Zahlreiche Denkmäler wurden Otto von Bismarck gewidmet. Hier zu sehen ist das Denkmal im Alten Elbpark in Hamburg - das weltweit größte Standbild des ersten deutschen Reichskanzlers Foto: Fotolia/kameraauge

Der Reichgründer ist bis heute umstritten, lernen kann man von dem Realpolitiker dennoch – aus seinen Erfolgen und Fehlern.

„Es ist ein Glück, dass wir ihn los sind“, schrieb der Dichter Theodor Fontane, als er von Bismarcks Entlassung als Reichskanzler erfuhr. Ganz anders die Reaktion im Ausland. „Deutschland mit Bismarck war eine klar zu bestimmende Größe. Deutschland ohne ihn ist ein Problem“, kommentierte die russische Zeitung „Novoje Wrema“. Reaktionär und Revolutionär, Kriegstreiber und Friedenspolitiker, Reichsgründer und Dämon der Deutschen: Das Urteil über Otto von Bismarck fällt noch immer gespalten aus.

Am 1. April jährt sich der Geburtstag des Eisernen Kanzlers zum 200. Mal. Eine Sonderbriefmarke ist ihm sicher, Gedenkmünzen werden geprägt, neue Denkmäler in Auftrag gegeben und die alten auf Hochglanz poliert. Zugleich werden wieder Stimmen laut, die Bismarck als Wegbereiter Hitlers und Ahnherr des deutschen Militarismus brandmarken.

Gerecht wird man Bismarck jedoch weder mit Heroisierung noch Dämonisierung. Dafür ist seine Person zu vielschichtig, werden die dramatischen Veränderungen, die das 19. Jahrhundert mit sich brachte, zu wenig berücksichtigt. Genauso wenig wie die Entwicklungen, die Bismarck in seinen Jahren auf der politischen Bühne durchlebte und die aus dem erzkonservativen Junker einen Realpolitiker machten, der – zwar stets konservativ und der Krone treu ergeben – frei von Dogmen agierte. Wodurch er seine politischen Freunde nicht selten heftiger vor den Kopf stieß als seine Gegner. Alternativlos war in Bismarcks Politik nichts, selbst wenn er über Blut und Eisen schwadronierte.

Er galt als germanischer Heros

Wurde Bismarcks Abgang in Deutschland mit Erleichterung aufgenommen, galt er wenig später schon wieder als germanischer Heros. Doch mit jedem neuen Denkmal verschwand Bismarck immer mehr hinter Granit und Eisen, wurde aus „dem auf Ausgleich bedachten Diplomaten die Ikone eines rabiaten Nationalismus“, wie der Historiker Eberhard Kolb schreibt: „War diese Mythisierung schon vor 1914 fatal, so erst recht nach 1918, als die politische Rechte Bismarck hemmungslos für ihren Kampf gegen Republik und Demokratie vereinnahmte.“

Die nationalsozialistische Propaganda, die Adolf Hitler als legitimen Nachfolger Bismarcks feierte und das Erbe Preußens und Bismarcks auf den preußischen Leutnant und den böhmischen Gefreiten reduzierte, versetzte der historischen Figur des Reichsgründers schließlich den Todesstoß.

Bismarck selbst hat sich wenige Jahre vor seinem Tod besorgt gezeigt, wie ihn die Nachwelt beurteilen würde, und er behielt Recht. Da half auch die Veröffentlichung seiner geschönten „Gedanken und Erinnerungen“, um die sich die Leute damals prügelten, herzlich wenig.

Im Gegenteil. Je nach politischer Couleur wurden passende Zitate aus seinen Reden und Schriften gerissen. Etwa „Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt“ – anfangs, um Deutschlands aggressive Außenpolitik zu rechtfertigen, später, um Bismarck als Wurzel allen Übels dazustellen. Dass dem martialisch wirkenden Ausspruch noch der Halbsatz „und die Gottesfurcht ist es schon, die uns den Frieden lieben und pflegen lässt“ folgte, wurde von Linken wie Rechten unterschlagen.

Gründung Deutschlands 1871 erschütterte Gleichgewicht der Mächte

Doch ein Urteil, das auf Gesinnung beruht statt auf historischen Fakten, verstellt den Blick auf die Lehren, die man aus Bismarck ziehen kann – aus seinen Erfolgen, mehr noch aber aus seinen Fehlern und Niederlagen.

Historische Vergleiche wirken stets bemüht, weil Voraussetzungen und Umstände so verschieden sind, und ein Aufpfropfen der eigenen Werte auf vergangene Epochen zu nichts führt. Und doch lohnt ein Blick in die Geschichtsbücher. Denn der Konflikt, den Bismarck schon damals zu vermeiden suchte, beschäftigt Europa bis heute.

Noch immer sind die Wunden der beiden Weltkriege nicht verheilt, wie der Streit um deutsche Reparationszahlungen an Griechenland oder den Genozid an den Armeniern zeigt, noch immer werden neue geschlagen, wie in der Ukraine. Der Balkan sei ihm nicht die Knochen eines pommerschen Grenadiers wert, hatte Bismarck erklärt. Welch’ Ironie, dass ausgerechnet das Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo Europa 1914 in den Abgrund stürzen ließ.

Die Gründung Deutschlands 1871 erschütterte das Gleichgewicht der Mächte . In drei Kriegen hatte Bismarck aus der zerstückelten Mitte des Kontinents, die Jahrhunderte Schlachtfeld der Großmächte gewesen war, einen Nationalstaat geschaffen, den er mit Hilfe eines komplizierten Bündnissystems bewahren wollte. Deutschland sei „saturiert“, sprich gesättigt, erklärte er den besorgten Nachbarn. Dass Bismarck in einer Zeit des überschäumenden Nationalismus die Ängste der Nachbarn im Blick hatte, dürfte auch heute Politikern zu denken geben.

Bis zuletzt mahnte er, das neue Deutsche Reich dürfe „nicht die Rolle des Mannes spielen, der, kürzlich zu Geld gekommen, auf die Taler in seiner Tasche pocht und jedermann anrempelt“. Eine Warnung, die aktueller kaum sein könnte: Ganz gleich, ob man Russland oder der USA Säbelrasseln vorwirft, oder die Worte auf das Auftreten mancher Politiker im Zuge der Griechenland-Krise bezieht.

Kulturkampf beschwerte Deutschland Zivilehe

Man hat Bismarck oft den Vorwurf gemacht, dass er durch die Eingliederung Elsass-Lothringens ins Deutsche Reich die Erbfeindschaft zu Frankreich befördert habe – während er nach dem Sieg über Österreich den siegestrunkenen König noch davon abgehalten hatte, im Triumphzug durch Wien zu marschieren.

Bismarck war sich des Problems bewusst. Jahre später klagte er: „Kein Franzose hätte es den Deutschen gedankt, wenn sie auf Landerwerb verzichtet hätten, und die bloße Tatsache, dass sie Sieger gewesen, hätte genügt, das Rachebedürfnis lebendig zu erhalten.“ Eine müde Rechtfertigung, die daran erinnert, dass es von Vorteil sein kann, sein Handeln nicht nach der öffentlichen Meinung auszurichten. Denn ein Frieden à la Bismarck war dies wohl eher nicht.

Gegen Katholizismus und Sozialdemokratie

Aufschlussreich ist auch ein Blick auf Bismarcks Innenpolitik, und dabei vor allem auf den Kampf gegen die Katholische Kirche und die Sozialdemokratie. Der Kulturkampf ist wahrlich kein Ruhmesblatt: Durch die Reichsgründung war aus dem protestantischen Preußen das konfessionsgespaltene Deutschland geworden.

Bismarck hatte es auf einmal mit katholischen Untertanen zu tun, die er von fremden Mächten gesteuert wähnte und deren Loyalität er sich nicht sicher zu sein glaubte. Vor allem, nachdem der Papst 1870 seine eigene Unfehlbarkeit verkündet hatte. Das klingt seltsam vertraut in Zeiten, in denen praktisch wöchentlich junge Deutsche gen Syrien reisen, um einer menschenverachtenden, als Religion verkleideten Ideologie zu folgen, die keinen Widerspruch duldet.

Gleichwohl bescherte der Kulturkampf Deutschland die Zivilehe, die staatliche Kontrolle über die Schulen und trug maßgeblich zur Trennung von Kirche und Staat bei. Auch dies Themen, die bis heute aktuell sind. Ähnlich verhält es sich mit Bismarcks Kampf gegen die Sozialdemokratie, in dessen Verlauf sozialistische und sozialdemokratische Organisationen verboten wurden – was praktisch einem Parteiverbot gleichkam.

Wohltaten verteilt, um die Arbeiter zu bestechen

Die Kritik an seinem drakonischen Vorgehen ist gerechtfertigt. Nichtsdestoweniger schuf er mit seiner Politik von „Zuckerbrot und Peitsche“ eine Sozialgesetzgebung, die damals ihresgleichen suchte und bis heute in Grundzügen besteht. Er führte die Kranken- und Unfallversicherung ein, legte den Grundstein für die Rentenversicherung, und machte so die Sozialfürsorge zur Aufgabe des Staates. Alles Dinge, um die Deutschland bis heute viele beneiden. Unter anderem US-Präsident Barack Obama, der für eine gesetzliche Krankenversicherung kämpft, die von der republikanischen Opposition abgelehnt wird, da sie die Eigenverantwortung einschränke – und in ihren Augen fast schon sozialistisch ist.

Bismarck hätte vermutlich herzhaft gelacht ob so viel Ignoranz. Denn die Wohltaten verteilte er in erster Linie, um die Arbeiter zu bestechen und die SPD zu schwächen, gleichwohl sah er die Notwendigkeit, die immer größer werdende Arbeiterschaft wirtschaftlich abzusichern – und war damit seiner Zeit weit voraus.

Die Zeiten haben sich geändert, die Probleme sind oftmals die gleichen. Das wiedervereinigte Deutschland sucht bis heute seine Rolle in Europa, noch immer gibt es Ängste vor einer deutschen Hegemonie. Da kann es kaum schaden, einen Blick auf den Mann zu richten, dem es zumindest knapp 20 Jahre gelungen ist, Deutschland in Zeiten der Krise als verlässlichen Partner zu positionieren.

Bismarck gilt als begnadeter Redner, doch wählte er seine Worte mit Bedacht, auch wenn sie am Ende schroff wirkten. „Folgen Sie meinem Rate und meinem Beispiel, trinken Sie eine Flasche Champagner und essen Sie ein paar Dutzend Austern dazu, und ich bin überzeugt, dass Ihnen die Weltlage sofort in einem weit rosigeren Lichte erscheinen wird“, riet er einst einem besorgten Mitarbeiter. Ob es in Zeiten knapper Kassen Champagner und Austern sein müssen, sei dahingestellt. Vielleicht reicht auch eine Flasche Trollinger oder Riesling, um sicher zu stellen, dass erst gedacht wird und dann geredet.