Torhüter Johannes Bitter will den TVB Stuttgart zum Klassenverbleib führen. Foto: Getty

Er ist der spektakulärste Transfer der Vereinsgeschichte. An diesem Sonntag feiert Torwart Johannes Bitter gegen den Bergischen HC sein Debüt für den TVB 1898 Stuttgart. Die Vorfreude beim Weltmeister von 2007 ist groß.

Stuttgart - Herr Bitter, wenn Ihnen zu Saisonbeginn jemand gesagt hätte, Sie spielen 2016 für den TVB Stuttgart. Was hätten Sie geantwortet?
Das wäre eine genauso gewagte Aussage gewesen, als wenn jemand den EM-Titel der Nationalmannschaft vorhergesehen hätte. Das zeigt eben, dass im Leben nichts planbar ist. Man kann nicht in die Zukunft schauen, und gewisse Dinge wie das Aus des HSV Hamburg muss man annehmen.
Wie haben Sie die Auftritte der deutschen Handballer erlebt?
Das war einfach überragend und ein Lehrbeispiel dafür, dass die Basis des Erfolges im Spitzensport eine starke Defensivleistung ist. Das zeigte sich zuletzt auch im Super-Bowl-Finale. Hinzu kommt der einzigartige Teamgeist.
Auch bei den Torhütern.
Gerade bei den Torhütern. Andy Wolff hielt sensationell. Lütti (Anm. d. Red.: Carsten Lichtlein) hatte sich viel mehr Spielanteile versprochen. Doch er hat sich in seine Rolle gefügt und seinen Kollegen immer unterstützt. Dies ist ein leuchtendes Beispiel, wie man auf Weltklasseniveau miteinander umgeht. Das zeugt von großer innerer Stärke.
Beim TVB haben Sie in Yunus Özmusul und Dragan Jerkovic gleich zwei Konkurrenten.
Und jeder will der Beste sein. Dieser Egoismus darf aber nie zu einem Gegeneinander führen. Es muss immer respektvoll miteinander umgegangen werden. Wir wollen in der Bundesliga bleiben. Ob ich eine Minute spiele oder 60 Minuten, ist nicht der entscheidende Punkt.
Warum haben Sie sich trotz mehrerer anderer Angebote für den TVB entschieden?
Ich habe mich für das Projekt entschieden, dem ich am meisten zurückgeben kann.
Das klingt sehr pathetisch.
Nein. Ich bin kein Typ, der ohne Ziele durch die Welt rennt. Ich will mich einbringen, ich will helfen, ich will Impulse geben. Und mit dem Klassenverbleib möchte ich mir dann etwas zurückholen. Ich will keinen Abstieg in meiner Vita. Und was nach der Saison kommt, ist ohnehin völlig offen.
Stuttgart ist Ihre erste Station im Süden. Wie sind Ihre Eindrücke?
Die Hamburger sind auch herzlich, aber kühler und gehen mehr auf Distanz. Hier sind bisher alle Menschen offen auf mich zugegangen und stellen viele Fragen.
Zum Beispiel, wie Sie ohne Ihre Familie klarkommen?
Auch. Und ich antworte, dass es mir schon schwerfällt, ohne meine Frau und die drei Jungs hier zu sein. Aber es war klar, dass wir sie nicht aus der vertrauten Umgebung in Hamburg herausreißen. Diese Lebenssituation gilt es zumindest bis zum Saisonende zu meistern. Dann sieht man weiter. Viele Menschen trifft es deutlich härter.
Der Verein kommt Ihnen entgegen?
Ich kann zwei Tage pro Woche in Hamburg sein. Ich bin alt genug, um Regenerations- oder Krafttraining dort zu absolvieren.
Wie bringen Sie Ihre Erfahrung ein?
Ich bringe in unsere Abwehrarbeit neue Aspekte ein, die bereitwillig angenommen werden. Alle sind darüber dankbar. Wir können unsere Deckung optimieren, wir müssen mehr Bälle erbobern und dadurch über die Gegenstöße zu einfachen Toren gelangen.
Ist dies der Schlüssel zum Klassenverbleib?
Absolut. Neben unserem Teamgeist und der großen Euphorie. Ich habe den Eindruck: Beim TVB rollt der Zug in die richtige Richtung. Die Region hat großes Potenzial. Die hohe Handballdichte und die Industrieunternehmen bieten große Möglichkeiten.
Und Ihnen kommt als neues Gesicht des Stuttgarter Handballs eine Schüsselrolle zu.
Mir ist klar, dass ich nicht nur aus sportlichen Gründen hier bin, sondern auch um das Bild des TVB in der Öffentlichkeit zu schärfen.
Wie sehr hilft dabei auch der EM-Hype?
Der hilft nur, wenn sich keiner zufrieden zurücklehnt. Das Interesse darf jetzt nicht abreißen. Unser Sport ist attraktiv und sexy, nur auf diesem Planeten wissen das zu wenige. Wir müssen die Protagonisten mehr in den Vordergrund rücken. Die Senkrechtstarter wie Christian Dissinger oder Andy Wolff müssen von professionellen Agenturen vermarktet werden.
Gerade die jungen Menschen identifizieren sich mit Stars.
Meine Jungs sind das beste Beispiel. Seit dem goldenen Tor im Finale der Fußball-WM 2014 sind sie Fans von Mario Götze.
Sie sind bekannt dafür, über den Tellerrand hinauszublicken. Was macht Ihr Engagement für die Hamburger Stiftung Mittagskinder?
Nach der Geburt unseres ersten Kindes hatten wir den Wunsch, etwas Soziales zu tun, das zu uns passt. Seitdem bin ich dort als Botschafter tätig und versuche, mein Netzwerk zu sensibilisieren, um Kindern aus problematischen Verhältnissen zu helfen.
Auch in der Spielergewerkschaft Goal sind Sie engagiert.
2010 war ich gemeinsam mit meinem ehemaligen Torwartkollegen Marcus Rominger einer der Mitbegründer. Wir wollten mehr Schlagkraft gegen die mächtigen nationalen und internationalen Verbände erzielen und mehr Freiräume für die Spieler im internationalen Kalender schaffen.
Der Erfolg ist überschaubar.
Leider haben wir es nicht geschafft, große Förderer zu finden. Wir sind um die 80 Mitglieder, und ich hätte mir mehr Offenheit gewünscht. Andere Berufsgruppen solidarisieren sich auch. Wir lassen uns von den Funktionären auf der Nase herumtanzen. Wir werden aber nicht aufgeben und die Idee im Rahmen unserer Möglichkeiten weiterverfolgen.
Was wünschen Sie sich für Ihre Premiere an diesem Sonntag im TVB-Trikot?
Da kann es nur eine Antwort geben: einen Sieg. Die Partie gegen den Bergischen HC ist gleich ein Schlüsselspiel.