Die letzte Debatte vor der Wahl im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Foto: ZDF

Forscher der Universität Freiburg haben die letzte TV-Debatte vor der Wahl analysiert – mit zum Teil überraschenden Ergbenissen.

Stuttgart - Nun ist Schluss. Zum letzten Mal vor der Bundestagswahl am Sonntag konnten sieben Vertreter der Parteien in ARD und ZDF für ihre Positionen werben. Über 5100 Zuschauer nutzten dabei die Möglichkeit mit dem Debat-O-Meter, das an der Universität Freiburg entwickelt wurde, die sieben Kandidaten live zu bewerten. Dabei konnten die Zuschauer über das Internet in Echtzeit die Argumente und Politiker bewerten. Insgesamt gaben sie dabei rund 500 000 Einzelbewertungen ab.

Die wichtigsten Themen des Abends

Die wichtigsten Themen, die in der Vorbefragung abgefragt wurden waren „Soziale Gerechtigkeit“ (27,4 Prozent der Nennungen), „Flüchtlinge“ (18,4 Prozent), „Innere Sicherheit“ (17,6 Prozent) und „Rente“ (10,8 Prozent). Diese Themen spielten dann auch in der Debatte die größte Rolle.

Bei der Frage nach dem Debattensieger gab es am Ende mit Sahra Wagenknecht (27,2 Prozent) und Christian Lindner (16,2 Prozent) zwei Gewinner, wobei jeder Fünfte überhaupt keinen Sieger in der Debatte ausmachen konnte. Am Ende lagen der etwas müde wirkende Gauland sowie Ursula von der Leyen, die nur 3,7 Prozent der Teilnehmer als Siegerin sahen.

Wagenknecht punktet bei älteren Männern im Osten

Differenziert man die Auswertungen nach dem Sieger der Debatte nach den relevanten Untergruppen: Jung (unter 35 Jahre alt) und Älter (35 und älter), West- und Ostdeutschland sowie Männer und Frauen ergeben sich für die einzelnen im Debat-O-Meter bewerteten Politiker beachtliche Unterschiede.

Zusammenfassend schneidet Wagenknecht bei älteren Männern in Ostdeutschland besonders gut ab, während Lindner bei jüngeren Männern in Westdeutschland seine Kernklientel besitzt. Göring-Eckardt und Manuela Schwesig können bei jüngeren Frauen in Westdeutschland am besten mobilisieren. Gauland ist bei den Älteren in Ostdeutschland präsenter, während Herrmann bei den Älteren in Westdeutschland besser abschneidet. Für beide gibt es wenig Unterschiede bei der Geschlechtsvariable. Schließlich kann man trotz des schlechten Abschneidens Ursula von der Leyens ihr einen gewissen Erfolg bei jüngeren Männern in Ost- und Westdeutschland attestieren.

Die wichtigsten Fakten zur diesjährigen Bundestagswahl gibt es in unserem Video:

Wie geht es weiter mit Deutschland?

Erste Runde: Der Zustand der Republik

Im ersten Themenkomplex der Debatte ging es um den Zustand der Republik im Wahlkampf. Die Diskussion drehte sich schnell um die Rolle der AfD bei den Protesten gegen Angela Merkel. Alexander Gauland war umgehend in der Defensive und musste sich den Attacken der vier Frauen in der Runde erwehren. Dabei wurden seine Aussagen im Wahlkampf gegen die Ausländerbeauftragte Özoguz (in „Anatolien entsorgen“) besonders kritisiert.

Zweite Runde: Soziale Gerechtigkeit

Der nächste Block drehte sich um die von Teilnehmern als wichtigstes Thema identifizierte Soziale Gerechtigkeit. Sahra Wagenknecht punktete hier im Debat-O-Meter mit der Aussage: „Mit Riester macht man nur die Banken reich“. Alexander Gauland gab dabei Defizite im Rentenprogramm der AfD zu. Und die ehemalige Familienministerin von der Leyen blieb in diesen Themenfeld, welches sie jahrelang verantwortete, blass und tauchte in der Diskussion unter.

Göring-Eckardt war deutlich aktiver als in manchen TV-Auftritten zuvor, vor allem bei dem Thema Bildung und Digitalisierung. Bemerkenswerte Einigkeit aller Parteien gab es bei der Forderung der Aufhebung des Kooperationsverbots in der Bildungspolitik. Dies konkretisierte Manuela Schwesig mit der Forderung die Überschüsse des Bundes in der Bildung einzusetzen.

Dritter Punkt: Innere Sicherheit

Lindner punktete vor allem bei der Inneren Sicherheit und bei der Aussage, dass der Fall des Terroristen Amri hätte verhindert werden können, wenn es die föderale Zersplitterung der Sicherheitsorgane nicht gegeben hätte. Interessant war auch die durchgehend gute Echtzeitbewertung von Sahra Wagenknecht bei ihren Anhängern. Diese brach etwas ein als sie sich für mehr Polizeistellen aussprach.

Vierte Runde: Deutschland in der Zukunft

Die letzte inhaltliche Runde drehte sich um die Frage, wie Deutschland in Zukunft aussehen wird. Gauland bezweifelte als Einziger den menschlichen Einfluss auf den Klimawandel und kam zum Ergebnis: „Lasst die Energiewende bleiben.“ Mit dieser Meinung stand er alleine in der Runde. Ursula von der Leyen musste das Verfehlen der Klimaziele und das Nichterreichen der Elektroautoquote rechtfertigen, was ihr aus Sicht der Debat-O-Meter-Teilnehmer nur schlecht gelang.

Tops und Flops der Debatte

Tops und Flops in der Bewertung

Was sind jetzt die wichtigsten Momente der Debatte? Sahra Wagenknecht konnte die Unentschlossenen besonders mit Ihrem Investitionsaufruf in die Schulausstattung und Ihrer Forderung überzeugen „Steuersparmodellen der Konzerne den Boden zu entziehen“. Auch das linke Lager bewertete dieses Statement sehr positiv. Bei AfD-Anhängern und im bürgerlichen Lager konnte Sahra Wagenknecht besonders mit der Kritik an den beiden Regierungsparteien SPD und CDU punkten. Am meisten Widerspruch erfuhr Sie aus dem bürgerlichen Lager für Ihren Vorwurf an alle anderen Parteien, in den vergangenen Jahren Sozialabbau betrieben und so den Boden für die AfD bereitet zu haben. Den AfD Anhänger missfiel hingegen Wagenknechts AfD-Vergleich mit der NPD.

Keine Unterstützung für Gauland

Was waren die Tops und Flops für Alexander Gauland? Die eigenen Anhänger konnte Alexander Galuand besonders mit einem Angriff auf die FDP begeistern, als es um deren Haltung zur Europolitik ging. Bei den Unentschlossenen kam sein Vorschlag eines Systemwechsels im Rentensystem „à la Schweiz“ gut an. Von den anderen Gruppen erhielt Alexander Gauland zu keiner Zeit sichtbare Unterstützung. Am meisten Widerspruch aus der Gruppe der Unentschlossenen erfuhr er als er Parteikollegin und AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel in der Affäre um eine rassistische E-Mail verteidigte und sich für sein geäußertes Lob deutscher Wehrmachtssoldaten rechtfertigte.

Göring-Eckardt bleibt optimistisch

Wie wurde Katrin Göring-Eckardt von den Grünen von den Debat-O-Meter Teilnehmern wahrgenommen? Der beste Moment für Katrin Göring-Eckardt wird von fast allen Gruppen bei ihrer Aussage zur erhöhten Armut in Deutschland gesehen. Ihren Optimismus in der Schlussrunde als sie das Abschneiden der Grünen vorhersagen sollte, teilen die meisten hingegen nicht. Naturgemäß lehnten die AfD-Anhänger Katrin Göring-Eckardts Angriffe auf die von ihnen unterstützte Partei besonders ab.

Blasse Vertreter von CDU und CSU

Und wie konnte sich CSU-Mann Joachim Herrmann in der Debatte schlagen? Aus Sicht der Debat-O-Meter Teilnehmer blieb der bayrische Innenminister und CSU Spitzenkandidat recht blass. Leichte Zustimmung erhielt er lediglich mit seiner Forderung nach mehr und günstigeren Wohnraum - dies sowohl im bürgerlichen als auch im AfD-Lager. AfD-Anhänger provozierte er mit seinem Bekenntnis, dass Kanzlerin Merkel gemeinsame Kandidatin von CDU und CSU sei. Das linke Lager erzürnte er, als er gleich zu Beginn der Sendung die Altersarmut in Deutschland relativierte.

Ähnlich wie ihr Unionskollege von der CSU wurde von der Leyen als CDU-Vertreterin kaum von den Zuschauern wahrgenommen. Sie erhielt nur bedingt Zuspruch. Einen überzeugenden Moment zeigt sie für das linke Lager bei ihren Ausführungen zur demokratischen Debattenkultur. Widerstand erzeugte sowohl bei den Unentschlossenen und im linken Lager hingegen Ihre Verteidigung der eigenen Regierungspolitik.

Auch Schwesig bleibt blass

Die SPD-Vertreterin Manuela Schwesig hatte ihren besten Moment bei den Unentschlossenen und über die politischen Lager (mit Ausnahme der Bürgerlich-Konservativen) hinweg als sie der CDU Nähe zu Lobbyisten vorwarf. Ihre optimistische Wahlprognose für die SPD wurde von den Teilnehmern hingegen negativ gesehen.

Lindner punkte mit Attacke gegen AfD

FDP Frontmann Christian Lindner konnte mit drei Statements in den unterschiedlichen Gruppen punkten. Die Unentschlossenen überzeugte er mit seinen Aussagen über den Fall Anis Amri. Im linken Lager konnte er mit seiner direkten Forderung an die AfD gefallen, Problemlösungen für den Alltag der Menschen zu präsentieren und die Partei so zu stellen. AfD-Anhänger und das bürgerliche Lager folgten ihm in seiner Einschätzung des Mangels einer echten Opposition im Bundestag in der ablaufenden Legislaturperiode. Den AfD-Anhängern missfiel seine Ausführung, dass die Partei mit Ressentiments bis über die Grenze des Rassismus hinaus arbeite.