Immer mehr Migranten aus Afrika wagen die gefährliche Reise übers Mittelmeer, die meisten Boote sind völlig Foto: AP

In Rom haben am Montag zum ersten Mal Vertreter Europas und nordafrikanischer Staaten zusammen über den Zustrom von Migranten nach Italien diskutiert.

Rom - I

mmer schlechtere Boote, immer mehr Tote, immer mehr Abschiebungen. All das kann die Menschen nicht davon abhalten, die lebensgefährliche Überfahrt von Nordafrika über das Mittelmeer nach Europa auf sich zu nehmen. 3315 Menschen wurden allein am Sonntag in 25 Rettungsaktionen aus dem Meer gerettet und nach Italien gebracht. Das gute Wetter spielt den Menschenhändlern dieser Tage in die Hände. Täglich starten Dutzende meist seeuntüchtige Boote von der Küste Libyens aus. In den ersten Monaten des Jahres begeben sich normalerweise deutlich weniger Menschen auf die riskante Reise. Doch seit Anfang 2017 sind rund 20 000 Migranten in Italien angekommen – doppelt so viele wie im selben Zeitraum 2016, als mit 180 000 so viele Menschen wie noch nie Italien über das Meer erreicht haben.

Mit dem Problem fühlt sich Italien allein gelassen. Die Solidarität in Europa besteht derzeit nur auf dem Papier: Von den 20 000 Flüchtlingen, die bis dato in andere EU-Mitgliedstaaten hätten umgesiedelt werden sollen, haben bislang nur 4170 einen anderen Aufnahmestaat gefunden.Rom ergriff nun also selbst die Initiative und trommelte die von der Zuwanderung über die Mittelmeerroute am stärksten betroffenen Staaten zusammen: So saßen am Montag um den runden Tisch in Rom nicht nur die Innenminister aus Italien, Frankreich, Österreich, Malta, Slowenien und der Schweiz, sondern auch Vertreter aus den nordafrikanischen Staaten Algerien, Tunesien und Libyen und diskutierten über eine Lösung. Es war das erste Mal, dass sich in dieser Konstellation Regierungsvertreter zur Beratung der Flüchtlingskrise trafen.

173 805 Menschen haben einen Antrag auf Asyl in Italien gestellt

Und geht es nach dem italienischen Innenminister Marco Minniti, war dies nur das erste von weiteren Treffen. Eine ständige Kontaktgruppe soll künftig das Problem der Zuwanderung gemeinsam lösen. „Wir wollen versuchen, aus dem Gegeneinander – hier die Europäer, dort die Nordafrikaner – eine Gemeinsamkeit zu stiften“, sagte der deutsche Innenminister Thomas de Maizière (CDU) im Vorfeld des Treffens vor deutschen Journalisten.

Die meisten Verantwortlichen in Europa, so auch de Maizière am Montag, loben Italien stets dafür, dass das Land heute, anders als noch vor zwei Jahren, seiner Pflicht nachkommt und jeden Ankömmling regelkonform registriert. Die Folge: 173 805 Menschen haben einen Antrag auf Asyl in Italien gestellt und befinden sich derzeit in den Aufnahmezentren. Eine Situation, die für das südeuropäische Land dramatisch werden könnte, wenn nicht bald eine Lösung gefunden wird. „Jede aufnehmende Gesellschaft hat eine Grenze, was die Integration angeht“, sagte Innenminister Minniti nach dem Treffen am Montag. Werde diese Grenze überschritten, ist das seiner Ansicht nach gefährlich, denn: „Es gibt eine Verbindung zwischen fehlender Integration und Terrorismus.“

Die europäischen und nordafrikanischen Staaten müssten gemeinsam versuchen, die Menschen aus Afrika daran zu hindern, sich durch Libyen auf den Weg zu machen, sagte de Maizière. Neben wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Maßnahmen in den Heimatländern der Migranten, die diese von der Flucht abhalten sollen, liegt das Hauptaugenmerk der Politiker auf der Zerstörung des Geschäftsmodells der Schlepper. Das sei nicht nur im Sinne der europäischen Staaten, sonden auch der nordafrikanischen Staaten, so de Maizière: „Die libysche Regierung hat kein Interesse daran, dass eine Spur der Kriminalität durch ihr Land gezogen wird, dass die Strände von Schleppern beherrscht werden, dass dort menschenunwürdige Zustände in den Lagern sind.“

Die innenpolitische Lage in Libyen ist äußerst instabil

Libyen, das Haupttransitland für Migranten aus den Subsahara-Staaten nach Europa, ist selbst vom Bürgerkrieg gezeichnet. Die Teilnahme des libyschen Ministerpräsidenten Fajis al-Sarradsch an dem Treffen in Rom war wegen der Unruhen und Gefechte in der Hauptstadt Tripolis lange offen. Der international anerkannten Einheitsregierung al-Sarradschs machen noch immer zwei Gegenregierungen im Land zu schaffen. Trotz internationaler Unterstützung konnte er seine Macht nicht nennenswert ausbauen. Das alles macht einen strukturierten Kampf gegen die Schleuser quasi unmöglich. Der Plan der neuen Kontaktgruppe besteht daher in erster Linie darin, die libysche Küstenwache und den Grenzschutz im Süden zu stärken und auszubauen. Die Idee dahinter: Kontrolliert man die Südgrenze Libyens effektiver, können auch die Menschenhändler früher gestoppt und kann deren Geschäft so zerstört werden.

Vor wenigen Wochen hatte Italien bereits ein Abkommen mit Libyen geschlossen, das von den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union unterstützt wird. 200 Millionen Euro wurden als Sofortmaßnahme bereitgestellt. Nun hat Fajis al-Sarradsch in einer seitenlangen Aufstellung ausgeführt, was aus der Sicht Libyens für den Kampf gegen die Schlepper nötig ist, darunter 20 Schiffe für Kontrollen und Rettungsaktionen, vier Helikopter, 24 Schnellboote und zwei operative Zentren. Italienische Medien gehen allerdings schon jetzt davon aus, dass die 200 Millionen Euro für die adäquate Kontrolle der Küste wohl nicht ausreichen werden. Schätzungen belaufen sich demnach auf mindestens 800 Millionen Euro.

Minniti zeigte sich am Ende des Treffens in Rom vorsichtig optimistisch: „Wir haben heute einen Schritt nach vorne gemacht“, sagte er nach der rund vierstündigen Besprechung. „Wir haben keine Lösung gefunden – aber niemand hat auch einfach eine Lösung in der Tasche.“