Die Bürger werden am Sonntag in der Ukraine zur Urne gebeten - die Wahlen werden überschattet von der Krise im Land. Foto: dpa

Die Parteien in der Ukraine rüsten sich für eine richtungsweisende Parlamentswahl. Überschattet wird die Abstimmung vom Konflikt mit moskautreuen Separatisten und einem Gasstreit mit Russland. Kann die Führung in Kiew mit einem starken Mandat ihren Westkurs fortsetzen?

Kiew - Mit flammenden Appellen und Kritik an Russland haben prowestliche Kräfte in der Ukraine vor der Parlamentswahl an diesem Sonntag letztmals öffentlich um Stimmen geworben. Regierungschef Arseni Jazenjuk machte erneut Moskau für Blutvergießen und wirtschaftliche Not im Land verantwortlich. Russlands Präsident Wladimir Putin wolle den proeuropäischen Kurs der Ukraine stoppen, meinte Jazenjuk bei einer Fernsehdiskussion in Kiew. „An dem Trauma, das Russland verursacht hat, werden wir lange zu leiden haben“, sagte er.

Mit den TV-Diskussionen zahlreicher Politiker endete am Freitagabend kurz vor Mitternacht offiziell der Wahlkampf in der Ukraine. Am Samstag, dem Tag vor der Abstimmung, war Wahlwerbung untersagt. Umfragen zufolge werden sieben der 29 kandidierenden Parteien Chancen auf einen Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde eingeräumt. Prorussische Kräfte gelten als chancenlos bei der Abstimmung.

Urnengang soll über Westkurs des Landes entscheiden

Russland hatte sich im März die zur Ukraine gehörende Schwarzmeerhalbinsel Krim gegen internationalen Protest einverleibt. Es unterstützt auch die schwer bewaffneten Separatisten im umkämpften Osten des Landes. Die Krim sowie Teile der nach Unabhängigkeit strebenden Regionen Donezk und Lugansk nehmen nicht an der Abstimmung teil. Die Separatisten wollen am 2. November gegen den Widerstand der ukrainischen Regierung eigene Volksvertretungen und Führungen wählen. Behörden zufolge kam es in Donezk ungeachtet einer seit Anfang September geltenden Waffenruhe am Samstag erneut zu Gefechten. Der nationale Sicherheitsrat in Kiew gab die Zahl der verletzten Soldaten mit zehn an. Bei den Kämpfen sind seit April mehr als 3600 Menschen ums Leben gekommen. Die vorgezogene Parlamentswahl in der Ukraine gilt als richtungsweisend nach dem Machtwechsel im Februar. Nach dem Sturz des nach Russland geflohenen Präsidenten Viktor Janukowitsch soll der Urnengang über einen weiteren Westkurs des Landes entscheiden. Als Favorit gilt die in die EU strebende Präsidentenpartei Petro-Poroschenko-Block. Staatschef Petro Poroschenko hofft auf ein starkes Mandat für Reformen und für seinen Friedensplan im Kampf gegen die Separatisten. Politologen in Kiew sehen Jazenjuks Volksfront als möglichen Koalitionspartner des Poroschenko-Blocks nach der Wahl.

Jazenjuk räumte bei der TV-Diskussion ein, dass die chronisch klamme Ex-Sowjetrepublik noch lange auf Milliarden aus dem Westen angewiesen sein werde. Die Krise habe die Bevölkerung in Europas zweitgrößten Flächenstaat aber zusammenrücken lassen. „Wir sind zu einer Nation geworden (...) Der Kurs auf ein vereintes Europa ist unumkehrbar geworden. Gehen Sie bitte wählen“, appellierte er.

Ukraine hat enorme Schulden bei Russland

Die finanziell angeschlagene Ukraine steht unter anderem bei Russland tief in der Kreide. Wegen Milliardenschulden hatte Russland seine Gaslieferungen in die Ukraine im Juni gestoppt. Der Streit um Gaspreise und Schuldentilgung ist weiter ungelöst. Zudem befindet sich die ukrainische Währung Griwna im freien Fall.

Oleg Ljaschko von der Radikalen Partei, die in Umfragen zuletzt auf dem zweiten Platz lag, warb im Fernsehen für einen Systemwechsel. „Frieden und eine starke Ukraine wird es erst geben, wenn wir die Oligarchen von der Macht entfernen“, sagte Ljaschko. Der unter anderem durch Süßwarengeschäfte zu Reichtum gekommene Präsident Poroschenko gilt als Vertreter einer von Oligarchen geprägten Politik.

Die Wahllokale öffnen an diesem Sonntag um 8 Uhr (7 Uhr MEZ). Kurz nach dem Ende der Abstimmung um 20 Uhr (19 Uhr MEZ) soll es erste Prognosen geben. Aussagekräftige Ergebnisse werden wegen der Mischung aus Listen- und Direktwahl frühestens für Montag erwartet.

Nach dem Verlust der Krim und wegen der Kämpfe im Osten des Landes wird das Parlament nur noch 424 statt der bisherigen 450 Abgeordneten haben. Stimmberechtigt sind etwa 36 Millionen Bürger. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hatte die Entsendung von rund 750 Wahlbeobachtern angekündigt.