Drei Frauengeschichten in digitalem Puppentrick aus Belgien: „Sinners“ von Gerlando Infuso Foto: Festival

Rund 80.000 Zuschauer erwartet das Stuttgarter Trickfilm-Festival, eines der größten der Welt. Von diesem Dienstag an zeigt es in der Innenstadt die wichtigsten Animationsfilme des Jahres und gibt Künstlern ein Forum, die mit Zeichenstift, Knet und Computer ganz eigene Welten erschaffen.

Herr Lumpp, Herr Wegenast, wie hält man ein Trickfilm-Festival frisch?
Wegenast: Wir greifen immer Impulse auf, etwa mit dem Open Air. Das hat als Filmpicknick auf dem Schlossplatz angefangen, jetzt werden dort auf großer Leinwand Videospiele gespielt. Neue Formate sind aber keine Selbstläufer, wir justieren ständig nach.
Sie haben ein riesiges Programm – was ist für Sie der Kern des Festivals?
Wegenast: Es bleibt ein Filmfestival – es ist zentral für uns, Leute ins Kino zu bringen. Wir zeigen viele Kurzfilme, 2015 erstmalig syrische und ägyptische Wettbewerbsbeiträge, wir haben Weltpremieren wie „Der kleine Rabe Socke 2“, der in der Region produziert wurde, wir feiern mit Pixar 20 Jahre „Toy Story“ und beleuchten das Verhältnis von Comic und Animation.
Haben Sie manchmal Bedenken, Ihre Kapazitäten zu überdehnen?
Lumpp: Das Festival ist tatsächlich stark gewachsen. Wir zeigen 1000 Filme in rund. 200 Vorstellungen, 12 Mitarbeiter sind ganzjährig beschäftigt, während des Festivals kommen rund 80 temporäre hinzu. Wir kämpfen natürlich ständig mit den begrenzten Strukturen. So hat der Mindestlohn die Ausgaben für Volontäre verdreifacht. Das können wir nur mit Hilfe unserer Sponsoren auffangen, aktuell rund 80. Sie helfen auch bei der Kommunikation. Unser langjähriger Partner Mercedes hat das Festival jetzt erstmals über sein weltweites Netz beworben.
Gibt es technische Herausforderungen?
Lumpp: Wir spielen nur noch digital ab und wandeln erstmals alle Filme in das Kinoformat dcp um. Das ist eine enorme finanzielle und organisatorische Kraftanstrengung. Der gesamte Workflow erfolgt via Leitungen und startet die Projektion aus einem zentralen Speicher. Da aber auch beim dcp-Format eine weltweit gültige Norm fehlt, haben wir nach wie vor erhebliche Unterschiede in der eingereichten Material Qualität.
Trotz 3D-Computeranimation gibt es weiterhin Lege-, Puppen- und Zeichentrick . . .
Wegenast: Die Fronten haben sich aufgelöst. Es gibt immer noch sehr erfolgreiche Stop-Motion- und Knetanimationsfilme wie „Shaun das Schaf“. Ausgangspunkt ist oft eine Puppe oder Handzeichnung, aber die Produktion verläuft komplett digital. Technik ist nur Mittel zum Zweck, letztlich geht es um die Story und um visuelle Originalität.
Parallel findet nun das Werbefilmfestival Spotlight statt – wie kam es dazu?
Lumpp: Es ging zunächst darum, das Festival in Baden-Württemberg zu halten. Wir haben da gerne geholfen, da eine Kooperation mit unserem Wirtschaftspreis Animated Com Award für beide Seiten Vorteile bringt.
Wegenast: So kommt die deutsche Werbebranche zum Festival und sieht, welche internationalen Player hier zu Gast sind. Ich glaube, dass da etwas hängenbleibt.
Wie entwickelt sich Ihre Businessplattform, der Animation Production Day (APD)?
Lumpp: Es geht uns nun darum, dass sich nationale und internationale Koproduktionspartner finden und in Stuttgart konkrete Geschäfte abwickeln. Die Protagonisten, Produzenten und Sender, hatten sehr lange keine wirkliche Verständigungsebene. Seit zwei Jahren moderieren wir, und inzwischen sind sich alle einig: Sie müssen konkret miteinander darüber reden, was machbar ist.
Wegenast: Wir gehen weg von der klassischen Serien- und Kino-Ausrichtung. Crowd-Funding, Games, Transmedia sind wichtige Themen. Produktionsfirmen müssen sich heute viel variabler aufstellen als früher.
Lumpp: Vor zehn Jahren gab es vor allem das Modell der Koproduktion zwischen Sender und Produzent mit dem Fokus auf öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Nun sind wir in einer Übergangszeit und Produzenten müssen alle Ebenen nutzen – sich dem Thema Games öffnen, ihre Marke im Internet platzieren. „Tom und das Erdbeermarmeladebrot mit Honig“ ist ein Paradebeispiel, wie das geht.
Wieso ist der Europapark beim APD zu Gast?
Lumpp: Er ist ein gutes Beispiel für neue Geschäftsmodelle, ein Familienunternehmen mit einer Abteilung für virtuelle Erlebnisse. Sie entwickelt eigene Animations- Charaktere für neue Attraktionen – ein interessantes Geschäftsfeld für Animationsfirmen.
Netz-Anbieter wie Netflix und Youtube stecken viel Geld in eigene Inhalte – eine Hoffnung?
Wegenast: Die brauchen viel Inhalt und setzen auf Qualität wie die Bezahlsender Sky oder HBO. Man muss aber abwarten. Bei den deutschen Privatsendern hat sich die Verheißung, was Animation angeht, in 30 Jahren nicht eingelöst.
Geht deutscher Animationsfilm international?
Wegenast: „Die Biene Maja“ ist in Frankreich sensationell gelaufen, „Der 7te Zwerg“ in Russland. Da werden zwischen fünf und zehn Millionen Euro investiert und 20 bis 30 Millionen generiert. „Die Konferenz der Tiere“ hat sogar weit über 35 Millionen eingespielt.
Wo steht die hiesige Szene aus Ihrer Sicht?
Lumpp: Sie hat einen Riesenschritt gemacht, Firmen wie Pixomondo, Mackevision und „M.A.R.K. 13 spielen international auf Oscar-Niveau mit. Nun ist es wichtig, dass sie selbst Inhalte entwickeln.
Wegenast: M.A.R.K. 13, die bei „Ritter Rost“ und der „Biene Maja“ mitgearbeitet haben, traue ich durchaus zu, einen eigenen Stoff umzusetzen. Die Erfahrung und die Technik dafür haben sie.
Beim Festival wird der Animations-Drehbuchpreis verliehen. Sehen Sie dort interessante Stoffe, die dafür in Frage kämen?
Wegenast: 15 der 20 Einreichungen sind klassische Kindergeschichten. Für erwachsene Stoffe fehlt noch der Markt. Eine Pioniertat ist die Verfilmung des Wenderomans „Fritzi war dabei“, ohne Sender, gestemmt nur mit Förderung. Es ist ein Signal, dass Förderungen nicht länger darauf beharren, dass ein Sender im Boot ist. Wobei Deutschland, anders als Frankreich oder Japan, ein Animations-Entwicklungsland ist. „Persepolis“ etwa ist hier nicht gut gelaufen. Für mich ist das aber nur eine Frage der Zeit, unser Festival beweist ja jedes Jahr, dass erwachsenes Publikum eigentlich gerne Trickfilme sieht.
Lumpp: Wir brauchen mehr Optimismus. Man kann darüber klagen, dass Animationsformate für Erwachsene fehlen – oder losgehen und schauen, wie man sie realisiert.