Ab 39 Millionen Spermien pro Ejakulation Foto: Oscar Navarro / Fotolia

Unfruchtbarkeit wird oft als weibliches Problem gesehen - das ist falsch. Deutschlands führende Männerärztin Sabine Kliesch über Gründe für männliche Infertilität, den richtigen Testosteronwert und die Therapien für Männer mit Kinderwunsch.

Frankfurt -

Wie häufig liegt die Ursache für einen unerfüllten Kinderwunsch beim Mann?
Früher dachte man, dass die Fruchtbarkeit Sache der Frau ist. Auch heute ist es noch häufig so, dass die Frau komplett untersucht ist, bevor der Mann zum Arzt geht. Umgekehrt ist es eher selten. Dabei liegt der Grund für Infertilität genauso oft beim Mann wie bei der Frau.
Woher weiß man, an wem es liegt?
Die WHO definiert die Fertilitätsstörung des Mannes ab weniger als 15 Millionen Spermien pro Milliliter oder ab 39 Millionen Spermien pro Ejakulation. Wenn diese Werte unterschritten werden, kann das ein Hinweis sein, dass auf männlicher Seite ein Fruchtbarkeitsproblem besteht. Das bedeutet aber nicht, dass dieser Mann keine Schwangerschaft auslösen kann. Sehr wichtig ist die Vorwärts-Beweglichkeit der Spermien - diese müssen die Eizellen selbst finden.
Trotz Millionen von Spermien kann es manchmal nicht für eine einzige Befruchtung reichen?
Es kann sogar sein, dass alle Werte normal sind und das Paar trotzdem nicht schwanger wird, zum Beispiel weil Antikörper im Ejakulat sind. Normalerweise werden diese durch die Blut-Hoden-Schranke abgehalten, aber zum Beispiel durch Entzündungen können sie diese Barriere manchmal überwinden. Wenige stören nicht, aber wenn 50 Prozent der Spermien mit Antikörpern behaftet sind, verklumpen die Samenzellen. Das ist dann ein Fertilitätshindernis.
Was kann man dagegen tun?
Man kann nur versuchen, die Entzündung, die dem zugrunde liegt, zu bekämpfen, z.B. durch die gezielte Gabe von Antibiotika gegen die Bakterien, die in einer Samenkultur nachgewiesen wurden. Man kann auch versuchen, durch Aufreinigung des Ejakulates die Antikörper „herauszuwaschen“ und das gereinigte Ejakulat dann für eine künstliche Befruchtung verwenden.
Was ist die häufigste Ursache für männliche Unfruchtbarkeit?
10 bis 15 Prozent der betroffenen Männer hatten einen Hodenhochstand als Kind. Die Hoden werden während der Schwangerschaft nahe der Niere des Babys gebildet und wandern in der Regel vor der Geburt in den Hodensack. Bei drei Prozent der Knaben ist mindestens ein Hoden nach der Geburt nicht dort angekommen. Im Körper ist es zu warm für den Hoden, wenn der Hodenhochstand nicht innerhalb des ersten Lebensjahres korrigiert wird, drohen irreparable Schäden in den Spermienvorläuferzellen. Weitere zehn Prozent der Patienten in der Kinderwunschsprechstunde haben genetische Störungen, wie das Klinefelter-Syndrom, Veränderungen auf dem Y-Chromosom, und verschiedene andere Chromosomen-Schäden. Das sind häufig die schwersten Störungen der Samenzellproduktion.
Können Männer mit diesen Schäden Vater werden?
Selbst, wenn keine Spermien im Ejakulat sind, ist das prinzipiell möglich. Bei der Hälfte dieser Männer finden wir mit mikrochirurgischen Verfahren Spermien im Hoden - und jedem Mann, bei dem wir ein Spermium finden, können wir eine Therapie anbieten. Durch die intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) kann ein Spermium unter dem Mikroskop mit einer Eizelle verschmolzen werden.
Gibt es auch Männer, die zu wenig Testosteron im Blut haben, um ein Kind zeugen zu können?
12 Prozent aller Kinderwunschpatienten haben einen niedrigen Testosteron-Wert, auch wenn sie davon nichts oder nur wenig merken. Man darf kein Testosteron von außen geben, weil der Hoden dann seine eigene Testosteronproduktion einstellt und damit auch die Spermienproduktion. Stattdessen spritzen wir entweder die fehlenden Steuerungshormone, LH und FSH, die dafür sorgen, dass Testosteron und Spermien gebildet werden. Oder wir stimulieren durch andere Medikamente, so genannte Antiöstrogene die Testosteronproduktion, was nur über kurze Zeit möglich ist, da diese Präparate mehr Nebenwirkungen haben und nicht für diesen Zweck zugelassen sind.
Ist die Psyche ein wichtiger Faktor?
Es ist klar, dass ein enormer Druck entsteht, wenn Paare Sex nach Terminkalender haben und es trotzdem nicht klappt mit einer Schwangerschaft. Wir erleben manchmal, dass bei Paaren, die die Kinderwunschtherapie beendet haben, spontan eine Schwangerschaft eintritt. Oder wir untersuchen den Mann, finden keinen Grund für eine Infertilität - und nach dieser Diagnose wird die Frau schwanger. Wenn man dagegen sagen muss, dass etwas nicht normal funktioniert, erhöht man den psychischen Druck. Gerade, wenn der unerfüllte Kinderwunsch länger besteht, ist es ratsam, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Kann der Lebenswandel zu Infertilität beim Mann führen?
Rauchen ist ein echtes Fertilitätsproblem - bei Paaren, die sich einer künstlichen Befruchtung unterziehen, ist die Chance für eine Schwangerschaft bei Rauchern um 50 Prozent schlechter als bei Nichtrauchern Für Alkohol gibt es keine sicheren Erkenntnisse. Ich vermute aber eine negative Wirkung - indirekt, weil er das Hormonsystem stört. Auch Drogenkonsum ist schädlich.
Auch, wenn er zehn Jahre vor dem Kinderwunsch war?
Durchaus, weil Drogen in Dosierungen verwendet werden, die extrem über dem liegen, was für den Körper normal wäre. Marihuana oder Heroin zum Beispiel führen nicht nur zu einer Schädigung des Hodens, sondern legen quasi das gesamte Hormonsystem lahm. Auch Anabolika-Missbrauch ist schädlich für die Hoden.
Welche Rolle spielt Ernährung?
Eine ausgewogene Ernährung ist sicher sinnvoll, aber es gibt keine Daten, die etwa besagen, dass viel Gemüse besonders gut ist für die Spermienqualität. Bei Männern allerdings, die sehr viel Körperfett haben, ist oft der Hormonhaushalt und damit auch die Samenzellbildung gestört.
Nahrungsergänzungsmittelhersteller werben offensiv, dass ihre Produkte die Spermienqualität verbessern - stimmt das?
Ich habe nichts dagegen, wenn ein Patient ein solches Präparat nimmt. Aber ich rate nicht dazu, denn es gibt keine Studien, die den Nutzen klar belegen. Eine ausgewogene Ernährung ist wahrscheinlich genauso gut.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, als Mann mit eingeschränkter Spermienqualität noch ein Kind zu zeugen?
Das unterscheidet sich sehr stark je nach Ursache. Wenn Spermien vorhanden sind, aber ihre Zahl und Beweglichkeit reduziert ist, helfen oft Medikamente, so genannte Antiöstrogenen, zum Beispiel der Wirkstoff Tamoxifen. Er erhöht die Testosteron- und Spermienproduktion. In der Samenprobe kann man die guten von den schlechten Samenzellen trennen. Wenn es gelingt 5 bis 10 Millionen bewegliche Spermien zu isolieren, kann man dem Paar eine Insemination anbieten. Dabei bringt ein Arzt das aufgereinigte Sperma in die Gebärmutter ein. Die Chance durch eine Insemination schwanger zu werden, besteht bei 10 bis 15 Prozent.