Er war der nette Pauker in Kästners „Fliegendem Klassenzimmer“ oder Heinrich Himmler in Dani Levys Komödie „Mein Führer“. Nun spielt Ulrich Noethen einen Psychiater auf Verbrecherjagd Foto: ZDF

Ob als netter Pauker oder als Heinrich Himmler: Ulrich Noethen glänzt in jeder Rolle. Zum Auftakt der ZDF-Krimireihe „Neben der Spur“ spielt er einen Psychiater, der vom Jäger zum Gejagten wird und plötzlich um sein Leben und das seiner Familie kämpfen muss.

- Herr Noethen. „Adrenalin“ ist ein atmosphärisch dichter Thriller mit außergewöhnlichen Charakteren und ungewöhnlichen Bildern von Hamburg. Worauf darf sich der Fernsehzuschauer noch freuen?
Auf einen Helden, der viele Fehler macht und dennoch seine Würde nicht verliert. Auf atemberaubende Szenen und hohes Tempo. Auf eine spannende Geschichte, die, wie ich finde, auf eine erfrischende und ästhetische Art erzählt wird.
Der Film basiert auf dem Bestseller „Adrenalin“ des australischen Autors Michael Robotham. Was hat Sie an dem Stoff gereizt?
Bevor ich die Rolle angeboten bekam, hatte ich schon einige Krimis von Michael Robotham gelesen. Ich hatte sofort das Gefühl, dass diese Rolle eine Chance ist, einen spannenden Krimi zu erzählen, ohne in den Grenzen des Genres stecken zu bleiben.
Sie hatten Robotham schon vor Jahren auf einer Lesereise durch Deutschland begleitet. Bekamen Sie deshalb den Zuschlag?
Ich hatte zunächst ein Hörbuch eingelesen, „Todeswunsch“. Daraufhin habe ich die Anfrage bekommen, ob ich den Autor, Michael Robotham, nicht auf einer Lesereise begleiten möchte. Er saß dann auf dem Podium und hat von seiner Arbeit erzählt, und ich hab’ aus seinem Roman vorgelesen.Erst danach kam, ganz unabhängig davon, die Anfrage. Ich konnte punkten, weil ich sagen konnte, die Bücher hab’ ich gelesen, die gefallen mir, und ich kenne sogar den Autor.
Für Robotham waren Sie angeblich die erste Wahl . . .
Das war sehr freundlich von ihm. Er kannte mich ja schon. Aber ich hab’ mich schon sehr gefreut, dass ich Dr. Joe Jessen spielen durfte.
Wie würden Sie den Psychiater Dr. Johannes „Joe“ Jessen beschreiben?
Er ist einer, der nicht nach dem leichten Weg sucht, sondern genau hinschaut, der auch zuhören kann, der sehr kompetent in seinem Beruf ist. Angekommen an einem Punkt im Leben, an dem alles zu zerbrechen droht, was ihm wichtig ist. Und trotzdem schafft er es, sich mit seinem scharfen Verstand aus eigener Kraft aus dem Dreck zu ziehen – in den er sich allerdings selbst gebracht hat. Jessen ist eher ein Antiheld als ein Held, er ist sehr fehlerhaft, sehr menschlich. Und innerlich total zerrissen.
Jessen leidet an Parkinson. Welche Bedeutung hat das für die Geschichte?
Die Erzählung der Figur setzt ein, als Joe die Diagnose bekommt, dass er an Parkinson erkrankt ist. Das heißt, dass sein Leben plötzlich infrage gestellt ist. Dass er nicht mehr so funktioniert, wie er es gewohnt ist. Und das führt zu einem folgenschweren Seitensprung mit einer langjährigen Freundin, die früher Prostituierte war. Joes Krankheit spiegelt im Kleinen das große Chaos wider, das ihn täglich umgibt. Sie ist eine ihn ständig begleitende Verunsicherung.
Der Film spielt mit den Ängsten der Zuschauer. Welche Sequenzen sind Ihnen besonders unter die Haut gegangen?
Die Szenen, in denen Joes Familie bedroht wird. Da geht’s ans Eingemachte. Dass man selber einer solchen Gefahr ausgesetzt wird, ist gerade noch zu ertragen. Aber dass jene Menschen, die einem lieb sind, die zu einem gehören, dass denen so übel mitgespielt wird, das ist eine grauenhafte Vorstellung.
Als Psychiater blickt Joe in die Abgründe der menschlichen Seele. Wie kommt es, dass immer mehr Menschen mit psychischen Problemen kämpfen?
Wir leben in einer Zeit, die unheimlich beschleunigt ist. Alles wird schneller, hektischer. Auch die Kommunikation. Von allen Seiten gibt es Druck. Gleichzeitig sind die Menschen darauf angewiesen, ihren Unterhalt zu erwirtschaften. Sie müssen Job, Familie und soziale Kontakte unter einen Hut kriegen. Dabei vielleicht auch noch Schicksalsschläge bewältigen und trotzdem seelisch heil bleiben. Wie schafft man das? Sich Freiräume zu schaffen, zur Ruhe zu kommen, gesund zu bleiben? Dass in so einer Gesellschaft die psychischen Krankheiten zunehmen, das liegt auf der Hand.
Wie schaffen Sie es, sich vor alldem zu schützen?
Ich lese viel. Ich nehme mir immer wieder die nötige Muße zum Durchatmen, bin viel mit der Familie zusammen, gehe gerne spazieren. Oder, wofür die Zeit jedoch leider oft fehlt, lege mich einfach nur hin und gucke die Decke an. Ich brauche einfach diese kleinen Auszeiten. Vor allem wenn Projekte vor mir liegen. Dann gehe ich in mich und lasse die Gedanken einfach so vorbeifliegen. Das entspannt – und hilft.
Als Schauspieler sind Sie vor allem für die leisen Töne bekannt. Wie wichtig ist es Ihnen, die Zuschauer in der Tiefe zu berühren?
Das ist für mich das Wichtigste an der Schauspielerei. Zur Unterhaltung gehört eben nicht nur das Lustige, sondern – sagen wir mal – dass auch die Seele angestupst wird. Dass mich als Zuschauer etwas innerlich bewegt, eine Erinnerung in mir hervorruft, mir den Impuls gibt, etwas zu tun oder über etwas nachzudenken. Dass ich mitgenommen werde auf eine Reise. Das ist Entertainment – hoffe ich.
Sind Sie deshalb Schauspieler geworden?
Auch. Ich hab’ ein gewisses Talent, und das ist ein großes Geschenk.
Sie sind in einer Pfarrfamilie aufgewachsen. Haben Sie daher Ihre Empathie?
Das hat nichts damit zu tun, dass ich in einem Pfarrhaus aufgewachsen bin, sondern einfach damit, dass ich liebevolle Eltern hatte. Und mit meiner schulischen Bildung. Ich war auf einem humanistischen Gymnasium. Das hat mich geprägt. Was nicht heißen soll, dass man auf anderen Schulen nicht genauso gut Mitmenschlichkeit lernen kann.
Sie haben schon oft Vaterfiguren gespielt. Auch in „Neben der Spur“ sind Sie ein liebender Familienvater, der wie alle Eltern fehlbar ist. Gibt es Fehler, die Sie als Vater möglichst vermeiden wollen?
Natürlich will ich alle Fehler möglichst vermeiden. Aber ich bin ja auch nur ein Mensch. Deswegen gelingen nicht alle Dinge – so wie bei allen Eltern. Jede Generation will das mit den eigenen Kindern ja besser machen, als es unsere Eltern gemacht haben. Doch wenn das immer so klappen würde, wären wir schon längst im Paradies. Eine Utopie.
Was geben Sie Ihren eigenen Kindern mit auf den Lebensweg?
Mir geht es darum, die Kinder stabil zu machen. Sie darin zu bestärken, dass sie das Leben bejahen, dass sie sich angenommen, aufgehoben und sich ernstgenommen fühlen. Nicht alle sind ja mit der gleichen Portion Selbstbewusstsein ausgestattet. Deshalb sollten wir Eltern das, was bei den Kindern schon da ist, stärken. Ihnen andererseits aber nicht generell das Gefühl geben, das alles, was sie anpacken, gleich genial ist. Nein, man muss ihnen auch helfen, sich selbst richtig einzuschätzen.
Sie haben selber in Ihrem Leben schon viel Lob geerntet, sind ein mehrfach ausgezeichneter Schauspieler. Schützt das vor Selbstzweifeln?
Über die Jahre habe ich immer mehr Vertrauen gefasst zu dem, was ich tue. Und trotzdem möchte ich nicht in den Zustand kommen, dass ich mich darauf ausruhe. Wenn ich zum Beispiel eine Rolle angeboten kriege, die mich herausfordert, nehme ich die lieber an als eine, von der ich weiß, dass ich sie leichter spielen könnte.
Zurück zu „Neben der Spur“: Dürfen Sie uns schon etwas zum zweiten Teil dieser losen Krimi-Reihe verraten?
Der zweite Krimi heißt „Amnesie“ nach dem gleichnamigen Thriller von Michael Robotham. Er ist erneut in Hamburg angesiedelt, wurde wieder von Cyrill Boss und Philip Stennert inszeniert und ist bereits abgedreht. Neben der zentralen Romanfigur, Kommissar Vincent Ruiz, ist der Psychiater Dr. Johannes Jessen wieder dabei. Und so viel kann ich verraten: Ruiz und Joe werden wieder in Fälle verwickelt, die tief in die Abgründe der menschlichen Seele führen.

„Neben der Spur – Adrenalin“, Montag, 20.15 Uhr, ZDF