"Bücher, Filme und Spiele verschmelzen – Inhalte werden transmedial", sagt Sabiha Ghellal, Spiele-Expertin und Kuratorin. Wir haben ein paar Eindrücke aus der bunten Welt gesammelt. Foto: Festival

Vom 22. bis zum 28. April können Besucher des 21. Internationalen Trickfilm-Festivals Stuttgart nicht nur Animationsfilme aller Arten und Formate genießen, sondern auf dem Schlossplatz im Games-Zelt neben der Großbildleinwand auch spielen.

Stuttgart - Spiele wie „Fifa“ oder „Mario Cart“ sind Dauerbrenner, der Sturm auf die Spielekonsole Playstation 4 im November 2013 erinnerte an die großen Tage des iPhones – und die Nachfrage hält unvermindert an. Die Zukunft indes machen Experten an anderer Stelle aus: „Intensiv-Spieler an PCs und Konsolen wird es weiter geben, mittelfristig bestimmen aber wohl die mobilen Gelegenheitsspieler den Markt“, sagt Sabiha Ghellal, Dozentin für Game-Design und Transmedia an der Stuttgarter Hochschule der Medien (HdM). „Die meisten Leute haben keine Zeit, 48 Stunden am Stück in ein Spiel wie ,World of Warcraft‘ einzutauchen, aber viele spielen zwischen fünf Minuten und einer Stunde am Tag.“

Ghellal fungiert als Kuratorin der neu gestarteten Games-Sektion des Trickfilm-Festivals, das sie als Gast der Business-Plattform Animation Production Day kennengelernt hat. „Mobile Spiele auf Tablets und Smartphones erzählen weniger komplexe Geschichten als große Action-Abenteuer wie ,Beyond: Two Souls‘ oder ,Heavy Rain‘, die mehrere mögliche Enden bieten, die Einbindung des Spielers ist nicht so intensiv, und der Touch-Screen limitiert die Interaktionsmöglichkeiten“, erklärt sie. „Dennoch bieten Spiele wie ,The Cave‘ wunderbare Möglichkeiten. Oft kann man das Mikrofon des Telefons nutzen, die Kamera oder das Axiometer.“ Entscheidend ist wohl auch dieses Argument: Eine Spiele-App fürs Smartphone kostet kaum mehr als fünf Euro, ein Spiel für die gängigen Konsolen zwischen 30 und 40.

Riesiges Angebot für mobile Geräte

Das Angebot für mobile Geräte ist riesig, auch Retrospiele aus den 1980ern wie „Tetris“ und „Space Invaders“ sind als Apps fürs Smartphone neu aufgelegt worden. Das Festival wird sich tagsüber auf dem Schlossplatz im Game-Zelt und auch auf der großen Videoleinwand aktuellen Spielen widmen: In „Machinarium“ muss ein kleiner Roboter seine Fantasiewelt retten, die Spiele der „Rayman“-Reihe bieten klassischen Jump-and-Run-Spaß, in „The Cave“ müssen verschiedene Charaktere in einer Höhle Aufgaben lösen, „Costume Quest“ ist ein Abenteuer-Rollenspiel. Für die ganz kleinen Festival-Besucher gibt es „Kleiner Eisbär, wohin fährst du?“ und den „Streichelzoo“, in dem die Tiere auf Berührung reagieren und sich verbiegen lassen, wie es nur Trickfiguren können.

Flankiert wird das reine Vergnügen durch die „Game Zone“ im Jugendhaus Mitte, wo Spiele-Entwickler aus der Praxis berichten und berufliche Perspektiven aufzeigen. Außerdem wird ein „Battle of the Bands“ ausgetragen, ein simulierter Musik-Wettbewerb, in dem die Teilnehmer kostümiert im Konsolenspiel „Rock Band“ gegeneinander antreten.

Bewusst ausgeklammert bleibt zunächst der pädagogische Aspekt. Die Branche steht seit Jahren am Dauerpranger – die häufigsten Vorwürfe: Spiele förderten die Gewaltbereitschaft und/oder machten süchtig. In „Grand Theft Auto“ etwa geraten die Spieler tatsächlich in die Lage, zu morden und zu foltern, das bereits erwähnte Online-Rollenspiel „World of Warcraft“ macht derart süchtig, dass manche Spieler dabei vergessen, zu schlafen, zu essen und zu arbeiten – mit Folgen bis hin zum Verlust der sozialen Existenz.

Es geht ums Spielen, nicht um Probleme

„Mit den Problemen anzufangen wäre eine sehr deutsche Herangehensweise“, sagt Ulrich Wegenast, künstlerischer Leiter des Festivals. „Es wird viel über Spiele geredet und oft von Leuten, die wenig spielen. Unser Motto ist ,Let’s play!‘, es geht uns zunächst um die Freude am Spielen. Wir wollen die Menschen für das Thema gewinnen, wir schaffen einen Zugang und wählen die Spiele sorgfältig nach Qualität aus. Natürlich blenden wir die Diskussionen nicht aus, aber Sucht und Gewalt sollen nicht im Vordergrund stehen.“ Ghellal ergänzt: „,Grand Theft Auto‘ ist für seine Gewalttätigkeit berühmt und deshalb ab 18. Eltern haben hier eine große Verantwortung, sich Spiele anzuschauen und bewusst auszuwählen. Was wir anbieten, habe ich alles komplett durchgespielt, uns geht es um positive Beispiele, reichhaltige Spielewelten, spannende Aufgaben und vor allem Spaß.“ Eine Zone ab 18 soll es auch geben, „aber dort wird kein stupides Ballerspiel laufen“, sagt Wegenast.

Ihn interessieren Schnittstellen zur Kunst, vor allem zur Animation: Charaktere und Kulissen vieler Spiele von heute erinnern an Trickfilme. „Vor 10 bis 15 Jahren waren das getrennte Welten, auch ästhetisch, jetzt wächst das zusammen“, sagt Wegenast. „Viele Animatoren arbeiten heute an Spielen, viele erweitern ihre Filmwelten um transmediale Inhalte.“ „Streichelzoo“-Macher Christoph Niemann, geboren in Waiblingen, hat Animation an der Ludwigsburger Filmakademie studiert, zum Oscar-prämierten Kindertrickfilm „The Fantastic Flying Books of Mr. Morris Lessmore“, der 2012 in Stuttgart zu sehen war, präsentiert das Festival nun die dazu entwickelte interaktive E-Book-App.

„Bücher, Filme und Spiele verschmelzen – Inhalte werden transmedial“, sagt Ghellal. „Alles ist Teil einer großen Geschichte, und es ist egal, über welche Plattform ich einsteige. Das ist eine ganz neue Form von Interaktivität und Entertainment.“