Beim Schlaganfall muss es schnell gehen. Telemedizin kann in solchen Notfallsituationen helfen. Foto: dpa

Die Digitalisierungswelle hat das Gesundheitswesen voll erfasst, aber viele Mediziner fremdeln noch mit dieser Entwicklung. Der Deutsche Ärztetag in Freiburg will sie ermutigen, den technischen Wandel mitzugestalten.

Freiburg - Das Hintergrundpapier der Bundesärztekammer, kurz vor dem an diesem Dienstag beginnenden 120. Deutschen Ärztetag in Freiburg veröffentlicht, trägt eine vielsagende Überschrift. „Digitalisierung geht nicht mehr weg“, lautet sie. Damit ist die Haltung vieler Mediziner treffend beschrieben. Sie betrachten die Digitalisierungswelle im Gesundheitswesen als ein Übel, mit dem man sich, da es nun einmal in der Welt ist, irgendwie arrangieren muss.

Ulrich Clever, Präsident der Ärztekammer Baden-Württemberg, ist da schon einen Schritt weiter. „Ich werde in Freiburg dafür werben, dass wir uns als Ärzteschaft der Zukunft öffnen“, sagte er unserer Zeitung. Beim Thema Fernbehandlung, einem wichtigen Feld der Digitalisierung, hat sich die Landesärztekammer schon 2016 deutlich positioniert. Das Berufsrecht wurde geändert und erlaubt nun – bundesweit einmalig – Modellversuche, „in denen ärztliche Behandlungen ausschließlich über Kommunikationsnetze durchgeführt werden“.

Seit April nimmt Clever Bewerbungen für entsprechende Modellprojekte entgegen, die von der Kammer nach deren Spielregeln zu genehmigen sind. Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) ist schon vorstellig geworden. Bereits im Herbst will sie einen Modellversuch in zwei ausgewählten Regionen starten. Dabei sollen Ärzte erstmals auch solche Patienten per Telefon aus der Ferne behandeln dürfen, die sie noch nicht aus der Praxis kennen.

200 Telemedizin-Projekte laufen bereits

„Ich bin sicher, dass darüber beim Ärztetag kontrovers diskutiert wird“, sagte Clever. Die Vorstellung darüber, wie der Kontakt zwischen Arzt und Patient abzulaufen hat, sei nun einmal „sehr festgefügt“. Clever drückt auch deshalb aufs Tempo, weil er die Gefahr sieht, dass nicht-ärztliche Anbieter den Markt besetzen könnten und Mediziner das Nachsehen haben. Der Kammerchef handelt dabei auch im Interesse des Nachwuchses. „Der Markt auch für die Fernbehandlung wird immer größer werden“, das biete gerade jüngeren Ärztegenerationen große Chancen, die flexible Beschäftigungsmodelle einforderten.

Auch mit Blick auf den gesetzgeberischen Rahmen macht Clever Druck. Die Politik müsse den Weg dafür frei machen, dass im Rahmen der Fernbehandlung Rezepte ausgestellt werden können. „Nehmen sie das Beispiel einer unkomplizierten Blasenentzündung. Wenn sie da nicht rezeptieren dürfen, muss der Patient am Ende doch in die Praxis“, so Clever. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen müssten im Prinzip ebenfalls möglich sein, forderte der Ärztepräsident.

Doch die Fernbehandlung stellt nur einen kleinen Ausschnitt der Digitalisierung im Medizinbetrieb dar. Mehr als 200 telemedizinische Projekte laufen in Deutschland bereits. Um beispielsweise die Akutversorgung von Schlaganfallpatienten zu verbessern, werden Bilder und Befunde an Spezialisten übermittelt sowie Videountersuchungen durchgeführt. Hinzu kommen mehr als 100 000 Gesundheitsanwendungen, die man in Appstores herunterladen kann. Die Bundesärztekammer (BÄK) dringt im oben genannten Hintergrundpapier auf klare Spielregeln für die digitalen Helferlein. „Es muss sichergestellt sein, dass niemand unwissentlich mit persönlichen Daten für scheinbar kostenlose Gesundheitsapps bezahlt“, so BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery. Er fordert, dass solche Apps „genauso zugelassen und zertifiziert werden wie andere Medizinprodukte“. In einem Entschließungsantrag, der dem Ärzteparlament in Freiburg vorgelegt wird, bündelt die BÄK ihre Forderungen in Sachen Digitalisierung.

Medizinethiker Maio warnt

Der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio warnte derweil vor überzogenen Erwartungen an den technischen Wandel. „Wir müssen besonnen mit der Technik umgehen und sollten nicht so tun, als könnten wir mit der Digitalisierung alle Probleme lösen“, sagte er unserer Zeitung. Die Digitalisierung könne in einigen Bereichen helfen. Aber die Sammlung von Daten dürfe kein Selbstzweck sein, so Maio. „Was jetzt geschieht, ist die Überführung einer ärztlichen Kompetenz der Entscheidungsfindung in eine rein algorithmische Anwendung von Daten.“ Der Algorithmus solle letztlich das Erfahrungswissen der Ärzte ersetzen. Das sei weder im Interesse der Ärzte noch des Patienten, mahnt der Medizinethiker.