Hier transplantieren Ärzte eine Niere Foto: dapd

Türkische Ärzte sorgen mit gewagten Operationen für Aufsehen. Jetzt wird erstmals Kritik laut.

Istanbul - Sevket Cavdar wollte nichts so sehr wie ein normales Leben. Für den 27-jährigen Türken, der bei einem Stromunfall vor 14 Jahren beide Arme und Beine verloren hatte, war der Ankaraner Arzt Serdar Nasir deshalb so etwas wie ein Retter. Der Mediziner wählte Cavdar für eine weltweit einmalige Operation aus: Zum ersten Mal sollte ein Patient per Transplantation zwei neue Arme und Beine erhalten. Zunächst sah bei der Operation Ende Februar alles nach einem Erfolg aus. Doch bald traten Probleme auf, die Mediziner mussten die Gliedmaßen wieder amputieren. Drei Tage nach dem Eingriff starb Cavdar – ein Opfer des Ehrgeizes einiger Mediziner, sagen Kritiker.

Serdar Nasir ist nicht der einzige medizinische Pionier in der Türkei, der in jüngster Zeit mit einer spektakulären Transplantation von sich reden gemacht hat. Ömer Özkan von der Universität in Antalya gelang im Januar die erste erfolgreiche Gesichtstransplantation des Landes. Özkan wurde nach dem Erfolg über Nacht zum gefeierten Medienstar. Nach dem Tod von Sevket Cavdar in Ankara stellte sich heraus, dass die Ärzte Özkan und Nasir seit Jahren berufliche Rivalen sind.

Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Nasir, auch das Gesundheitsministerium und die Ärztekammer haben Untersuchungen eingeleitet. Nach Presseberichten könnte Nasirs Ankaraner Uniklinik, bisher ein Transplantationszentrum der Türkei, die Genehmigung für Transplantationen verlieren. Kritiker sagen, bei den schlagzeilenträchtigen Operationen werde das Wohl der Patienten ignoriert. Im Fall von Sevket Cavdar sei der Grundsatz missachtet worden, dass die zu erwartenden Vorteile durch die Operation die möglichen Risiken klar überwiegen müssten, sagte Orhan Demir, Chef der Gruppe Aktivisten für Patientenrechte, im Gespräch mit unserer Zeitung. Cavdar habe schließlich lange Jahre ohne seine Gliedmaßen gelebt – und würde immer noch leben, wenn er nicht operiert worden wäre.

Der Faszination folgt das Befremden

Auch in medizinischen Kreisen werden Zweifel laut. Nach der erfolgreichen Gesichtstransplantation im Januar seien viele Kollegen fasziniert gewesen, sagte ein Istanbuler Arzt. Doch die dann sehr rasche folgende Vierfach-Transplantation in Istanbul habe viele Ärzte befremdet. „Das war eine überschnelle Aktion, das war schon Tollkühnheit“, sagte er. Auch Patientenaktivist Demir betonte, es bestünden Zweifel hinsichtlich der Motive der Ankaraner Ärzte. „Wenn man sofort nach der Operation raus rennt und vor die Kameras geht, dann ist klar, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, dass es hier um Konkurrenz geht.“

Nasir hatte noch während der Operation an Cavdar ein Fernsehinterview gegeben; eine Zeitung zitierte einen Arzt aus Nasirs Team mit den Worten, nach der erfolgreichen Gesichtsoperation in Antalya solle in Ankara mit der Vierfach-Transplantation ein neuer Weltrekord aufgestellt werden. Ein Wettlauf um Ruhm und Ehre auf dem Rücken der Patienten? Die Kolumnistin Asly Aydintasbas kritisierte, ernste medizinische Dinge seien zu einer Art „Eurovision Song Contest“ gemacht worden. Patienten würden behandelt wie Versuchskaninchen und den Medien präsentiert, „nur damit drei Leute in Ankara damit angeben können“, schrieb Aydintasbas in der Zeitung „Milliyet“.

Der Oppositionsabgeordnete Aytun Ciray sieht zudem eine Verantwortung der Regierung. Das Gesundheitsministerium habe mit der letztlich gescheiterten Vierfach-Transplantation zeigen wollen, „dass die Türkei kann, was andere Länder nicht können“, sagte Ciray. Ohne politische Unterstützung hätten die Ärzte in Ankara den Eingriff nicht gewagt. Ciray und andere befürchten, dass Cavdars Tod und der Wirbel um die Transplantationsärzte die Bereitschaft zur Organspende in der Türkei zurückgehen lassen wird. Der Behindertenaktivist Hasan Kuyucak ist ebenfalls der Meinung, dass die Vierfach-Transplantation „ein großer Fehler“ war. Dennoch seien die Transplantationen für Betroffene wie Cavdar ein wichtiges Zeichen: „Das ist und bleibt ein Tor der Hoffnung.“ Hoffnung auf ein normales Leben.