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Ausschuss wird zum unfreiwilligen Wiedersehen alter Weggefährten aus der CDU-FDP-Zeit.

Stuttgart - Willi Stächele gilt als Genussmensch. Als er noch Landwirtschaftsminister in Baden-Württemberg war, galt es als offenes Geheimnis, dass er lieber über Land reiste und die Apfel-, Wein- oder andere Königinnen herzte, statt sich in Stuttgart durch die Richtlinien der Agrarförderung oder die EU-Düngemittelverordnung zu wühlen. Und auch in jener Phase, als er Statthalter des Landes in Berlin war, galt der Mann aus Oberkirch als gern gesehener Gastgeber. Wo Stächele war, da herrschte bei guten Tropfen stets gute Laune.

Insofern verwundert es nicht, dass Stächele sich im Mai 2011 – nachdem er durch die Abwahl der schwarz-gelben Landesregierung seinen Posten als Finanzminister verloren hatte – auf seine mutmaßlich letzte berufliche Herausforderung so richtig freute: Er wurde Landtagspräsident. Allein, die Freude am Präsentieren und Repräsentieren und die Genugtuung, als Einziger aus der abgewählten Landesregierung noch einen lukrativen Posten mit einem Monatsgehalt von rund 15 000 Euro samt Fahrer und Büro ergattert zu haben, währten nicht lange. Stächele musste nach einem knappen halben Jahr seinen Präsidentenstuhl im Parlament wieder räumen.

Stächele wurde als Finanzminister zur tragischen Figur

Die Umstände des umstrittenen EnBW-Deals und die Tatsache, dass der Staatsgerichtshof das Geheim-Geschäft von Ministerpräsident Stefan Mappus später als verfassungswidrig verurteilt hatte, katapultierten ihn aus dem Amt. „Der Rücktritt fällt mir sehr schwer“, sagte er in seiner Erklärung am 12. Oktober 2011 im Landtag. Fortan war Stächele von der politischen Bühne quasi verschwunden, wurde im Landtag zum Hinterbänkler unter dem Buchstaben S. „Ich habe den Abstand gebraucht, um mich neu zu sortieren“, hat der 60-Jährige neulich im kleinen Kreis erzählt.

Nun, gut ein halbes Jahr später nach der Demission, kehrt er auf die Bühne zurück. Nicht in die erste Reihe der Politik, sondern in den Zeugenstand. An diesem Freitag muss Stächele vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags aussagen, was in den Stunden vom 5. auf den 6. Dezember 2010 passiert ist. In jener Nacht also, als der von Mappus und einem kleinen Kreis an Vertrauten streng vertraulich ausgehandelte Wiedereinstieg des Landes bei der Energie Baden-Württemberg (EnBW) besiegelt wurde und Stächele als Finanzminister zur tragischen Figur wurde.

Es waren dramatische Stunden – menschlich wie politisch. Augenzeugen erinnern sich, wie Stächele „damals 15, vielleicht 20 Minuten“ auf dem Flur im Staatsministerium vor der Tür saß, als sei er gerade aus dem Klassenzimmer geflogen, weil er mit Krampen nach dem Lehrer geschossen habe. Nichts von alledem. Drinnen berieten Mappus und Co. noch letzte Details des Geheimvertrages, dann ging die Tür auf. Stächele durfte eintreten. Die Uhr zeigte 23 Uhr.

Was ihn erwartete, wusste er in diesem Moment immer noch nicht – obwohl es um ein fünf Milliarden Euro teures Geschäft ging, für das er als oberster Kassenwart des Landes seinen Segen geben sollte. Man habe ihm „das Geschäft erklärt“, heißt es in internen Notizen, Stächele habe „Fragen gestellt“, die Anwälte der beratenden Kanzlei Gleiss Lutz versuchten alle Unklarheiten zu beseitigen.

Mappus und Stächele: Herzliches Nicht-Verhältnis

Nach nicht allzu langer Zeit tat Stächele das, was man von ihm verlangte. Er unterschrieb Paragraf 81 der Landesverfassung, das Notbewilligungsrecht. Es sieht vor, dass solche Ausgaben in Notfällen wie bei Erdbeben vom Finanzminister auch ohne vorherige Einwilligung des Landtags zulässig sind.

Aber war das Geschäft, dem französischen Staatskonzern Electrite de France (EdF) das EnBW-Aktienpaket abzukaufen, ein Notfall wie ein Erdbeben oder eher eine politische Notoperation von Mappus, um wenige Monate vor der Landtagswahl wieder auf die Beine zu kommen? In diesem Moment interessierte das niemanden. Der Deal zwischen Paris und Stuttgart, zwischen Verkäufer und Käufer, war besiegelt.

Was Mappus damals mit ihm gemacht habe, sei „eine Schweinerei“ gewesen, hat Stächele vor Wochen mal im Rückblick gesagt und damit klar gemacht, dass ihn mit seinem Parteifreund ein herzliches Nicht-Verhältnis verbindet. Oder wie es ein enger Freund des Ex-Ministers formuliert: „Die beiden standen nie vor einer gemeinsamen Urlaubsplanung.“ Hier der joviale Stächele aus Südbaden, dort der ehrgeizige Mappus aus Nordbaden.

Stächele wollte lieber Innenminister sein

Stächele war einst von Ministerpräsident Günther Oettinger zum Finanzminister berufen worden, obwohl er angeblich viel lieber Innenminister geworden wäre. „Der Willi“, erzählt man sich in der CDU, „hat immer davon geträumt, mit Bodyguards und gepanzertem Auto durchs Land zu fahren“. Allein, sein Freund Oettinger machte ihn zum Herr über die Zahlen, was Stächele lange Zeit regelrecht körperliche Schmerzen verursacht haben muss. Wenn er in kleiner Runde über den Landeshaushalt reden sollte, kam er nie allein, sondern brachte stets seine Experten des Ministeriums mit, die ihn im Zweifelsfall mit den nötigen Fakten fütterten. Mappus wusste das, konnte Stächele aber nicht den Stuhl vor die Tür stellen, weil der als Chef des mächtigen CDU-Bezirksverbandes Südbaden sonst seine Parteitruppen gen Stuttgart ins Staatsministerium hätte marschieren lassen.

Also beließ er ihn im Kabinett und stellte ihn kalt, so weit es ging – das C im Namen der Partei hin oder her. Mehrfach korrigierte der Ministerpräsident seinen Finanzminister öffentlich. Die beiden verband das Parteibuch. Und Misstrauen. Genau deshalb tüftelte Mappus den EnBW-Deal ohne Stächele aus. Die Sorge war offenbar groß, er könne das Geschäft vorzeitig ausplaudern – und damit kaputt machen. Dass Mappus dennoch bei seiner Zeugenvernehmung im Untersuchungsausschuss am 9. März betonte, er pflege ein „tadelloses Verhältnis“ zu Stächele und habe seinerzeit „keine Zweifel an der Vertraulichkeit“ des Finanzministers gehabt, haben selbst tief verwurzelte CDU’ler als Fall für den Lügendetektor empfohlen.

Insider warten deshalb nun mit Spannung auf Stächeles Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss. „Die Wunden bei ihm sind noch nicht verheilt“, sagt einer aus der CDU: „Dem Willi ist durch die Sache sein Traumjob als Landtagspräsident verloren gegangen. Das hat er bis heute nicht verwunden.“ Stächele selbst schweigt. Er will sich vor seinem Zeugenauftritt öffentlich nicht äußern. In seinem Umfeld wird aber berichtet, wie enttäuscht er noch immer ist. „Er ist damals unverschuldet in diese Lage gekommen“, und Mappus habe nichts getan, „um den politischen Sturz vom Willi“ zu verhindern.

Nur Stächele selbst erfuhr nichts

Was Stächele nicht weniger gekränkt haben dürfte: Viele waren einst von Mappus über das Geschäft vorab informiert worden: Die CDU-Landräte aus dem Kreis der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW), dem zweiten Hauptaktionär der EnBW. Sein eigener südbadischer Parteifreund, Staatsminister Helmut Rau, der am Vertragswerk sogar mitarbeitete. Der damalige Justizminister Ulrich Goll (FDP), den Mappus schon Wochen vorher informierte. Vielleicht auch Tanja Gönner, die damalige Umweltministerin und enge Vertraute von Mappus? Nur Stächele selbst erfuhr nichts. „Da sind Brüche geblieben“, heißt es in der CDU. So wird die Zeugenvernehmung am Freitag zu einer Art unfreiwilligem Wiedersehen der alten Weggefährten aus der Landesregierung. Stächele, Gönner, Goll, auch Ex-Wirtschaftsminister Ernst Pfister, alle müssen aussagen. Nur Rau kommt erst im April an die Reihe.

Vielleicht setzen sie alle darauf, dass ein anderer Beteiligter des Geheim-Deals die Fronten zuvor etwas glättet: Dirk Notheis, Deutschland-Chef der Investmentbank Morgan Stanley, aber in diesem Fall mehr als ein normaler Banker. Notheis, Jahrgang 1968, war beim EnBW-Deal der Berater von Mappus, der sogenannte „Dealmaker“, weil er die Drähte zwischen Paris und Stuttgart zog und das Milliardengeschäft unter dem Codewort „Olympia“ perfekt machte. Dass Mappus auf ihn vertraute, kommt nicht von ungefähr. Beide kennen sich seit Jahren, sind eng befreundet. Hier der Rockmusik-Fan und Fußballer Mappus, da der Opern-Freund und Feingeist Notheis.

Notheis als Schlüsselfigur

Mappus freilich hat den Vorwurf stets zurückgewiesen, er habe seinem Freund Notheis den millionenschweren Beratervertrag für den EnBW-Deal zugeschoben. „Es darf nicht von Vorteil sein, jemanden zu kennen, aber auch nicht von Nachteil.“ Gerade in einem solch heiklen Geschäft brauche man jemanden, zu dem es „ein großes Vertrauensverhältnis“ gebe. Notheis hatte dieses Vertrauen und wurde damit zur Schlüsselfigur des Deals. Er, der Strippenzieher, der einst Landeschef der Jungen Union war, der ob seiner eloquenten Art bei CDU-Landesparteitagen stets mit besten Ergebnissen in den Landesvorstand gewählt wurde, aber einen kompletten Wechsel in die Politik ablehnte, weil er sich seine Unabhängigkeit bewahren wollte. Einer, der täglich rund um die Welt mit Millionen schaukelt wie andere Leute mit dem Schlüsselbund bei Langeweile.

In diesem Fall aber lag der Finanzfachmann daneben. Wie Mappus hatte er sich auf den Rat der Rechtsanwälte von Gleiss Lutz verlassen, wonach das Geschäft ohne Beteiligung des Landtags möglich sei. Ein folgenschwerer Fehler. Notheis hat zuletzt zu alledem geschwiegen. Insider vermuten, dass er am Freitag den Abgeordneten die Entstehung des Geheim-Deals genau schildern wird und ihnen klar macht, dass es keinen anderen Weg für den Kauf der EnBW-Anteile gab. Dann wird er ihnen auch erklären müssen, warum die Bank nach Informationen unserer Zeitung in den vergangenen Tagen plötzlich 1000 weitere Aktenblätter dem Ausschuss zur Verfügung stellte – inhaltlich meist ohne großen Neuigkeitswert.

Bis auf eine Ausnahme. In jener Nacht vom 5. auf den 6. Dezember hatte der Deal bekanntlich am seidenen Faden gehangen, weil sich die französische Regierung plötzlich quer stellte. Notheis rotierte, ließ seine Drähte zum Elysee-Palast glühen. Mit Erfolg. Ein Machtwort von Präsident Nicolas Sarkozy sorgte für die Entscheidung – und in Stuttgart für Aufatmen. Noch in der Nacht schrieb einer der beteiligten Anwälte eine Mail an seinen Kollegen: „Sarko hat sich durchgesetzt . . . Na denn!“ Notheis wird das als weiteren Beleg werten, wie brisant und deshalb vertraulich der Deal war. Dass er am Ende als Desaster endete, wird Notheis vermutlich auf juristische Probleme zurückführen. Nach dem Motto: Wo zwei Juristen, da drei Meinungen. Willi Stächele dürfte das kaum trösten.

Die Sitzung des Untersuchungssauschusses wird am Freitag ab 10 Uhr live im Fernsehprogramm des SWR übertragen