„Ein guter Nachhaltigkeitsbericht bringt Vorteile im Kampf um die besten Arbeitskräfte“, ist Christine Weizsäcker, Biologin und Präsidentin des europäischen Ökologie-Netzwerks Ecoropa, überzeugt. Foto: Lichtgut / Oliver Willikonsky

Große Unternehmen müssen ab diesem Geschäftsjahr einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen. Der Mehraufwand lohne sich, sagt die Umweltaktivistin Christine von Weizsäcker. Firmen haben damit eine bessere Chance, die Besten einer Generation zu bekommen.

Stuttgart - Was kann ein Nachhaltigkeitsbericht, den börsennotierte Unternehmen künftig veröffentlichen müssen, bewirken? Und sind Aktien von Unternehmen, die Nachhaltigkeitsberichte veröffentlichen, auch immer eine nachhaltige Geldanlage?

Antworten auf diese Fragen kommen von zwei ausgewiesenen Experten. Christine von Weizsäcker und Ulf Doerner haben sich seit vielen Jahren dem Thema Nachhaltigkeit verschrieben. Von Weizsäcker ist Biologin und Präsidentin des europäischen Ökologie-Netzwerks Ecoropa und nimmt als solche an den Umwelt- und Nachhaltigkeitsverhandlungen der Vereinten Nationen teil. Ulf Doerner, Ingenieur und Unternehmensberater, ist Mitglied des Club of Rome, einem weltweiten Zusammenschluss von Wissenschaftlern, der sich für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit einsetzt.

Das Gespräch findet in den Räumen der Bethmann Bank statt, die unweit des Staatsministeriums in Stuttgart in eleganter Halbhöhenlage einen Standort hat. Seit 2011 hat die Bank für ihre vermögenden Privatkunden, die in nachhaltige Kapitalanlagen investieren wollen, einen vierköpfigen Nachhaltigkeitsbeirat ins Leben gerufen, dem von Weizsäcker und Doerner angehören.

Mit der gesetzlichen Vorschrift für börsennotierte Unternehmen, Kreditinstitute und Versicherungen, einen Nachhaltigkeitsbericht zu veröffentlichen, setzt Deutschland eine europäische Richtlinie um. Die Unternehmen müssen künftig nicht nur ihre finanzielle Lage darlegen, sondern auch, wie nachhaltig sie wirtschaften, wie sie mit begrenzten Ressourcen umgehen und wie sie ihre gesellschaftliche Verantwortung gegenüber Kunden, Mitarbeitern und Zulieferern wahrnehmen.

Einheitliche Standards für die Berichte gab es bisher nicht

Zahlreiche Unternehmen veröffentlichen schon seit Jahren entsprechende Berichte. Einheitliche Standards gab es dafür nicht. „In der Vergangenheit war nicht jeder Nachhaltigkeitsbericht sein Geld wert“, sagt Doerner. Jetzt gebe es Leitlinien, die international zur Nachhaltigkeitsberichterstattung entwickelt wurden. Unternehmen haben einen Fahrplan aufzustellen, in dem sie beschreiben, was sie tun, um dem Leitbild gerecht zu werden. Sie sollen auch begründen, weshalb sie Nachhaltigkeitsmaßnahmen, die geplant waren, nicht umgesetzt haben.

Ziel ist, die Berichte der Unternehmen transparent und vergleichbar zu machen. Doch auch künftig haben Unternehmen Spielräume. „Aber das wird sich mit der Zeit wegen des Wettbewerbs einschleifen“, ist Doerner überzeugt.

Der entscheidende Vorteil der gesetzlichen Verpflichtung liegt für Christine von Weizsäcker in der Aufmerksamkeit, den die Veröffentlichung der Nachhaltigkeitsberichte erfahren wird: „Die Nachhaltigkeitsberichte führen zur Wiederholung von bestimmten Worten und Gedanken.“ Bewusstseinswandel, betont die Biologin, habe auch mit Wiederholungen zu tun. „Wenn jedes Jahr ein Bericht vorgelegt werden muss, hat das eine ganz andere Wirkung, als wenn es sich um eine Eintagsfliege handelt.“Aus ihrer Sicht erzielt ein guter, überprüfbarer Nachhaltigkeitsbericht noch eine andere, nicht zu vernachlässigende Wirkung: „Die Unternehmen haben damit eine bessere Chance, die Besten einer Generation zu bekommen.“ Die Logik dahinter: Unternehmen, die den Nachhaltigkeitskriterien entsprechen, entwickeln auch nachhaltige Innovationen, und „das ist ein Anreiz für die jungen Nachwuchskräfte“.

Auch bei Anlegern hat das Thema Nachhaltigkeit Konjunktur. Nachhaltige Geldanlagen wie beispielsweise Nachhaltigkeitsfonds werden immer beliebter. Die Bethmann Bank etwa bietet ihrer Kundschaft Vermögensverwaltungsmandate mit der Ausrichtung Nachhaltigkeit an. Der Beirat ist dabei kein Feigenblatt, sondern hat ein Vetorecht – was für von Weizsäcker Voraussetzung war, um mitzumachen. „Ich hätte auch etwas anderes zu tun, als einem Green- washing-Gremium anzugehören.“

Investments in Glücksspiel, Rüstung und Pornografie ausgeschlossen

Der Beirat hat strenge Kriterien, in welchen Branchen ein Investment ausgeschlossen ist. Dazu zählen beispielsweise Atomenergie, Tabak, Glücksspiel, Rüstung und Pornografie. Aber es gibt auch Grauzonen, um die im Beirat heftig diskutiert wird. „Ein Atomkraftbetreiber ist ausgeschlossen“, sagt Doerner. „Das ist für uns nicht nachhaltig. Ein Netzbetreiber, der Strom durchleitet, ist investierbar.“ Obwohl da auch Atomstrom durchläuft, wie von Weizsäcker einräumt. „Die Frage ist, nützt es dem Übergang von hier nach dort.“

Die Beiratsmitglieder verstehen Nachhaltigkeit als einen Prozess. „Wir arbeiten nicht eine Checkliste ab“, sagt von Weizsäcker. „Über die Auswahl von nachhaltigen Kapitalanlagen wollen wir diejenigen fördern, die innovativ sind und Nachhaltiges umsetzen.“ Dabei gilt es oftmals genau abzuwägen, wie das folgende Beispiel zeigt: Über zwei Milliarden Menschen weltweit haben keinen Zugang zu trinkbarem Wasser. „Die Technologie, mit der man aus Dreckwasser Trinkwasser aufbereiten kann, ist hervorragend“, sagt Doerner. „Sie kann aber auch zur Ausstattung von Soldaten verkauft werden.“ In solchen Fällen schaut sich der Beirat den Umsatzerlös in dem Rüstungsbereich an. Liegt er unter zehn Prozent, ist das Investment zulässig.

Manchmal ist die Entscheidung auch glasklar. „Wir kaufen keine Staatsanleihen von einem Land, in dem die Todesstrafe legal ist“, sagt Doerner. US-amerikanische Titel sind damit ausgeschlossen.

Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit sind kein Widerspruch, sagen die beiden Experten. „Wer nachhaltig agiert“, so ihre Erfahrung, „der vermeidet Risiken – und das zahlt sich am Ende aus.“