In Europa mehren sich die Stimmen gegen ein Freihandelsabkommen mit den USA. Foto: AFP

Nachdem Wirtschaftsminister Gabriel keinen erfolgreichen Abschluss des Freihandelsabkommens der EU mit den USA für möglich hält, fordert nun die französische Regierung einen Abbruch der TTIP-Verhandlungen. Die USA sind irritiert.

Paris/Stuttgart/Washington - Frankreich geht immer stärker auf Distanz zum geplanten TTIP-Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Präsident François Hollande sagte am Dienstag in Paris, er halte im gegenwärtigen Umfeld keine Vereinbarung zu TTIP bis zum Jahresende für möglich. Die Verhandlungen seien festgefahren und zu unausgewogen. Er könne keine Abmachung unterstützen, die vor Ende der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama abgeschlossen würde. Obama scheidet am 20. Januar 2017 aus dem Amt. Die beiden US-Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton und Donald Trump lehnen TTIP, so wie es sich bislang abzeichnet, ab.

Zuvor hatten schon der französische Handelsminister Matthias Fekl erklärt, er werde einen Stopp der TTIP-Verhandlungen beantragen. „Es gibt keine politische Unterstützung Frankreichs für diese Verhandlungen mehr“, sagte Matthias Fekl im Radiosender RMC. „Frankreich verlangt den Abbruch der Verhandlungen.“ Beim kommenden Handelsministertreffen am 23. September in Bratislava werde Paris diese Forderung offiziell einbringen, präzisierte Fekl. „Und wenn ein Land wie Frankreich ein solches Abkommen nicht will, dann wird es dieses auch nicht geben.“ In den Beziehungen zwischen Europa und den USA stehe es nicht zum Besten. Als Grund nannte der Franzose die Unnachgiebigkeit der USA: „Die Amerikaner geben nichts oder nur Brosamen. Auf diese Weise verhandelt man nicht zwischen Bündnispartnern.“ Fekl schlug einen Neustart auf anderer Grundlage vor.

Neustart mit neuem Verhandlungsmandat?

Frankreich war der geplanten „Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft“ (TTIP) ursprünglich eher gewogen gewesen. Präsident Hollande sah darin ein Mittel, die Wirtschaftsflaute im eigenen Land zu bekämpfen – und damit seine Chancen bei den kommenden Wahlen in Frankreich zu erhöhen. Doch nun wachsen seit Monaten die Zweifel daran, dass der Vertrag zustande kommt; Hollande hatte schon zuvor mit der Ablehnung des Abkommens gedroht. Sein Land werde „niemals akzeptieren, dass die Grundprinzipien für unsere Landwirtschaft, unsere Kultur, für die Gegenseitigkeit beim Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen in Frage gestellt werden“.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der die TTIP-Verhandlungen am Sonntag als „de facto gescheitert“ bezeichnet hatte, erläuterte am Dienstag, es werde in diesem Jahr kein Verhandlungsergebnis mehr erzielt werden. Auch er hält einen Neustart mit neuem Verhandlungsmandat für realistisch – „lange“ nach der US-Präsidentschaftswahl. Denn „der eine will es gar nicht“, sagte der SPD-Chef mit Blick auf den republikanischen Kandidaten Donald Trump, „und die andere hat massive Bedenken“ gegen TTIP, sagte er über die Kandidatin der Demokraten, Hillary Clinton. Für Greenpeace ist klar: „Die Verhandlungen kommen nicht voran, weil die Positionen der USA und der EU unvereinbar sind“, erklärte die Umweltorganisation. „Ein erzwungener Kompromiss“ würde in Europa und den USA „zu niedrigen Standards beim Schutz von Umwelt und Verbrauchern führen“. Auch Gewerkschaften befürchten Einschnitte. Gabriel hatte sich mit seinem TTIP-Abgesang vom Wochenende scharfe Kritik von Wirtschaftsverbänden sowie vom Koalitionspartner Union eingehandelt. Industrie und Wirtschaft geben TTIP noch nicht verloren. „Ziel muss es sein, die Verhandlungen bis zum Herbst so weit voranzutreiben, dass die politisch Verantwortlichen auf US- und europäischer Seite die schwierigsten Fragen lösen können“, fordert etwa Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der Automobilindustrie.

Landesregierung hält an TTIP-Plänen fest

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström beteuerte, die Verhandlungen seien nicht gescheitert. Sie räumte ein, dass die Gesprächspartner „vor Jahresende nicht zum Abschluss kommen“ könnten. Allerdings sei es weiterhin das Ziel, die Gespräche noch während der Amtszeit Obamas abzuschließen. Wenn es bis dahin nicht klappe, sei es zumindest „sinnvoll, so viel Fortschritt wie möglich zu erreichen“, sagte Malmström. Auch die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg bleibt bei ihrer Haltung. Dass die Verhandlungen schwierig und langwierig seien, stünde außer Frage, sagte Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU). Aber „wir brauchen eine Freihandelszone, die aber auch den vereinbarten Standards im Verbraucher-, Arbeitsschutz und Umweltschutz Rechnung trägt“. Die USA sind nach Ländern der Europäischen Union der wichtigste Handelspartner Baden-Württembergs. 2015 gingen Exporte im Wert von knapp 26 Milliarden Euro – 13,3 Prozent der gesamten Ausfuhren des Landes - über den Atlantik. „Sollte das Abkommen scheitern, wäre dies ein herber Rückschlag für die Bemühungen der Wirtschaft und vor allem des Mittelstands in Baden-Württemberg, Marktanteile im amerikanischen Raum zu halten und neue zu erschließen“, warnte Hoffmeister-Kraut.

USA halten einen TTIP-Abschluss weiter für möglich

Die US-Regierung reagierte irritiert auf die pessimistischen Stimmen aus Europa: Der Sprecher des US-Handelsbeauftragten Michael Froman sagte „Spiegel Online“, die Verhandlungen machten „in Wahrheit ständig Fortschritte“. „Es liegt in der Natur von Handelsgesprächen, dass nichts vereinbart ist, bis alles vereinbart ist.“ Das Weiße Haus erklärte, ein Abschluss der Verhandlungen bis Ende des Jahres sei nach wie vor möglich. Jedenfalls würden sich Präsident Barack Obama und sein Team weiter intensiv darum bemühen, Hindernisse aus dem Weg zu schaffen, sagte ein Präsidentensprecher. Trotz dieser offiziellen Erklärungen stehen die Chancen schlecht, dass sich die USA und die EU bis zum Ende der Amtszeit Obamas auf ein Abkommen einigen werden. Das ist dem laufenden Präsidentschaftswahlkampf geschuldet, in dem alle Kandidaten die Skepsis der Amerikaner gegenüber Freihandelsabkommen bedienen. Trump etwa spricht sich für eine protektionistische Handelspolitik aus und macht Freihandelsabkommen, die von USA in der Vergangenheit unterzeichnet wurden, für den Verlust einheimischer Arbeitsplätze verantwortlich. Auch Clinton, hat ihre Unterstützung für die von Obama geplanten Handelspakte öffentlich eingestellt. Sie reagierte damit auf den überraschenden Erfolg ihres innerparteilichen Widersachers Bernie Sanders, der mit seinen globalisierungs- und handelskritischen Thesen Millionen von Amerikanern begeisterte.

Die EU-Kommission verhandelt seit 2013 mit den USA über das geplante Freihandelsabkommen. Die Mitgliedstaaten hatten der Kommission das Verhandlungsmandat einstimmig erteilt. Doch mittlerweile scheinen wichtige Hürden fast unüberwindbar. Die Amerikaner wollen die öffentlichen Ausschreibungen nicht öffnen, die Europäer blocken bei dem besseren Zugang zu den Agrarmärkten und insbesondere bei dem Verbot von Hormon- und Chlorhühnerfleisch. Keine Einigung ist ferner bei den Rindfleisch- und den Auto-Zöllen in Sicht. Unüberwindbar scheint auch die Frage der von den USA eingebrachten Schiedsgerichte. Sie sollen auch Staaten zu Entschädigungszahlungen verurteilen können.