Alles noch mal glimpflich ausgegangen: Polizisten am Dienstag vor dem Nürtinger Gymnasium Foto: 7aktuell.de/Jueptner

Der Überfall auf eine 15-Jährige in einem Nürtinger Gymnasium ist offenbar das Werk eines psychisch Kranken gewesen. Er kam am Mittwoch in Haft. Der Fall wirft wieder die Frage nach Sicherheitskonzepten in Schulen der Region auf.

Nürtingen/Stuttgart - Es ist ein Albtraum für jede Schule. Ein Mann in Schwarz betritt am Dienstag das Hauptgebäude des Max-Planck-Gymnasiums an der Steinenbergstraße in Nürtingen. Es ist Mittagszeit, alles ruhig, der Unterricht läuft in der sechsten Stunde, die um 12.50 Uhr endet. Der Mann läuft den Gang im Erdgeschoss entlang bis zu einer Treppe, wendet sich nach links zur Mädchentoilette, wo er sich mit einer Tasche in einer Kabine versteckt.

Der böse schwarze Mann ist, wie sich später herausstellt, ein 27-Jähriger aus Nürtingen, psychisch krank, wegen Diebstahls, Körperverletzung und Widerstands polizeibekannt, und er ist offenbar alkoholisiert. Was er an jenem Dienstag vorhat, ist ohne Sinn und Verstand. „Es gibt kein schlüssiges Motiv“, so Polizeisprecher Josef Hönes.

Eine 15-Jährige, die sich während des Unterrichts gegen 12.20 Uhr auf die Toilette begibt, wird sein Zufallsopfer. Nach Angaben der Polizei überfällt er die Jugendliche, als sie ihre Kabine verlässt, umwickelt sie mit einem Klebeband am Kopf, an den Händen und Füßen, versucht die 15-Jährige in seine schwarze Tasche zu verpacken. Offensichtlich will er die Schülerin entführen. Die ist für die Tasche freilich viel zu groß.

Zum Glück. Der Täter flüchtet. Das Mädchen bleibt zumindest körperlich unverletzt zurück und wird wenig später von Mitschülerinnen entdeckt. Die Polizeifahndung verläuft zunächst erfolglos. In der Nähe des Nürtinger Kraftwerks wird lediglich die Baseballmütze des Täters gefunden.

Doch noch am Dienstag stellte sich der 27-Jährige selbst: Gegen 20 Uhr tauchte er in Stuttgart im Revier Innenstadt auf und erklärte, dass er der Gesuchte von Nürtingen sei. Die Beamten nahmen ihn fest. Am Mittwoch wurde er auf Antrag der Staatsanwaltschaft wegen versuchten Menschenraubs einem Richter vorgeführt, der Haftbefehl erließ. Der 27-Jährige wurde in keine psychiatrische Einrichtung, sondern in eine Justizvollzugsanstalt eingeliefert.

Bei der betroffenen Schule ist die Erleichterung groß. „Die Nachricht nimmt den Kindern und uns allen viel Angst“, teilt Schulleiterin Ulrike Zimmermann am Mittwoch den Eltern mit. Am Tag nach dem Überfall sollte der Unterricht stundenplanmäßig stattfinden, „um wieder etwas Normalität in den Alltag einkehren zu lassen“. Berater der Polizei, Psychologen sowie die Schulsozialarbeit der Stadt unterstützen das Krisenteam der Schule. Lehrer sollten den Vorfall im Unterricht ausführlich aufarbeiten. Auskünfte an die Medien gibt es allerdings nicht. Schulleiterin Zimmermann fürchtet, dass dies weniger der Sache als vielmehr der Sensationsgier dienen würde.

Der Vorfall trifft die Schule doppelt: Das Max-Planck-Gymnasium kämpft mit einem Imageproblem, fühlt sich gegenüber dem Hölderlin-Gymnasium von der Stadt bei Investitionen immer wieder benachteiligt. Eine weitere Nachricht traf die Verantwortlichen ebenfalls hart: Erheblich mehr Viertklässler wollen nach den Sommerferien auf das Hölderlin-Gymnasium wechseln – fast doppelt so viele. Früher lagen die Zahlen etwa gleichauf.

Umso wichtiger scheinen Pläne für Maßnahmen, mit denen das Sicherheitsgefühl zurückkehrt. Dabei ist der ungewöhnliche Überfall ein Alarmsignal für alle Schulen in der Region Stuttgart – wie auch schon nach dem Amoklauf in Winnenden 2009 oder dem Amokalarm in Ostfildern im Scharnhäuser Park im Februar 2014.

Ein Wachdienst oder technische Zugangskontrollen sind bei den Schulen aber kein Thema. „Von uns als Aufsichtsbehörde gibt es keine Vorgaben“, sagt Robert Hamm, Sprecher des Regierungspräsidiums Stuttgart. Die Zugänglichkeit könne von jeder Schule selbst geregelt werden. Unterstützung gebe es für bauliche und technische Maßnahmen, aber auch bei der Fortbildung von Krisenteams, so Hamm: „Die Aufarbeitung eines solch schrecklichen Ereignisses ist auch über den Tag hinaus sehr wichtig.“