Lenkt ab sofort die Geschicke Griechenlands: Linksparteichef Alexis Tsipras – hier bei einer Siegesfeier in Athen – wurde noch gestern als Ministerpräsident vereidigt Foto: dpa

Diese Koalition dürfte viele Syriza-Wähler vor den Kopf stoßen. Das griechische Linksbündnis will nach der Wahl mit einer Rechtspartei zusammenarbeiten. Ein klares Signal an Europa.

Athen - Dieses Bündnis ist europaweit einzigartig. Der strahlende Sieger der Parlamentswahl in Griechenland, Alexis Tsipras, geht eine Koalition mit einem historischen Erzfeind ein. Sein Linksbündnis Syriza arbeitet künftig mit den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen zusammen. Im Kampf gegen die Vorgaben der internationalen Geldgeber ignoriert er offenbar bereitwillig viele ideologische Gräben. Innen- und außenpolitisch drohen Konflikte.

Im Wahlkampf setzte Tsipras auf Kompromisslosigkeit. Koalitionen schloss er aus. Doch das Wahlergebnis ließ ihm wenige Möglichkeiten. Die beiden bislang regierenden Parteien der Konservativen und der Sozialisten hatte er wiederholt hart angegriffen. Sie seien Lakaien der internationalen Geldgeber und an der Verelendung im Lande schuld, sagte er. Auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums hat sich Tsipras keine Freunde gemacht. Die kommunistischen Hardliner der KKE verweigerten dem Politiker schon im Wahlkampf jede Unterstützung. Für sie ist auch er ein Repräsentant des kapitalistischen Systems.

Rassistische und rechtsradikale Goldene Morgenröte tabu

Damit blieb Tsipras wenig übrig: Eine Annäherung an die rassistische und rechtsradikale Goldene Morgenröte war selbst für den wandlungsfähigen Politstar undenkbar. Die Parteiführung der nun drittstärksten Kraft in Griechenland hatte ihren Wahlkampf aus dem Gefängnis heraus geführt. Viele Funktionäre sitzen wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung in U-Haft. Also lief alles auf die Unabhängigen Griechen (Anel) hinaus, und tatsächlich: Tsipras wurde sich schnell handelseinig mit dem Rechtspopulisten Panos Kammenos.

Der 49-jährige Kammenos sitzt schon seit 1993 im Parlament. Bis zum Februar 2012 gehörte er der konservativen Nea Dimokratia (ND) an. Der Ökonom mit Studienaufenthalten in Frankreich und der Schweiz amtierte 2009 unter dem damaligen ND-Regierungschef Kostas Karamanlis als Vizeminister für Handelsschifffahrt, Ägäis und Inselpolitik. Wegen seines scharfen Protests gegen den Sparkurs in Athen schloss ihn ND-Chef Antonis Samaras im Februar 2012 aus der Partei aus. Kammenos gab jedoch nicht auf und gründete die Partei „Unabhängige Griechen“. Erstmals in der Parteiengeschichte Griechenlands geschah dies via Internet. Auf Anhieb schafften Kammenos und Co. bei den Parlamentswahlen im Mai 2012 mit 10,5 Prozent den Einzug ins Athener Parlament.

Politisch sieht Kammenos seine Anel in der Mitte des politischen Spektrums. In der Wirtschafts- und Steuerpolitik ist die Partei marktliberal ausgerichtet. Sie fordert massive Steuersenkungen insbesondere für Unternehmen, um so Investitoren anzulocken. Ferner tritt Anel für einen drastischen Schnitt bei den griechischen Staatsschulden ein.

Widerstand gegen die „Fremdherrscher“ in Athen

Überdies positionierten sich die Unabhängigen Griechen in der Europapolitik als erklärte Anti-Föderalisten. Sie stehen damit nach eigenen Angaben der britischen Ukip nahe. Zuletzt bemühte sich Kammenos zudem um eine Intensivierung der Beziehungen Griechenlands mit der russischen Föderation. Mitten im Wahlkampf besuchte er Moskau, um dort seine bereits geknüpften Kontakte zu vertiefen.

Mit Tsipras versteht sich mit Kammenos gut. Politisch eint sie der Widerstand gegen die „Fremdherrscher“ in Athen – gemeint ist die Gläubiger-Troika aus EU, EZB und Internationalem Währungsfonds. Sie hätten seit 2010 die Griechen unterjocht und einem desaströsen Spardiktat ausgesetzt. Auf jeden Fall solle mit den internationalen Geldgebern ein Schuldenschnitt ausgehandelt werden. Griechenland hat Verbindlichkeiten von rund 320 Milliarden Euro.In der Rhetorik gegen die Troika und insbesondere gegen Berlin schlägt Kammenos sogar noch schärfere Töne als Tsipras an.

Andere Themen dürften zunächst an den Rand gedrängt werden. Im Wahlkampf forderten die Unabhängigen Griechen, Migranten auszuweisen, die sich illegal im Land aufhalten. Syriza ist dagegen für Integration. Und im Streit mit der Türkei um Hoheitsrechte in der Ägäis fordern die Unabhängigen Griechen im Gegensatz zu Syriza eine harte Linie.

„Die Menschen sollten nicht viele Erwartungen an diese Regierung haben“, sagte Wirtschaftswissenschaftler Panagiotis Petrakis von der Universität Athen. Wegen der finanziellen Zwangslage des Landes, aber auch wegen der großen politischen Differenzen habe diese Koalition von Anfang an wenig Handlungsspielraum, sagte er.„Diese Koalition wird auf Sicht fahren“, zeigte sich Wissenschaftler Petrakis überzeugt.

Wenn es so weitergeht wie bisher

In diesem Szenario wandelt sich der neue Ministerpräsident Alexis Tsipras schnell zu einem Realpolitiker. Weil er kaum eine andere Wahl hat, einigt er sich mit den der „Troika“ der internationalen Geldgeber auf eine Fortsetzung der Hilfen für Athen – natürlich unter Bedingungen, um sein Gesicht zu wahren.

So war es auch unter dem bisherige Regierungschef Antonis Samaras und seiner konservativen Nea Dimokratia, die als Opposition strikt gegen den Reform- und Sparkurs waren – ihn aber als Regierungspartei nahtlos fortsetzten. Ganz so glatt dürfte es aber nicht laufen, befürchtet Commerzbank-Volkswirt Christoph Weil: „Die Verhandlungen einer von Tsipras geführten Regierungen und der Troika dürften sehr schwierig werden.“

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker deutete in einer ersten Reaktion an, die Athener Begehren nicht vorschnell abzulehnen: „Wir werden im Detail studieren, wie die Wunschliste der griechischen Regierung aussieht.“ Diese wird von Syriza-Chef Alexis Tsipras geführt werden. EU-Währungskommissar Piere Moscovici sagte, das Ergebnis jahrelanger Einbußen für das griechische Volk dürfe nicht aufs Spiel gesetzt werden.

Wenn die Geldgeber zu Zugeständnissen bereit sind

Immerhin hatte Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem schon Ende 2012 versprochen, dass man Griechenland falls nötig nicht hängen lassen werde – unter der Voraussetzung, dass alle vereinbarten Reformen auch wirklich umgesetzt werden.

Am Montag sagte Dijsselbloem, die Eurogruppe habe schon viel getan, um die Schuldenlast in Athen zu mindern, beispielsweise über niedrige Zinsen und gestreckte Kreditlaufzeiten. „Es ist die Frage, ob wir noch mehr dazu tun müssen.“

Wie diese Hilfen aussehen, ist offen. Als wahrscheinlichste Option galten bisher weitere Erleichterungen bei Zinszahlungen und den Fristen für die Rückzahlung der Kredithilfen. Auch dafür müsste der neue griechische Premier aber eine Fortsetzung des Sparkurses als Bedingung akzeptieren. Andere Themen, die Tsipras ins Gespräch gebracht hatte – wie ein weiterer Schuldenerlass, der zu Lasten europäischer Steuerzahler gehen würde – dürften erst danach auf die Agenda kommen.

Wenn es zu einer Hängepartie kommt

Die neue Regierung in Athen steht unter einem extremen Zeitdruck. Die „Troika“ aus EZB, EU-Kommission und IWF hatte die laufenden Kontrollen der Sparbemühungen in Athen nicht rechtzeitig abschließen können. Das laufende Hilfsprogramm wurde bis Ende Februar verlängert. Zur Diskussion steht eine weitere Verlängerung, der aber mehrere nationale Parlamente zustimmen müssten. Im Gespräch ist auch eine vorbeugende Kreditlinie von rund elf Milliarden Euro.

Je länger sich eine Einigung hinzieht, umso eher droht der Athener Staatskasse Ebbe. „Gibt es keine Anschlussfinanzierung, dann hat Griechenland ein massives Problem“, schreiben die Ökonomen der baden-württembergischen Landesbank LBBW. Eng wird es spätestens im Sommer, wenn die Rückzahlung von Schulden in Milliardenhöhe ansteht. Und die griechischen Banken müssen sich darauf einstellen, dass sie kein frisches Geld bei der EZB mehr bekommen, sollte Athen nicht bald ein neues positives Zwischenzeugnis der Troika bekommen.

Wenn Griechenland aus dem Euro aussteigt

„Der Geist ist aus der Flasche“: So äußerte sich vor kurzem die renommierte Brüsseler Denkfabrik Bruegel. „Europa diskutiert wieder einmal die Möglichkeit eines griechischen Euro-Austritts.“ Ökonomen wie der Ifo-Chef Hans-Werner Sinn empfehlen Athen sogar einen solchen Schritt als Ausweg aus der Krise. Würde Griechenland wieder die Drachme einführen, so sein Argument, könnte die Wirtschaft dort wettbewerbsfähiger werden. Denn mit einer billigen eigenen Währung im Rücken könnte sie ihre Produkte viel günstiger anbieten.

Kehrseite der Medaille: Ein Austritt oder gar Rauswurf aus der Eurozone ist in den EU-Verträgen nicht vorgesehen, sie wäre letztlich nur über einen Austritt aus der EU möglich. Damit wäre ein Verzicht auf alle Hilfen verbunden, die die Gemeinschaft für ihre Mitglieder bereit hält. Außerdem würden Importe in Dollar und Euro sowie der riesige Schuldenberg, der ja in Euro abzutragen ist, auf einen Schlag viel teurer – die Last würde viel größer. In Brüssel wird diese Option deshalb auch nicht ernsthaft erwogen. „Wir möchten ein Griechenland, das in der Lage ist, seine Schulden zu bezahlen“, sagte der EU-Währungskommissar Pierre Moscovici.