Durch Explosionen sind zahlreiche Gebäude schwer beschädigt Foto: EPA

Knapp drei Wochen vor der türkischen Parlamentswahl am 7. Juni wird der Wahlkampf von blutiger Gewalt überschattet. Bei zeitgleichen Bombenanschlägen auf Vertretungen der Kurdenpartei HDP in den südtürkischen Städten Mersin und Adana wurden am Montag sechs Menschen verletzt.

Mersin/Istanbul - Die Explosion in Mersin ereignete sich nur wenige Stunden vor einer Wahlkampfkundgebung von HDP-Chef Selahattin Demirtas in der Stadt. HDP-Vertreter und Regierungskritiker sprechen von einem Versuch, die Kurdenpartei und deren Wähler einzuschüchtern.

Ein Kurier hatte am Wochenende eine Topfblume zur HDP-Vertretung in Mersin gebracht, was die Parteimitarbeiter sofort misstrauisch machte. Die HDP-Vertreter argwöhnten, im Blumentopf sei wohl ein Abhörgerät der Polizei versteckt, schließlich betrachten die Behörden die HDP als verlängerten Arm der PKK-Kurdenrebellen. Die Parteimitarbeiter stellten den Topf deshalb erst einmal auf die Terrasse. Am Montagmorgen explodierte der Blumentopf – und zwar zur selben Zeit, zu der im HDP-Büro im 50 Kilometer entfernten Adana ein gerade eingegangenes Paket in die Luft flog.

Die Explosionen verdrängten sofort andere Themen von der politischen Tagesordnung der Türkei, denn kurz vor der Wahl rückt die HDP immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Ihr Abschneiden könnte mit darüber entscheiden, ob die AKP von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu und Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ihren Plan zur Einführung eines Präsidialsystems verwirklichen können.

In den Umfragen liegt die AKP mit 40 bis 45 Prozent weit vorne, gefolgt von der säkulären Partei CHP mit etwa 25 Prozent und der Rechtspartei MHP mit 15 bis 18 Prozent. Die HDP liegt um die zehn Prozent – wenn die Kurdenpartei den Sprung über die ZehnProzent-Hürde ins Parlament schafft, sinken die Chancen für die AKP auf eine verfassungsändernde Mehrheit von Sitzen in der neuen Volksvertretung, um das Präsidialsystem durchzusetzen. Deshalb greifen AKP, Davutoglu und Erdogan die HDP in jüngster Zeit ganz besonders scharf an.

Nach den Anschlägen vom Montag verurteilte auch die Regierung die Gewalttaten. Davutoglu betonte, die Behörden unternähmen alles zur Aufklärung der Anschläge. Doch die HDP hält solche Stellungnahmen für reine Heuchelei: Davutoglu und Erdogan trügen die politische Verantwortung für die Gewalttaten, erklärte die Kurdenpartei. Schon vor den beiden Bombenexplosionen habe es rund 60 Angriffe auf Büros, Fahrzeuge und Mitarbeiter der HDP gegeben. „Dunkle Kräfte“ wollten im Auftrag der Regierung den Aufstieg der HDP stoppen.

Parteichef Demirtas sprach von „einem einzigen Zentrum“, das die Anschläge gegen seine Partei plane und koordiniere. Verantwortlich seien jene AKP-Politiker, die ein mögliches Scheitern der HDP an der Zehn-Prozent-Hürde „super“ fänden.

Damit meinte Demirtas den Vizepremier Yalcin Akdogan. Dieser hatte die HDP vergangene Woche mit rechtsextremen Parteien in Europa verglichen und erklärt, ein Parlamentseintritt der Kurdenpartei sei gefährlich für die Demokratie, weil die HDP unter dem Befehl der PKK-Kurdenrebellen stehe. Wenn die HDP unter zehn Prozent bleibe, wäre das „super“, hatte Akdogan gesagt. Solche Äußerungen gelten nun als Hinweis darauf, dass die Regierung oder militante Regierungsanhänger alle – auch gewalttätige – Mittel einsetzen, um die HDP unter zehn Prozent zu halten.

Allerdings gibt es für eine Verwicklung der Regierung keinerlei Beweise. Zudem ist es nicht sicher, dass die Gewalttaten der HDP wirklich schaden werden. Gut möglich, dass die HDP nach den Anschlägen sogar zusätzliche Sympathien erhält. AKP-Politiker brachten deshalb die These ins Gespräch, die Anschläge seien von der PKK verübt worden, um die HDP vom Mitleidseffekt profitieren zu lassen.