Der Einsatz von Glyphosat in der Landwirtschaft ist umstritten: Umweltschützer fordern schon lange ein Verbot, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält den Wirkstoff für wahrscheinlich krebserregend. Foto: dpa

Die Glyphosat-Industrie erhöht im Streit um das Unkrautvernichtungsmittel den Druck auf die EU-Kommission und kündigt rechtliche Schritte an. In Deutschland setzt die Branche mit Glyphosat bis zu 90 Millionen Euro Jahr um.

Brüssel - Die Glyphosat-Industrie droht der EU-Kommission mit Schadenersatzforderungen in Milliardenhöhe, sollte der Wirkstoff nicht wieder zugelassen werden. Nach Informationen unserer Zeitung sind bereits im Oktober entsprechende Schreiben von Monsanto und anderen Unternehmen bei der Kommission eingegangen. Die Schreiben enthalten Formulierungen, mit denen darauf hingewiesen wird, dass die Kommission die „Rechtsfolgen“ zu tragen habe, falls es im Zusammenhang mit der Nicht-Zulassung des Wirkstoffes zu „Rechtsverstößen“ komme. Jeder Jurist weiß, was unter dem Begriff „Rechtsfolgen“ zu verstehen ist: Schadenersatzklagen.

Briefe an die Kommission

Eine Kommissionssprecherin bestätigt unserer Zeitung den Eingang der Schreiben: „Wir haben entsprechende Briefe bekommen.“ Sie äußert Verständnis für das Vorgehen der Industrie: Es sei „das gute Recht der betroffenen Unternehmen, ihre Interessen zu verteidigen.“ Die Behörden nehmen die Drohungen offenbar durchaus ernst. Wie zu hören ist, haben die beiden zuständigen Kommissare Vytenis Andriukaitis für Lebensmittelsicherheit und Phil Hogan für Landwirtschaft gegenüber EU-Abgeordneten und im Rat wiederholt auf drohende Klagen der Industrie und unabsehbare finanzielle Folgen hingewiesen.

Unter Juristen werden Schadenersatzansprüche von bis zu 15 Milliarden Euro für möglich gehalten. Dies entspricht etwa dem Beitrag, den Deutschland als größter Nettozahler zum Haushalt der EU im Jahr beisteuert. Das entscheidende Kriterium für die Höhe der Schadenersatzforderungen seien die Umsatzausfälle bei einer Nicht-Verlängerung der Zulassung von Glyphosat, sagen Juristen. Schätzungen gehen davon aus, dass der US-Konzern Monsanto, den der deutsche Konzern Bayer übernehmen möchte und der ursprünglich das Patent auf den Wirkstoff hatte, sowie rund 20 weitere Unternehmen, die billigere Nachahmer-Präparate vertreiben, zusammen in der EU jährlich einen Umsatz von rund eine Milliarde Euro mit Glyphosat-haltigen Unkrautvernichtungsmitteln erzielen.

Die Juristen der Industrie argumentieren, dass rechtlich nichts gegen eine Widerzulassung spricht. Schließlich seien die Zulassungsbehörden der EU, die Agentur für Lebensmittelsicherheit EFSA und die Agentur für Chemikalien ECHA, zu dem Ergebnis gekommen, Glyphosat sei bei korrekter Anwendung für den Menschen unbedenklich. Die Kommission stützt sich ebenfalls auf das wissenschaftsbasierte Zulassungsverfahren. Mit Hinweis auf die Ergebnisse der Behörden heißt es in der Beschlussempfehlung der Kommission für den Ausschuss, der die Wiederzulassung am Donnerstag beschließen sollte: „Daher ist es angemessen, die Zulassung für Glyphosat zu erneuern.“ Glyphosat ist seit langem in der EU zugelassen, die Genehmigung läuft jetzt aber aus. Seit Jahren betreiben die Hersteller die Wiederzulassung. Bei einer Wiedergenehmigung sehen die EU-Vorschriften einen Zeitraum von „höchstens 15 Jahren“ vor. Diesen Zeitraum hatte die Kommission zunächst im Blick. Wegen der anhaltenden Kritik an dem Wirkstoff hat sie dann den Vorschlag für die Wiederzulassung immer weiter reduziert auf zuletzt fünf Jahre. Glyphosat steht im Verdacht, Krebs auszulösen. Die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation WHO war zu dem Schluss gekommen, dass Glyphosat vermutlich Krebs auslösen kann.

Genehmigung läuft Mitte Dezember aus

Wie zu hören ist, hat Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) seine Beamten bereits bei der deutschen Industrie nachfragen lassen, welche Umsätze sie mit Glyphosat macht. Demnach setzt die Industrie jedes Jahr mit dem Unkrautvernichter zwischen 80 und 90 Millionen Euro um. Der Verbrauch schwankt. So sei 2008 mit rund 8000 Tonnen mit Abstand das Jahr mit dem höchsten Glyphosat-Absatz gewesen. 2016 war der Absatz mit 3700 Tonnen dagegen nur halb so hoch.

Das EU-Parlament hat sich im Oktober in einer Resolution, die allerdings keine bindende Wirkung hat, dafür ausgeprochen, die Zulassung noch einmal um fünf Jahre zu verlängern, dann aber endgültig auslaufen zu lassen. Der Agrarexperte der Grünen und Glyphosat-Kritiker, Martin Häusling, glaubt, dass es sich bei den angekündigten Schadenersatz-Forderungen der Industrie um leere Drohungen handelt: „Auch wenn die EU-Agenturen eine Zulassung nahe legen, kann ich einen Rechtsanspruch der Industrie darauf nicht erkennen.“

Die Zulassung für Glyphosat läuft am 15. Dezember aus. Nach mehreren gescheiterten Abstimmungen im zuständigen Ausschuss, der mit Vertretern der 28 Mitgliedstaaten besetzt ist, will die Kommission Ende November noch einmal einen Anlauf unternehmen. Für die Wiederzulassung sind die Stimmen von 16 Mitgliedsstaaten nötig, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Zuletzt hatten 14 Staaten für die Wiederzulassung gestimmt, Deutschland hatte sich enthalten.