In der S-Bahn-Station Hauptbahnhof steigen Fahrgäste aus und ein – neuerdings versucht die Bahn AG mit Personal, den Fahrgastwechsel zu beschleunigen und den Zughalt zu verkürzen. Foto: Max Kovalenko

Unter den S-Bahn-Fahrgästen der Linie S1 gärt es: Die neuen Züge, die nach und nach auf die Schiene kommen, produzieren durch Kinderkrankheiten massive Verspätungen. Aber auch in den anderen Zügen schließen sich die Türen nicht so schnell wie erhofft.

Stuttgart - Ein nagelneuer Zug des Modells ET 430 bleibt am Mittwoch kurz nach 8 Uhr morgens in der Station Feuersee liegen – wegen einer Störung der Türautomatik. Am Montag gegen 10 Uhr fährt die S 1 am Bahnhof Bad Cannstatt nicht weiter. Eine Durchsage meldet „technische Probleme mit der Tür“, berichtet Fahrgast Sascha Maier aus Esslingen. Aussteigen bitte, heißt es – ohne Hinweis auf die nächste Fahrt zum Hauptbahnhof.

Zwei Beispiele für Züge, die seit Einführung des neuen Modells auf der S 1 am 25. April auf der Strecke blieben – weil der Zug wegen Fehlermeldungen die Weiterfahrt versagte oder die Verspätung so groß war, dass er vorzeitig umkehren musste, um nicht den Betrieb aufzuhalten. Wie viele Züge es insgesamt waren, sagt ein Sprecher der Bahn-Tochter DB Regio nicht, er räumt nur ein: „Es gibt Fälle. Die Zahl wird noch ermittelt.“

Den Fahrgästen geht es aber nicht nur um diese Extremfälle, sie bemängeln vor allem ständige Verspätungen. Roland Öhrlich aus Bondorf im Kreis Böblingen berichtet von der vergangenen Arbeitswoche: „An fünf Tagen hatten wir vier Verspätungen von mehr als 30 Minuten und einmal 15 Minuten. Neuer Rekord!!!“ Öhrlich trauert den bisher aktuellsten Modellen nach, die künftig auf den Linien S 4, S 5, S 6 und S 60 eingesetzt werden: „Die waren nur fünf Minuten verspätet.“ Heike Waldron, die auf dem Heimweg in Herrenberg auf die Ammertalbahn umsteigt, findet es „unfassbar, dass eine derart unausgereifte Technik zum Einsatz kommt“. Sie verpasst quasi täglich ihren Anschluss, was dazu führe, „dass man doppelt so lange unterwegs ist wie sonst“. Jan Orzech aus Bodelshausen (Kreis Tübingen) bestätigt das: „Für Pendler wie mich bedeutet das 30 bis 45 Minuten Zeitverlust je Strecke.“ Zudem würden im Feierabendverkehr regelmäßig Züge ersatzlos gestrichen.

„Wir machen gewaltigen Druck, dass der Hersteller die Probleme löst“

Das Hauptproblem des neuen Zugs: Er hat einen Schiebetritt, um den Spalt zum Bahnsteig für Rollstuhlfahrer oder Kinderwagen zu überbrücken. Das Ausfahren des Tritts verlängert den Vorgang des Türöffnens laut Bahn-Sprecher von etwa drei bis vier Sekunden auf rund sieben Sekunden. „Das habe ich selbst gemessen“, sagt der Sprecher und weist Spekulationen über bis zu 15 Sekunden zurück. Er gibt zu: „Es gibt Probleme im Bereich Schiebetritt.“ Er verspricht: „Wir machen gewaltigen Druck, dass der Hersteller die Probleme löst.“

Zugbauer Bombardier hat bisher zwölf Exemplare des ET 430 nach Stuttgart ausgeliefert. Von diesen sind nach Informationen der Stuttgarter Nachrichten aber höchstens acht gleichzeitig im Netz unterwegs, da vier weitere zum Nachjustieren vieler technischer Details jeweils im S-Bahn-Betriebswerk in Plochingen (Kreis Esslingen) bleiben müssen. „Wir sind eben noch nicht im Regelbetrieb“, wiegelt der Bahn-Sprecher ab, „sondern quasi in der Testphase.“

Einen neu entwickelten Zug auf nächtlichen Testfahrten ohne Fahrgäste zu testen, ist das eine. „Im Alltag zeigt sich aber, wie sich der Zug im harten täglichen Einsatz bewährt.“ Da kann es offensichtlich mal vorkommen, dass sich ein Schiebetritt nicht mehr einfahren lässt, wie vergangene Woche in der Station Stadtmitte. Dort musste einer der Techniker von Bombardier ran, von denen bei jeder Fahrt des ET 430 einer unter den Fahrgästen sitzt. Er konnte den Tritt zwar von Hand zurückschieben. Der Zug verweigerte trotzdem die Weiterfahrt, da die Fehlermeldung im Bordcomputer blieb.

Bahn-Sprecher: Verspätungen wegen einer „Reihe von technischen Störungen“

Unabhängig vom neuen Zug hat die S-Bahn generell ein Problem, den Fahrplan einzuhalten – und zwar zunehmend. Nachdem das Eisenbahn-Bundesamt Ende Januar die zuvor gesperrten Gleise 8 und 10 im Hauptbahnhof wieder freigegeben hatte, stellte Christian Becker von der Bahn-Tochter DB Netz AG eine „dramatische Stabilisierung der Pünktlichkeit“ in Aussicht. Das Gegenteil trat ein: Im April waren 87,5 Prozent aller Züge pünktlich oder mit weniger als drei Minuten verspätet – fast genauso viele wie im Januar und 2,4 Prozent weniger als im April 2012. Im Mai entfernte sich der Wert mit 87,1 Prozent noch weiter vom festgelegten Ziel 94,5 Prozent. Werte für die Hauptverkehrszeit in diesen Monaten rückt die Bahn nicht heraus. Diese liegen in der Regel deutlich darunter, im ganzen Jahr 2012 etwa bei 75,3 Prozent.

Der Bahn-Sprecher kann die zunehmenden Verspätungen schon vor Einführung des ET 430 nicht wirklich erklären. Er nennt eine „Reihe von technischen Störungen“ – mal an Signalen, mal an Weichen, mal an der Oberleitung. S-Bahn-Chef Hans-Albrecht Krause verweist auf das grundsätzliche Problem mit den Türen neuerer Generation, die sowohl in den ET 430 als auch in den ET 423 eingebaut sind, die künftig auf S 4, S 5, S 6 und S 60 fahren. Diese Türen schließen nicht, so lange ein Fahrgast, ein Koffer oder ein Fahrrad in die Lichtschranke im Zug ragt oder jemand ins Abteil springen will.

Damit die Zugführer ihre Fahrzeuge künftig zentral schließen können, soll zunächst die Station Hauptbahnhof für über 100.000 Euro mit Kameras und Monitoren ausgestattet werden. Damit hofft Krause auf Gewinne bei der Jagd nach den Sekunden vor allem in der Hauptverkehrszeit. Allerdings frühestens Ende des Jahres. „Auch wenn es mir nicht gefällt, das zu sagen, aber diese Verspätungen werden nicht so schnell besser werden“, gibt Krause zu. Zumal bisher nur 60 Züge des Modells ET 423 solche Türen haben, nun kommen weitere 87 in diesem Detail baugleiche ET 430 dazu.