Parteifreunde – nicht mehr: Winfried Kretschmann (links) und Jürgen Trittin Foto: dpa

Baden-Württemberg – das Waziristan der Grünen: Dieser Vergleich des ehemaligen Ober-Grünen Jürgen Trittin sorgt im Stuttgarter Staatsministerium für Fassungslosigkeit – auch wenn das Zitat nicht für die Öffentlichkeit gedacht war. Der Politikwissenschaftler Frank Brettschneider versteht den Ärger.

Stuttgart - Herr Brettschneider, Jürgen Trittin hat die Grünen-Realos in Baden-Württemberg zu „Radikalrealos“ und das Land selbst zum „Waziristan der Grünen“ erklärt. Können Sie darüber lachen?
Über Herrn Trittin kann ich lachen, über seine Äußerung nicht. Waziristan ist eine Provinz in Pakistan. Sie dient den afghanischen Taliban als Rückzugsgebiet. Die Grünen in Baden-Württemberg als Taliban zu bezeichnen ist inhaltlich daneben und vom Stil her geschmacklos. Auch sind die baden-württembergischen Grünen nicht „radikal“ – anders als so manche Funktionäre auf Bundesebene. Die Frustration von Herrn Trittin über die von ihm zu verantwortende deftige Niederlage bei der Bundestagswahl muss noch sehr tief sitzen.
Hat er sich damit als ernstzunehmender Politiker disqualifiziert, wie das Staatsministerium meint?
Ja, damit hat sich Herr Trittin disqualifiziert. Frustgesteuerte Aussagen sind bei Politikern nie sinnvoll. Da muss er sich im Griff haben. Vor allem aber müsste er die inhaltliche Auseinandersetzung suchen, wenn ihm der Kurs der Grünen im Südwesten nicht passt. Stattdessen liefert er platte Schlagzeilen. Seiner Partei und sich selbst hat er damit einen Bärendienst erwiesen.
Wie würden Sie die Grünen in Baden-Württemberg bezeichnen?
Die Grünen hier sind eine pragmatische Volkspartei, die Ökologie und Ökonomie zu vereinen sucht. Das gelingt ihnen auch ganz gut. Sie sind damit auf jeden Fall deutlich erfolgreicher als die Bundes-Grünen.
Boris Palmer gehört nach dem Verständnis Trittins zu den „Radikalrealos“. Bei seiner Wiederwahl zum Tübinger Oberbürgermeister hat er am Sonntag fast zwei Drittel der abgegebenen Stimmen erhalten. Ist jetzt auch in der Landes- und Bundespolitik wieder stärker mit ihm zu rechnen?
Boris Palmer hat nach seinem beachtlichen Wahlerfolg auf jeden Fall das Potenzial, in der Landespolitik eine wichtigere Rolle zu spielen. Auf Bundesebene ist er für viele „Radikalfundis“ hingegen nach wie vor ein rotes Tuch. Ob er künftig wieder stärker gehört wird, hängt auch von seinem eigenen Verhalten ab. Inhaltlich und rhetorisch hat er große Qualitäten. Wenn er in seiner Partei etwas diplomatischer auftreten würde, wäre das aber sicher nicht verkehrt.
Sein pragmatischer Kurs kommt offenbar auch bei vielen sogenannten bürgerlichen Wählern an. Befördert dieses Ergebnis schwarz-grüne Fantasien?
Das sind ja keine Fantasien. Schwarz-grüne Gemeinsamkeiten gibt es in einigen Themenfeldern der Landespolitik. Und wo es diese Gemeinsamkeiten nicht gibt, da sind Kompromisse möglich. Der unideologische und trotzdem in der Sache klare Boris Palmer ist da sicher für die CDU ein Gesprächspartner, mit dem eine Zusammenarbeit möglich ist.
Der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, hat Palmer als eine „Wahlkampf-maschine“ gelobt. Warum könnte er für die Grünen wichtig sein?
Boris Palmer ist aus vier Gründen für die Grünen wichtig. Erstens kann er die Anhänger der Grünen mobilisieren. Das liegt auch an der Art, wie er Wahlkampf führt. Zweitens kann er unentschiedene Wählerinnen und Wähler überzeugen. Das hat er in Tübingen bewiesen. Drittens kann er auf die Erfolge seiner Arbeit als Oberbürgermeister verweisen. Er verfügt über Erfahrung im konkreten politischen Handeln, Und viertens steht er für eine Strömung innerhalb der Grünen, die der Partei Koalitionsoptionen in Richtung CDU eröffnet. Im Hinblick auf die Landtagswahl kann er im Team der Grünen neben Winfried Kretschmann ein Zugpferd sein.