Einer von acht tödlichen Unfällen 2015 in Stuttgart: Ein Motorradfahrer verunglückt in der Pragstraße Foto: 7aktuell/Reichert

Drei Motorradfahrer, drei Pkw-Insassen, zwei Fußgänger: Acht Menschen sind letztes Jahr auf den Straßen Stuttgarts ums Leben gekommen. Eigentlich wenig – und doch viel mehr als im Rems-Murr-Kreis oder im Landkreis Esslingen.

Stuttgart - Der 47-jährige Motorradfahrer hat scheinbar freie Fahrt. Gut eine halbe Stunde vor Mitternacht ist die mehrspurige Pragstraße in Bad Cannstatt wie leer geräumt, da kann man mit seiner Maschine schon mal etwas flotter unterwegs sein. Doch das setzt voraus, dass auch andere nicht nachlässig werden. Ein 25-jähriger BMW-Fahrer wechselt in dieser Oktobernacht die Fahrspur nach rechts – und übersieht den Yamaha-Fahrer im toten Winkel. Der wird gegen eine Hauswand geschleudert und stirbt auf dem Asphalt.

In der Stadt, mit niedrigen Geschwindigkeiten, vielen Staus und noch mehr Tempo-30-Zonen, drohen tödliche Unfälle eigentlich eher den Fußgängern. So war es zumindest in der jüngsten Vergangenheit. Viele unterschiedliche Verkehrsmittel, Straßenbahnen, breite Fahrbahnschneisen und große Verkehrsanlagen: „Besonders ältere Menschen sind da schnell überfordert“, stellten Experten wie der Stuttgarter Verkehrspolizeichef Roland Haider fest.

Doch 2015 ging für die Fußgänger eher glimpflich ab. Zwei Tote gab es, beide hatten jeweils die Stadtbahn übersehen. In der Steinhaldenstraße in Steinhaldenfeld war es im Mai ein 79-Jähriger, in der Schlossstraße im Stuttgarter Westen traf es wenige Tage vor Heiligabend einen 41-Jährigen.

Blick auf Motorradfahrer

Haiders Blick dürfte nun eher wieder den Motorradfahrern gelten. Drei von acht Unfalltoten waren Zweiradpiloten. Anfang März starb ein 74-Jähriger in Degerloch in einer Linkskurve der Heinestraße. Seine Maschine rutschte weg, der Mann prallte gegen ein Verkehrszeichen und erlitt tödliche Verletzungen. Im Mai traf es eine 58-jährige Motorroller-Fahrerin ebenfalls in Degerloch, als sie in der Jahnstraße von einem entgegenkommenden Linksabbieger übersehen wurde.

Ein typischer Unfallhergang, der auch schon 2013 den Stuttgarter Polizeipräsidenten Thomas Züfle das Leben kostete, als er bei einem Motorradausflug im Kreis Calw von einem abbiegenden Autofahrer übersehen wurde.

„Motorradfahrer als Unfallopfer haben landesweit die Unfallstatistik belastet“, sagt ein Sprecher des Innenministeriums, „und im Jahr 2015 sieht es nicht besser aus.“ Genaues will er nicht sagen. Aber nach Informationen unserer Zeitung gab es in Baden-Württemberg erneut mehr als 100 Todesopfer unter Motorradfahrern. Zum Vergleich: 2013, dem Todesjahr des Stuttgarter Polizeichefs, waren es landesweit 85 tödlich Verunglückte.

73 Unfälle pro Tag in Stuttgart

In Stuttgart war jeder dritte Unfalltote ein Motorradfahrer – im Land ist es jeder vierte bis fünfte. Damit stellen die Easy Rider die größte Opfergruppe, neben den Pkw-Insassen. Zwei Autofahrer und eine Beifahrerin kamen in Bad Cannstatt, in Stuttgart-Ost und im Stadtteil Giebel ums Leben.

Der Blutzoll ist freilich relativ. Die Zahl der Verkehrsunfälle in Stuttgart erreichte 2015 den höchsten Wert der letzten 30 Jahre. Etwa 26 700 Unfälle sind statistisch 73 pro Tag. Bei diesen Größenordnungen ist die Steigerung von fünf auf acht Unfalltote in Stuttgart noch ein niedriges Niveau – verglichen damit, dass Anfang der 70er Jahre in einem Jahr 123 Tote zu beklagen waren.

Lichtblicke in den Landkreisen

Andererseits gab es in Stuttgart doppelt so viele tödlich Verletzte wie im großen Flächen-Landkreis Esslingen. Vier registrierte Tote sind ein Tiefstwert. Aber auch hier: Es traf zumeist Zweiradfahrer. Ein 53-jähriger Motorradfahrer starb in Ostfildern-Ruit, ein 21-Jähriger in Leinfelden-Echterdingen. Nach einem gesundheitlichen Notfall eines Autofahrers zwischen Nürtingen und Owen gab es einen toten und zwei schwer verletzte Motorradfahrer.

Nicht nur im Kreis Esslingen, auch in den anderen Landkreisen rund um Stuttgart ging die Zahl der Verkehrstoten zurück. Das ist der einzige Lichtblick in einer ansonsten düsteren Bilanz. Wenn Innenminister Reinhold Gall demnächst die neue Statistik vorstellt, wird er von knapp fünf Prozent mehr Unfällen landesweit berichten müssen, von knapp 309 000 Karambolagen. Und von 483 Verkehrstoten im Land. Damit verloren 17 Menschen mehr als im Jahr davor ihr Leben auf den Straßen.