Nachdem die letzte Bewohnerin gestorben ist, steht das Haus im Höhenweg 5 leer. Die Stadt will es abreißen lassen, doch das Denkmalamt hat sein Veto eingelegt. Foto:Rudel Foto:  

Nach dem Krieg haben Flüchtlinge aus dem Osten in die Hände gespuckt und sich ein Heim in Grötzingen bei Aichtal geschaffen. Jetzt sollte es abgerissen werden, doch der Denkmalschutz hat sein Veto eingelegt.

Aichtal - Zugegeben: eingerahmt von schmucken Eigenheimen wirkt es ziemlich verloren, das schlichte, etwas heruntergekommene Mehrfamilienhaus in bester Wohnlage im Aichtaler Stadtteil Grötzingen. Aber es war zuerst da. Anfang der 1950er-Jahre hatten sich Kriegsflüchtlinge aus dem Osten ihr neues Heim auf einer Wiese am Ortsrand selbst geschaffen – buchstäblich mit ihrer Hände und Füße Arbeit. Jetzt ist die letzte Bewohnerin gestorben. Dem Haus, das inzwischen der Stadt Aichtal gehört, droht der Abriss.

Genaugenommen hätte die Abrissbirne schon längst ganze Arbeit geleistet, wäre das Regierungspräsidium Stuttgart nicht eingeschritten. Unter Hinweis auf eine Einschätzung des Denkmalamts hat die Aufsichtsbehörde die vom Landratsamt Esslingen schon erteilte Abrissgenehmigung widerrufen lassen. Begründung: aufgrund seiner wissenschaftlichen und heimatgeschichtlichen Bedeutung ist das Haus als Kulturdenkmal gemäß Paragraph 2 des Denkmalschutzgesetzes des Landes Baden-Württemberg einzustufen. An seiner Erhaltung bestehe „aufgrund seines exemplarischen und dokumentarischen Werts“ ein öffentliches Interesse.

Streit um die Schutzwürdigkeit

„Wir sehen keine heimatgeschichtlichen Gründe, die für eine Schutzwürdigkeit sprechen würden“, widerspricht Lorenz Kruß, der Bürgermeister von Aichtal. Im Bestreben, das Haus abzureißen und an seiner statt eine „umfeldgerechte Wohnbebauung“ anzustreben, weiß der Schultes seinen Gemeinderat hinter sich. Das ungewöhnlich weitläufige Grundstück – zu dem Reihenhaus gehört noch eine Gartenanlage samt einer Reihe zugehöriger Geräteschuppen – gilt als städtebauliches Filetstück und würde bei einem Verkauf viel Geld in die Stadtkasse spülen.

Mit einer Sanierung dagegen, so argumentiert Kruß, wäre nichts gewonnen. Die sei wirtschaftlich nicht vertretbar, und wenn sie denn sinnvoll und mit viel Geld durchgeführt werden sollte, wäre zumindest vom bauhistorischen Teil der Denkmaleigenschaften des Hauses letztlich nicht mehr viel übrig.

In der Tat hält die Denkmalschutzbehörde das gemeinschaftlich errichtete Haus nicht nur aus heimatkundlicher, sondern auch aus baulicher Sicht für erhaltenswert. Kurze Wege, ökologische Baustoffe, kleinteilige Grundrisse, energetisch optimiert, ebenerdig und behindertengerecht – die Schlagworte wirken, als wären sie dem Werbetext für eine moderne Wohnanlage entnommen. Und doch treffen sie auf ein Haus zu, das vor mehr als 60 Jahren mit einfachsten Mitteln gebaut wurde. Die Bruchsteine für das Untergeschoss stammen aus dem gemeindeeigenen Steinbruch, das Bauholz aus dem Gemeindewald. Die Wände sind aus Lehmsteinen gemauert, die von den Flüchtlingen in der örtlichen Lehmgrube in Eigenleistung hergestellt worden sind.

Flüchtlingsfrauen haben den Lehm gestampft, Männer haben ihn zu Ziegeln verarbeitet

Historische Aufnahmen zeigen die Frauen, wie sie den Lehm stampfen und die Männer, wie sie ihn zu gebrauchsfertigen Ziegeln formen. Bezeichnenderweise habe es sich um ein bis dahin in hiesigen Breiten unübliches Baumaterial gehandelt, das den Vertriebenen jedoch aus ihrer alten Heimat Bessarabien sehr vertraut war, schreiben die Denkmalschützer in ihrer Würdigung. Die ungewöhnliche Bauweise, zudem noch Beispiel eines frühen Technologietransfers, steht nach Einschätzung der Denkmalschützer exemplarisch für „die Suche nach einer effizienten und kostengünstigen Lösung für die Bauaufgabe der Flüchtlingsunterbringung“.

Das Stichwort Flüchtlingsunterbringung hat die Aichtaler hellhörig werden lassen. Auch wenn das Haus ursprünglich als „Behelfsheim für Flüchtlinge“ gebaut worden war, schließt Kruß diese Nutzung aus. Gleichwohl, so der Schultes, sei sich die Stadt bei einer wie immer gearteten Neubebauung ihrer Verantwortung im Sinne einer Verdichtung und eines sozialen Wohnungsbaus sehr wohl bewusst. Kruß will nun in Stuttgart noch einmal für seine Sicht der Dinge werben. Seine Hoffnung: wenn die Stadt nachweisen kann, dass eine Sanierung wirtschaftlich nicht vertretbar ist, könnte dem Gebäude ungeachtet seines historischen Werts die Denkmaleigenschaft wieder abgesprochen werden.

„Vergessen werden wir die gewaltige Integrationsleistung, die von den Heimatvertriebenen und Flüchtlingen nach dem Krieg erbracht worden ist, deswegen trotzdem nicht“, verspricht der Bürgermeister.