Will mit starken Leistungen in der Scharrena überzeugen: Stuttgarts Turnstar Marcel Nguyen Foto: Pressefoto Baumann

Seit seinen Erfolgen bei Olympia 2012 ist Marcel Nguyen in Asien ein gefragter Gast. Das ist gut für seine Kasse. Aber gar nicht gut für seine Leistung, sagen Kritiker. Der Barrenspezialist vom MTV Stuttgart will bei der Turn-DM an diesem Wochenende das Gegenteil beweisen.

Stuttgart - Für Marcel Nguyen (26) ist es etwas Besonderes, dass die Deutsche Meisterschaften im Geräteturnen an diesem Wochenende in der Stuttgarter Scharrena stattfinden. „Die Atmosphäre dort ist immer sehr gut“, sagt der Turnstar des MTV Stuttgart, „ außerdem wohne ich nur wenige Minuten entfernt in Bad Cannstatt.“ Das bedeutet, er kann zuhause schlafen und bis vor Wettkampfbeginn im Kunstturnforum neben der Mercedes-Benz-Arena trainieren.

Diesen Heimvorteil will er unbedingt nutzen. Für Nguyen geht es bei den nationalen Titelkämpfen nicht nur um Medaillen, es geht für ihn vor allem darum, das Ticket für die Weltmeisterschaften in Nanning (3. bis 12. Oktober) zu holen. Zwar ist sich sein Trainer Valeri Belenki sicher, dass „Marcel sich sowieso für die WM qualifiziert“. Allerdings zeigte Nguyen bei der EM im Mai in Sofia und bei der ersten internen WM-Qualifikation des Deutschen Turner-Bundes (DTB) Anfang August in Kienbaum schwache bis durchwachsene Leistungen. Jetzt will er Selbstvertrauen sammeln und mit hochkarätigen Übungen an allen Geräten ein sportliches Ausrufezeichen setzen. „Ich bin auf einem guten Weg, aber noch nicht an der Spitze meiner Leistungsfähigkeit angekommen“, sagt Nguyen. Aber immerhin, der Vorzeigeturner fokussiert sich derzeit wieder voll auf den Sport.

Das war in der jüngeren Vergangenheit nicht immer so. Mit seinen spektakulären Auftritten und den zwei Silbermedaillen bei den Olympischen Spielen 2012 in London hat der Sohn eines Vietnamesen und einer Deutschen einen Begeisterungssturm in Asien ausgelöst. Seither pendelt Nguyen zwischen zwei Welten: zwischen Sport und Kommerz. Immer wieder reiste er nach Hongkong. Dort trat er als Stargast bei der Fashion-Week, in Fernsehshows und bei Auto-Präsentationen auf. Das brachte Geld, das Trainingspensum jedoch litt. Und – wie die Ergebnisse in Sofia und in Kienbaum zeigen – auch die Leistung.

„Die Reisen stören natürlich den Vorbereitungsprozess“, erklärt Belenki, „aber ich kann Marcel verstehen, er muss damit Geld verdienen, solange es geht.“ Weniger Verständnis für die Werbeausflüge hat Bundestrainer Andreas Hirsch. Als Nguyen auch noch ankündigte, in Zukunft nicht mehr den kompletten Mehrkampf turnen zu wollen, bat der DTB-Chefcoach zu einem klärenden Vier-Augen-Gespräch. Das Ergebnis: Nguyen ruderte zurück, er bleibt auch mittelfristig Teil des deutschen Mehrkampfteams. „Körperlich wird es schwerer, je älter ich werde. Deswegen wollte ich mich auf meine starken Geräte konzentrieren“, erklärt der Barrenspezialist, „aber der Bundestrainer hat mir klargemacht, dass es gut wäre, wenn ich beim Mehrkampf dabeibleibe.“

Und so wird es jetzt auch sein. Nguyen bereitet sich mit Blick auf die WM im chinesischen Nanning und die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro auf alle Geräte vor – auch auf das von ihm ungeliebte Pauschenpferd: „Da gehe ich schon ungern dran“, sagt er. Trotz der Vorbereitungen auf Rio plant der zweimalige Barren-Europameister, in Kürze aus der Sportfördergruppe der Bundeswehr auszutreten und bereits in diesem Wintersemester ein BWL-Studium zu beginnen. Er will vorsorgen – für die Zeit nach der sportlichen Karriere. An der Ludwig-Maximilians-Universität in München hat er die Zusage für einen Studienplatz bekommen. Nimmt er ihn an, wäre das mit einer Rückkehr zu seinem Heimatverein TSV Unterhaching verbunden. Die andere Option ist, an der Hochschule Pforzheim zu studieren und beim MTV Stuttgart zu bleiben. In den Tagen nach der DM soll eine Entscheidung fallen.

Unabhängig von der dann anstehenden Doppelbelastung mit Training und Studium plant Marcel Nguyen, auch künftig zu Werbezwecken immer wieder nach Asien zu fliegen. Die Weltmeisterschaften in Nanning spielen ihm voll in die Karten. „Das ist eine super Plattform für mich“, sagt er. Jetzt muss er bei der DM nur noch das Ticket lösen.