Der dritte Unfall des Tages: Ein Auto kracht in der Neckarstraße gegen eine Stadtbahn Foto: Fotoagentur Stuttgart

Was ist denn mit den Autofahrern auf Stuttgarts Straßen los? Seit November häufen sich die Kollisionen mit Stadtbahnen – und allein am Dienstag haben gleich drei Autofahrer das Schienennetz erheblich lahm gelegt. Woran liegt es?

Stuttgart - Die 64-jährige Fahrerin aus dem Rems-Murr-Kreis ist offenbar verunsichert, als sie am Dienstag gegen 8.50 Uhr in der Neckarstraße im Stuttgarter Osten Richtung Innenstadt unterwegs ist. Auf Höhe der Sedanstraße will sie zunächst geradeaus weiterfahren, glaubt dann aber, schnell auf die andere Seite zu müssen. Sie biegt mit ihrem VW Tiguan nach links über die Gleise ab. Doch für Linksabbieger zeigt die Ampel Rot. Und neben ihr im toten Winkel ist eine Stadtbahn unterwegs. Es kracht.

Ein typischer Unfall, der sich in den vergangenen Tagen häuft. Beim Abbiegen über die Gleise nicht aufgepasst. Die 64-jährige VW-Fahrer hat noch Glück. Sie bleibt unverletzt. Auch in der Stadtbahn kommen keine Fahrgäste zu Schaden. Es bleibt bei 25 000 Euro Blechschaden. Auch die Fahrgäste zahlen ihren Preis: Die Linien U 1, U 2 und U 14 sind bis gegen 10 Uhr unterbrochen, auch danach stimmt der Takt der gelben Züge nicht mehr.

Kurz zuvor krachte es im Westen

Viele Fahrgäste müssen sich zwischen Stöckach und Mineralbädern zu Fuß auf den Weg machen. Der Takt im Schienennetz stimmt an diesem Dienstagmorgen allerdings auch andernorts schon lange nicht mehr. In der Schlossstraße im Stuttgarter Westen hat es gegen 8.10 Uhr bereits einen ähnlichen Unfall gegeben. Ein 29-jähriger VW-Fahrer ist Richtung Innenstadt unterwegs und will verbotenerweise nach links über die Gleise in die Silberburgstraße abbiegen. Dabei übersieht er die neben ihm fahrende Stadtbahn der Linie U 2. Die Kollision ist heftig. Nicht nur der 29-jährige Verursacher wird verletzt – auch zwei Fahrgäste in der Stadtbahn stürzen.

Die Betroffenen im Alter von 49 und 55 Jahren werden leicht verletzt und vom Rettungsdienst an der Unfallstelle versorgt. Der Schaden beträgt etwa 10 000 Euro. Der Stadtbahnverkehr mit den Linien U 2 und U 9 ist in beiden Richtungen unterbrochen.

Aber auch die morgendlichen Berufspendler, die mit den Linien U 4 und U 13 unterwegs sind, haben an diesem Dienstag wenig Freude. Im Bereich der Haltestellen Wasenstraße und Inselstraße landet ein Autofahrer gegen 5.30 Uhr im Gleisbett der Stadtbahn. Bis das Hindernis beiseite geräumt ist, kommt es zu Verspätungen.

Die Häufung – ein Zufall?

Da steckt der Wurm drin. „Wir haben mehr als 50 Fahrten registriert, die ausgefallen oder verspätet unterwegs gewesen sind“, sagt Birte Schaper, Sprecherin der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB). Die Häufung der Unfälle nennt sie eher zufällig. „Ohne Aufmerksamkeit und gegenseitigen Respekt ist die Teilnahme am Verkehr halt immer mit Risiken behaftet“, erklärt die Sprecherin.

Das ist in diesem Herbst offenbar besonders der Fall. Seit Mitte Oktober gab es 13 Pkw-Kollisionen mit Stadtbahnen, davon allein neun seit November. Dabei wurden 14 Menschen leicht verletzt, der Schaden summiert sich auf mehr als 250 000 Euro. „Ein Grund für diese Unfallhäufung ist zunächst nicht zu erkennen“, sagt Polizeisprecher Thomas Geiger, „mit der Witterung ist dies jedenfalls nicht zu begründen.“ Es habe auch schon Schönwetterperioden mit einer Vielzahl von Unfällen gegeben. „Es gibt halt einfach mal so Tage“, sagt Geiger.

„Es gibt immer eine legale Wendemöglichkeit“

Unfallprävention ist bei solchen scheinbaren Zufälligkeiten schwerlich möglich. Ein Grundproblem freilich hat die Polizei erkannt: Dass Autofahrer, die nach links abbiegen wollen, entlang von Stadtbahnstrecken oft von Kreuzung zu Kreuzung vertröstet werden – und es dann irgendwann unter Missachtung aller Vorsichtsmaßnahmen probieren. Die Polizei dazu in ihrem Bericht zur Unfalllage: „Es gibt aber immer eine legale Wendemöglichkeit, die in zumutbarer Entfernung liegt und auf die oftmals mit Verkehrszeichen hingewiesen wird.“

Das hätte sich auch ein unbekannter Mercedes-Fahrer hinter die Ohren schreiben sollen, der am Sonntag in der Schwabstraße unvermittelt wendete und den Stadtbahnfahrer zu einer Gefahrenbremsung zwang. Der Autofahrer fuhr zwar ungeschoren auf und davon – zurück blieben aber zwei Fahrgäste, die verletzt behandelt werden mussten.

Was die Statistik zu Stadtbahn-Unfällen verrät

74 Prozent der Unfälle mit Stadtbahnen werden von Autofahrern und anderen Fahrzeugführern verursacht. Das Nichtbeachten der Vorfahrt, Fehler beim Abbiegen und unachtsame Wendemanöver sind dabei die Hauptursachen.

92 Unfälle im vergangenen Jahr im Bereich der Stuttgarter Straßenbahnen sind eine deutliche Steigerung gewesen – ein Trend für dieses Jahr liegt noch nicht vor. In mehr als der Hälfte der Fälle hat es Verletzte gegeben.

17 Millionen Kilometer legen die Stadtbahnen jährlich auf dem Schienennetz zurück. 92 Unfälle sind da relativ gesehen eher wenig.

50 Verletzte: Bei dieser Zahl handelt es sich nicht etwa um Fußgänger oder Autofahrer, sondern um die Insassen in der Stadtbahn. Dabei trifft es vornehmlich die Fahrgäste, in sechs Fällen waren Stadtbahnfahrer mit leichten Verletzungen selbst betroffen. Leichtsinnige Autofahrer gefährden also nicht nur sich selbst.

231 Kilometer lang ist das Schienennetz in Stuttgart, auf dem 17 Stadtbahnlinien verkehren und 203 Haltestellen bedienen.

Zehn Kilometer des gesamten Schienennetzes sind in Straßenfahrbahnen eingebettet – ansonsten rollt die Stadtbahn auf einem eigenen Bahnkörper. Auf diesen zehn Kilometern spielen sich also die gefährlichen und unfallträchtigen Begegnungen mit dem Auto ab.

Der Januar ist der unfallträchtigste Monat des vergangenen Jahres gewesen – mit zwölf Unfällen. Der November 2014 war mit sieben Unfällen eher Mittelmaß. Keine gute Prognose: Im Dezember steigen die Unfallzahlen meistens an.