Die Bürger der Region rechnen weiterhin mit steigenden Wohnkosten. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Fast zwei Drittel der Menschen mit einem Nettoeinkommen von weniger als 4000 Euro im Monat beurteilen die stetig steigenden Wohnkosten als wirtschaftlichen Nachteil für die Region.

Stuttgart - Befürchten Sie durch die hohen Wohnkosten einen Standortnachteil für die Region Stuttgart? Diese Frage beantworten 56 Prozent der Bürger mit Ja. Und: rund 87 Prozent rechnen mit weiteren deutlichen Steigerungen der Mieten und Immobilienpreise – knapp ein Drittel erwartet sogar Preissteigerungen von mehr als zehn Prozent. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage in der Region Stuttgart. Die Kantar-TNS-Umfrage im Auftrag der Wüstenrot-und-Württembergische-Gruppe liegt unserer Zeitung exklusiv vor.

Die Frage, ob hohe Wohnkosten ein Nachteil für die Region sind, wird je nach Gehalt sehr unterschiedlich beantwortet. Während Menschen mit einem Haushaltsnettoeinkommen bis zu 4000 Euro zu mindestens 63,4 Prozent zustimmen, sehen von den Bürgern mit einem höheren Einkommen nur 42,5 Prozent die Wohnkosten als Problem. Auch in den Kreisen wird die Frage sehr unterschiedlich beantwortet. Während 63,5 Prozent der Stuttgarter und sogar 70,8 Prozent der Esslinger die hohen Wohnkosten als Standortnachteil betrachten, liegt die Zustimmung im Kreis Böblingen nur bei 45,5 Prozent, im Kreis Ludwigsburg gar bei lediglich 40,7 Prozent.

Nur 3,3 Prozent rechnen mit sinkenden Wohnkosten

Die Zukunft auf dem Immobilienmarkt wird von den Bürgern weitgehend einheitlich gesehen. Knapp 87 Prozent rechnen mit weiterhin steigenden Preisen. Lediglich 3,3 Prozent gehen in den kommenden fünf Jahren von sinkenden Wohnkosten aus. Doch bei der Frage nach den Gründen für den erwarteten Preisanstieg liegen die Antworten je nach Einkommen und Landkreis deutlich auseinander. 80,6 Prozent der Bürger glauben, die hohe Attraktivität der Region sei maßgeblich für den erwarteten Preisanstieg. Menschen mit einem Nettoeinkommen von weniger als 1500 Euro im Monat stimmen dieser Aussage jedoch nur zu 48,4 Prozent zu. Demgegenüber liegt die Zustimmung bei den Menschen mit höheren Einkommen bei mindestens 77,9 Prozent. Diejenigen mit mehr als 4000 Euro Haushaltsnetto glauben sogar zu 90 Prozent, dass die Attraktivität der Region für den künftigen Preisanstieg verantwortlich sein wird.

Besonders gering ist die Zustimmung bei der Frage nach der Attraktivität der Region übrigens im Landkreis Göppingen. Hier stimmen dieser Aussage lediglich 59,6 Prozent der Bevölkerung zu.

Die Reaktionen auf die Ergebnisse der Umfrage sind geprägt von der Sorge um den Wirtschaftsstandort und den Zusammenhalt der Stadtgesellschaft. „Es kann und darf nicht sein, dass wichtige Berufsgruppen wie zum Beispiel Polizisten und Pflegepersonal in Stuttgart keine bezahlbare Wohnung mehr finden und deshalb im schlimmsten Fall erst gar nicht mehr bereit sind, hier überhaupt eine Stelle anzutreten“, sagt die Stuttgarter Bundestagsabgeordnete Karin Maag (CDU). Wenn der Wohnungsmarkt heiß laufe, dann müsse die Stadt kreativer und flexibler darauf reagieren und abseits ihrer allgemeinen Wohnungspolitik und Wohnbauziele auch über unkonventionelle Interimslösungen nachdenken, so Maag. Als Beispiel nennt sie etwa die Zwischennutzung gewerblicher Räume zum Wohnen.

Hat die Politik das Thema verschlafen?

Mit deutlichen Aussagen meldet sich angesichts der aktuellen Umfrage auch die Caritas zu Wort. „Man hat zugesehen, wie sich die Situation in der Stadt immer weiter verschärft hat“, sagt Manfred Blocher, der Leiter der Bereiche Armut und Wohnungsnot beim Caritasverband Stuttgart. Dabei macht sich Blocher nicht mehr allein Sorgen um die Schwächsten der Gesellschaft. „Wir sehen das Problem auch als Arbeitgeber“, sagt er. Der Caritasverband ist mit rund 1500 Beschäftigten ein wichtiger Arbeitgeber der Stadt. Aber: „Wir können offene Stellen kaum noch besetzen“, so Blocher. Menschen in Pflegeberufen, in der Sozialarbeit oder mit Teilzeitjobs könnten offene Stellen nicht antreten, da ihr Gehalt nicht ausreiche, um sich eine Wohnung leisten zu können, berichtet er. „Die Politik hat lange zugesehen und das Problem schlicht verschlafen.“

Thomas Kiwitt, Leitender Technischer Direktor des Regionalverbands (VRS), analysiert die Situation so: „In der Region Stuttgart stehen den hohen Immobilienpreisen relativ hohe Einkommen gegenüber.“ Das bedeute auch, dass nach Abzug der hohen Wohnkosten eine überdurchschnittliche Kaufkraft verbleibe – zumindest für den Durchschnitt der Haushalte, so Kiwitt weiter. Mit Blick auf die Wirtschaftsregion sagt Kiwitt: „Wenn in den kommenden Jahren die geburtenstarken Jahrgänge aus den 1960ern das Rentenalter erreichen, wird schon bei gleichbleibender Anzahl der Arbeitsplätze ein deutlicher Zuzug aus anderen Ländern des europäischen Binnenmarktes notwendig sein, um den Arbeitskräftebedarf zu decken.“ Der VRS-Direktor stellt klar: „Diese Menschen brauchen Wohnraum, den sie bezahlen können, oder sie kommen nicht in die Region Stuttgart. Für die weitere Wirtschaftsentwicklung wäre das fatal.“ Kiwitt betont zudem, dass bezahlbarer Wohnraum nicht allein eine Frage der Mieten sei: „Neben den Immobilienkosten sind auch die Mobilitätskosten relevant – wobei insbesondere die Wege zum Arbeitsplatz und zu anderen wichtigen Stellen relevant sind.“ Der vermeintlich preiswerte Wohnort an der Peripherie werde sehr schnell teuer, wenn die nötigen Wege nur mit dem Auto möglich seien und dafür Fahrzeuge vorgehalten werden müssten, so Kiwitt. Auch deshalb steige das Verkehrsaufkommen in der Region stetig an.