Welche weiterführende Schule ihr Kind besucht, durften Grundschuleltern in Baden-Württemberg 2012 erstmals selbst entscheiden. Jetzt liegen die genauen Zahlen vor. Foto: dpa

In diesem Schuljahr besuchen deutlich mehr Kinder im Land als bisher eine Realschule oder ein Gymnasium. Ein Grund ist der Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung.

Stuttgart - Die Haupt- und Werkrealschulen sind immer weniger gefragt: im Herbst 2011 wechselten noch etwa 23.800 Viertklässler an diese Schulart, 2011 waren es rund 14.950, das entspricht 15,9 Prozent der rund 94 750 Viertklässler. Für die Gymnasien hingegen entschieden sich 43,9 Prozent der Viertklässler (plus 3 Prozentpunkte), für die Realschule 37,1 (plus 2,9 Prozentpunkte). An den 42 Gemeinschaftsschulen, die 2012 starteten, meldeten sich 1,7 Prozent der Viertklässler an. Das gab das Statistische Landesamt bekannt.

Erstmals hatten Eltern im vergangenen Jahr das letzte Wort bei der Wahl der weiterführenden Schule. Eltern, deren Kinder eine Empfehlung für die Haupt-/Werkrealschule erhalten hatten, entschieden sich am häufigsten für eine andere Schulart. 25,7 Prozent der Viertklässler war die Haupt-/Werkrealschule empfohlen worden, 28,2 Prozent die Realschule und 45,8 Prozent das Gymnasium. Wie schon in früheren Jahren zogen auch viele Schüler mit Gymnasialempfehlung die Realschule vor. 17 Prozent der Fünftklässler in der Realschule haben eine Gymnasialempfehlung, 23 Prozent eine Empfehlung für die Haupt- und Werkrealschule. An den neuen Gemeinschaftsschulen, die den Schülern alle Abschlüsse ermöglichen, haben 60 Prozent der Schüler eine Empfehlung für Haupt-/Werkrealschule, 28 Prozent eine Empfehlung für die Realschule und 12 Prozent eine Empfehlung für das Gymnasium.

Zwar wechselten ausländische Kinder öfter als bisher an Realschulen und Gymnasien, allerdings gibt es noch immer große Unterschiede: So besuchen 45 Prozent der deutschen, aber nur 30 Prozent der ausländischen Fünftklässler das Gymnasium. Bei der Realschule sind es 37 beziehungsweise 38 Prozent. Auf Haupt- und Werkrealschulen gehen 15 Prozent der deutschen und 30 Prozent der ausländischen Schüler.

„Bildungspolitik der grün-roten Landesregierung sorgt für bessere Bildungschancen für alle Schülerinnen und Schüler“

Auch regional gibt es weiterhin große Unterschiede bei den Übergängen auf weiterführende Schulen. Während im Kreis Waldshut 30 Prozent der Viertklässler zum Gymnasium wechseln, sind es in Heidelberg mit 61 Prozent doppelt so viele. Dort besuchen noch fünf Prozent die Haupt-/Werkrealschule, im Landkreis Rottweil sind es 25 Prozent. „Die Bildungspolitik der grün-roten Landesregierung sorgt für bessere Bildungschancen für alle Schülerinnen und Schüler“, sagte Kultusminister Andreas Stoch (SPD). Es sei „erfreulich, dass die soziale Herkunft eine immer geringere Bedeutung für den Bildungserfolg hat“. Die Zahlen zeigten, dass die Klassen und Lerngruppen immer heterogener werden. Stoch will deshalb alle Schularten dabei unterstützen, das individuelle Lernen auszubauen.

„Der Verband Bildung und Erziehung kann die Euphorie des Kultusministers ob der aktuellen Übergangszahlen auf die weiterführenden Schulen nicht so ohne weiteres teilen“, sagte Landeschef Gerhard Brand. Der erhöhte Zulauf auf Realschulen und Gymnasien zeige zwar das Interesse der Eltern an höherwertigen Abschlüssen für ihre Kinder. „Diese Zertifikate müssen aber alle erst noch nach sechs oder acht Jahren erworben werden.“ Dass die soziale Herkunft der Schüler damit wirklich schon an Bedeutung verloren hat, bezweifle er, so Brand.

Für Sicherung gymnasialer Standards bessere Rahmenbedingungen gefordert

Skeptisch äußerte sich auch Landeshandwerkspräsident Joachim Möhrle. „Wenn erst zwölf Prozent der Schüler an der neuen Gemeinschaftsschule eine Gymnasialempfehlung mitbringen, kann von einem Erfolg noch keine Rede sein“, sagte er. Die Gemeinschaftsschulen müssten erst noch beweisen, dass sie Schüler aller Leistungsniveaus gut fördern könnten.

Dafür sind aus Sicht der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft mehr Zeit, qualifizierte Begleitung und Fortbildungen notwendig. „Unter anderem brauchen die Gemeinschaftsschulen für die Sicherung gymnasialer Standards bessere Rahmenbedingungen“, forderte die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Doro Moritz.