Auf welche weiterführende Schule ein Kind gehen darf, entscheiden in Baden-Württemberg die Eltern Foto: dpa

Seit die grün-rote Landesregierung die verbindliche Grundschulempfehlung abgeschafft hat, wächst die Zahl der Sitzenbleiber. Um sich besser auf leistungsschwache Kinder vorbereiten zu können, drängen Schulleiter auf mehr Transparenz – ohne Erfolg.

Seit die grün-rote Landesregierung die verbindliche Grundschulempfehlung abgeschafft hat, wächst die Zahl der Sitzenbleiber. Um sich besser auf leistungsschwache Kinder vorbereiten zu können, drängen Schulleiter auf mehr Transparenz – ohne Erfolg.

Stuttgart - Die leistungsschwachen Schüler und die wachsende Zahl der Sitzenbleiber in den Klassen fünf und sechs bereiten vielen Rektoren in Baden-Württemberg große Sorgen. Die Direktorenvereinigung Südwürttemberg (DVSW) hat jetzt das Kultusministerium aufgefordert, etwas dagegen zu tun. Der Vorschlag der Gymnasialrektoren: Weiterführende Schulen sollten in Zukunft darüber informiert werden, welche Grundschulempfehlung ihre angehenden Fünftklässler erhalten haben. „Damit könnten wir den Umfang der Fördermaßnahmen besser einschätzen und planen“, erklärt die DVSW-Vorsitzende Brigitte Röder. Das Kultusministerium weigert sich aber, die Informationen weiterzugeben – aus Datenschutzgründen.

Seit die grün-rote Landesregierung die verbindliche Grundschulempfehlung abgeschafft hat, können die Eltern entscheiden, auf welche Schule ihr Kind nach der vierten Klasse wechselt. Die Folgen: Auch leistungsschwächere Heranwachsende werden aufs Gymnasium oder die Realschule geschickt, die Zahl der Schüler, die eine Klasse wiederholen müssen, wächst. Nach den Sommerferien, die bis zum 14. September dauern, müssen 1,6 Prozent der Fünftklässler an den Gymnasien eine Ehrenrunde drehen. Im Jahr zuvor waren es noch 1,3 Prozent. Die Sitzenbleiberquote der Fünftklässler an Realschulen wuchs von 3,9 (2012/13) auf 4,4 Prozent (2013/14) an.

Mit Extraunterricht gegen Sprach-, Lese-, Rechtschreib- und Mathematikschwächen wollen Politik und Lehrer dem Trend entgegenwirken. Der Plan: Schwächere Schüler sollen individuell so gefördert werden, dass sie die Prüfungen bestehen und die Lücke zu ihren leistungsstärkeren Klassenkameraden nicht zu groß wird. Kultusminister Andreas Stoch (SPD) sieht an diesem Punkt Handlungsbedarf: „Die individuelle Förderung muss erheblich ausgebaut werden“, sagt er, „dafür brauchen wir gute pädagogische Konzepte und die notwendigen Ressourcen.“

Für Stoch ist es indes keine Option, die Grundschulempfehlungen an Gymnasien und Realschulen weiterzuleiten, damit sich diese besser auf den leistungsschwachen Nachwuchs vorbereiten können. Ein Sprecher verweist darauf, dass die Eltern der neuen Schule Informationen zukommen lassen könnten, wenn sie denn wollten. Offenbar wird befürchtet, dass ein vermeintlich schwächeres Kind anhand der Grundschulempfehlung stigmatisiert werden könnte. DVSW-Chefin Brigitte Röder wirft dem Kultusministerium im Gegenzug Misstrauen gegenüber den Lehrern vor. Es sei eine Unterstellung anzunehmen, dass die Pädagogen leistungsschwache Schüler „rausprüfen“ würden, sagte die Rektorin des Ulmer Kepler-Gymnasiums.

Die Opposition fordert Grün-Rot auf, die Rückmeldungen und Forderungen der Direktoren ernst zu nehmen. Da der einzelne Schüler besser gefördert werden könne, wenn der Direktor und die Lehrkräfte der aufnehmenden Schule über die Grundschulempfehlung Bescheid wisse, „sollte ihnen diese Information nicht weiter vorenthalten werden“, sagte der bildungspolitische Sprecher der FDP, Timm Kern. Auch der CDU-Bildungsexperte Georg Wacker fordert mehr Transparenz: „Das hat nichts mit Stigmatisierung der jungen Menschen zu tun.“ Er sei überzeugt, dass die Lehrer verantwortungsvoll mit den Auskünften umgehen. Ohne neue Maßnahmen drohten die Sitzenbleiber in der Unterstufe zu „Bildungsverlierern“ zu werden.

Unterdessen drängt der Berufsschullehrerverband auf die Ausweitung eines Modellversuchs zur besonderen Unterstützung leistungsschwächerer Berufsschüler auf das ganze Land. Landeschef Herbert Huber verwies darauf, dass im Bereich der IHK Stuttgart im Schuljahr 2013/14 jeder fünfte Ausbildungsvertrag wieder aufgelöst wurde.