Der Flüchtlingszustrom nach Deutschland war im Januar geringer als noch im Dezember. Foto: dpa

Die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Ausländer in Baden-Württemberg ist in den vergangenen drei Monaten stark gestiegen. Darauf will Grün-Rot nun reagieren.

Stuttgart - Die baden-württembergische Landesregierung will die Standards für die Unterbringung, Betreuung und Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern (UMA) senken. Nach Informationen unserer Zeitung soll in der Kabinettssitzung an diesem Dienstag ein Papier verabschiedet werden, das den 46 Jugendämtern und allen freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe im Südwesten deutlich mehr Flexibilität und „operative Erleichterungen“ bei der Unterbringung von männlichen Flüchtlingen zwischen 16 und 18 Jahren einräumt. So soll unter anderem die maximale Gruppengröße in einer Einrichtung von derzeit sechs auf acht Jugendliche erhöht werden.

UMA werden im Rahmen der Jugendhilfe untergebracht

Mit der neuen Grundlage reagiert das Land auf die in den vergangenen drei Monaten deutlich gestiegene Zahl von jugendlichen Asylbewerbern. Nach Angaben des Kommunalverbands Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) gab es Anfang November 52.869 UMA in Deutschland, davon 3977 im Land. Binnen drei Monaten kletterten die Zahlen auf bundesweit 68.064 Minderjährige, die ohne ihre Eltern nach Deutschland gekommen sind. Knapp 6400 von ihnen leben nun im Südwesten. Sie alle seien bisher im Rahmen der gewöhnlichen Kinder- und Jugendhilfe und damit nach den dafür geltenden Kriterien untergebracht, sagte eine KVJS-Sprecherin unserer Zeitung. Dafür seien die Angebote in den vergangenen Monaten „stark ausgebaut“ worden. Trotzdem drohen viele öffentliche und freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe schon bald ihre Kapazitätsgrenzen zu erreichen.

Die neuen, von Grün-Rot noch zu beschließenden Eckpunkte sollen vorerst bis zum 30. Juni dieses Jahres gelten und zumindest vorübergehend Entlastung bringen.

Bundesfamilienministerium: Keine verschwundenen Flüchtlingskinder in Deutschland

Dass alleinreisende Flüchtlingskinder in Deutschland vor der Unterbringung durch die Jugendämter verschwunden sein könnten, hält das Bundesfamilienministerium für unwahrscheinlich. Die Bundesregierung habe keine Hinweise darauf, dass dem so sein könnte, sagte ein Sprecher. Am Sonntag hatte ein Sprecher der europäischen Polizeibehörde Europol gesagt, dass mindestens 10.000 UMA in den vergangenen 18 bis 24 Monaten nach ihrer Ankunft in Europa verschwunden seien. „Ein Teil der Kinder könnte sich mittlerweile bei Verwandten aufhalten“, sagte der Europol-Sprecher. Der andere Teil könne „Opfer von Missbrauch“ oder „potenziell gefährdet“ sein.

Die Bundespolizei gab derweil bekannt, dass im Januar fast 64 700 Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Im Schnitt waren das 2086 Personen pro Tag – deutlich weniger als im Dezember, als noch mehr als 3000 Menschen pro Tag in die Bundesrepublik einreisten. Auch in Baden-Württemberg ging die Zahl deutlich zurück, wie das Integrationsministerium in Stuttgart unserer Zeitung mitteilte. Etwa 15 200 neue Flüchtlinge wurden im Januar registriert – das sind rund ein Drittel weniger als im Dezember. Von einer Entspannung der Lage kann aus Sicht des Integrationsministeriums jedoch keine Rede sein.

Im Januar 2016 mehr als dreimal so viele neue Flüchtlinge als im Januar 2015

Im Vergleich zu 2015 beginnt 2016 auf sehr hohem Niveau, was den Flüchtlingszustrom angeht: Im Januar wurden mehr als dreimal so viele Flüchtlinge im Südwesten registriert wie im Januar des Vorjahres. In den ersten sieben Monaten des vergangenen Jahres waren die Zugangszahlen aus heutiger Sicht relativ moderat. Ab August, vor allem aber ab September schossen die Zahlen in bislang ungeahnte Höhen. Da das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) überfordert ist, können viele Asylbewerber erst nach Wochen ihren Antrag stellen. Im Januar waren es im Land rund 8500. Hochgerechnet auf das ganze Jahr, entspräche das einem Zustrom von rund 100.000 Menschen – das wären so viel wie 2015. Experten befürchten allerdings, dass der Flüchtlingsstrom wieder anschwillt, wenn es wärmer wird.