhen) zu verbergen suchen, das muss ihr Sohn im Dialog mit dem besten Freund, dessen Boxtrainer, einer Marktfrau, der Deutschlehrerin, einem Professor und seinem nicht geborenen Bruder herausfinden: Was bedeutet es, behindert zu sein?

Eine Idee, die zu Herzen geht

Es ist die großartige, zu Herzen gehende Idee des Theaterautors Kristo Sagor, ungeborenes Leben auf der Bühne sichtbar zu machen. Sagor führt erstmals auch Regie und inszeniert das Stück aus der Perspektive eines Elfjährigen. Lucas Federhen spielt Patrick mit wachem Blick. Nicht eine Minute lässt er gedanklich von seinem Bruder ab, der in der Realität die Winzigkeit von wenigen Zentimetern misst und sich mit überbordender Energie Lebensrecht verschafft.

Es wird viel gelacht am Premierenabend. Zu komisch sind die Einfälle des Autors, überwältigend komödiantisch das Spiel der beiden Schauspieler im Kapuzen-Shirt. Da muss Ritter als Professor auf fast nackter Bühne, ein übergroßer Tisch mit Schublade ist das einzige Requisit, unter die Tischplatte kriechen, um seine Kauzigkeit zu erklären. „Nein“, sagt der Professor, er könne Patrick nicht helfen, das müsse er schon selber tun.

Dann drückt Federhen seinem Kollegen in blitzschnellem Rollenwechsel die Schublade in die Hand – die Figur der Deutschlehrerin mit Aktentasche ist geboren. Und die sagt – milde lächelnd - behindert zu sein, sei eine Art von Normalität: „Wenn zwei Menschen sich begegnen, ist immer Magie im Spiel.“ Dann wird die hölzerne Schublade zum Computer, an dem Patrick sich über Trisomie informiert. Denn diese Diagnose ist nun sicher. Ein fast surrealer Augenblick gelingt, als Federhen eine Bühnentür öffnet und im gleißenden Licht kurz Beethovens „Freude schöner Götterfunken“ ertönt – ein Hoffnungsmoment. Aber was wird Patrick tun, wenn sein Bruder nie sprechen lernt?

Viele Fragen, viele Antworten. Keiner, der Patrick sagen kann, wie es wirklich werden wird mit einem behinderten Bruder. Doch als der so wahnsinnig brüllt, reagiert Patrick spontan: Er packt seinen Bruder, besänftigt ihn, singt „Guten Abend, gut Nacht“ - eine berührende Herzensgeste in diesem unsentimental inszenierten Spiel. Kristo Sagor bekam für „Patricks Trick“ den Baden-Württembergischen Jugendtheaterpreis 2014. Am Samstag wurde das Ensemble ebenfalls mit frenetischem Beifall belohnt.

Nächste Aufführungen am 2. und 3. Dezember, jeweils um 11 Uhr.