Klicken Sie sich durch unsere Bildergalerie. Foto: Claus Rudolph

Claus Rudolph arrangiert und fotografiert riesige Traumszenarien – Sein wichtigstes Utensil ist die Nebelmaschine.

Stuttgart - Es ist wie das Eintauchen in einen anderen Aggregatzustand, wenn sich die Tür zum Atelier hinter dem Besucher schließt. Vor ihm liegen einige Treppenstufen, die in die Tiefe führen. Das Hinabsteigen gleicht dem Sprung ins Schwimmbecken: Man taucht ein in ein vom Künstler erschaffenes Reich, das von Traumwolken beherrscht wird. Oder ist es doch Nebel aus der Maschine?

Claus Rudolphs Atelier ist in einem Haus in der Reinsburgstraße im Stuttgarter Westen untergebracht, das einst ein Mätressenhaus des Königs war. Pomp findet sich denn auch zuhauf in den großzügigen, verwinkelten Räumen im Kellergeschoss, die an etwas verlebte Schlossgemächer erinnern. Ausgestopfte Tiere beäugen einen von den Wänden und aus Nischen, eine ganze Reihe weißer Gewänder hängt an einer Kleiderstange, von einem Spiegel blitzen tausend Lämpchen. Im Studio sind hingegen riesige Lampen angebracht, die Rudolph (58) dem Filmstudio Babelsberg abgekauft hat. Und natürlich gibt es auch eine Maske für seine Darsteller. Und Nebelmaschinen.

In Rudolphs Bildern findet sich fast immer Nebel

Das Atelier tut sich vor den Augen des Betrachters auf wie eines von Rudolphs Werken, nur dass Letztere arrangiert und gewollt sind – Traumszenarien eben –, während das Atelier echtes, wahres Leben ist. Die unwirklichen Gegenstände sprechen von harter Arbeit.

Claus Rudolph steht an der zischenden Kaffeemaschine, die auch Nebel – oder zumindest Dampf – zu spucken scheint. An der Wand in der Küchennische hängt sein erstes Foto der Reihe, aufgenommen im Jahr 1988. Der Titel lautet: „Nur Frauen sitzen dabei“: Es zeigt eine kleine Gesellschaft, meist in Schwarz gewandete Menschen, die Kuchen essen, Tee oder Wein trinken, sich amüsieren – und vor allen Dingen rauchen. Eine Frau in einem weißen Kleid steht auf dem Tisch. Im Hintergrund wabert Nebel. „Wir haben damals Nebelkraut verwendet – die Trinkhalle des Teehauses sah aus wie ein Glas Milch“ erinnert sich Rudolph, in dessen Bildern sich fast immer Nebel findet. „Ich schaffe damit verschiedene Ebenen.“

Die Idee zu der Fotografie kam Rudolph, als er gerade auf einem Gutshof in Hirsau im Schwarzwald Werbefotos machte. Das Bild entstand einfach vor seinem inneren Auge. Zweier Zutaten bedarf es aber immer, damit die Visionen in Rudolphs Kopf entstehen: eines gewissen Dämmerzustands – und eines Leidensdrucks, wie er es nennt. „Das ist für mich kein negatives Gefühl, vielmehr will etwas raus aus mir, etwas will kanalisiert werden“, sagt er.

Mit Migräne zum Fotoshooting

Es hört sich an, als müsse er ein Kind aus dem engen Geburtskanal pressen. Und wahrlich, er ist ein Schöpfer, der diesen Titel verdient. „Ich habe den Mut, meinen Darstellern zu zeigen, wie ich sie gern haben möchte“, sagt er etwa. Dabei kommt ihm zugute, dass er am Anfang seiner Karriere als Fotograf für das Theater tätig war.

Doch manchmal kommt dem Schöpfer auch der Zufall zugute: Als er vor kurzem „Wohin gehst du?“ in Szene setzte, rief ihn eine seiner drei Darstellerinnen – die griesgrämige Königin – an, und sagte, sie könne nicht kommen, sie habe Migräne. Rudolph überredete sie, dennoch zum Shooting zu erscheinen, mit einer grünen Gesichtsfarbe. „Besser hätte man die zerstörte, missmutige Königin gar nicht spielen können“, sagt der Künstler.

Rudolph hadert mit dem Schöpferdasein: „Wie weit dürfen wir als Künstler gehen beim Erschaffen eigener Welten?“, fragt er. Das sei gerade im Zeitalter von Photoshop sehr einfach und verführerisch. Er selbst verwendet das Grafikprogramm allerdings höchstens, um eine Fotografie zu optimieren, nicht aber, um ein Bild aus 100 verschiedenen Bildschnipseln zu komponieren.

Obwohl dies der Betrachter seiner Bilder manchmal durchaus vermuten mag. Denn wie sonst, wenn nicht durch eine Fotomontage, kommt dieses Rhinozeros mit der Frau auf dem Rücken auf das Boot, das auf dem Bodensee treibt? „Das Rhinozeros vom Foto ‚Wo geht die Liebe hin, wenn du weg bist?‘ ist aus Kunststoff und wiegt nur 120 Kilo statt dreieinhalb Tonnen“, sagt Rudolph. Es ist genau diese Szene, die der Künstler am 23. März 2013 zum 100-Jahr-Jubiläum des Verbands Bildender Künstler nachstellen möchte: An diesem Tag wird es eine Künstlerparade vom Kunstmuseum zur Staatsgalerie geben – und Rudolph wird das Boot samt Rhinozeros und Frau auf dem Eckensee vor der Oper treiben lassen.

Aufwand kann Rudolph nicht schrecken

Wasser scheint es ihm generell angetan zu haben, wie auch seine neusten Traumszenarien zeigen, seien sie bereits gemacht oder in Planung. Denn nachdem er seit 1988 rund 100 Bilder erschaffen hat, befindet sich Rudolph derzeit wieder in einer Leidens- und Schaffensphase. Die Fotografie „Wenn ich keinen Raum zum Bewegen habe“ zeigt eine nackte Frau, die in einem festlichen Saal taucht, der bis zur Hälfte unter Wasser steht. Das Bild entstand in einem Stuttgarter Hallenbad, die Kulissen wurden in das Schwimmbecken eingelassen.

Aufwand kann Rudolph nicht schrecken. Allein das Thema – das meist das Spiel der Geschlechter variiert – muss pompös in Szene gesetzt werden, damit die Wirkung seiner mindestens 1,20 auf 1,80 Meter großen Werke am Ende stimmt. Er verkauft diese in einer jeweils auf fünf Exemplare limitierten Auflage für knapp unter 5000 Euro.

Beim Erklimmen der Treppenstufen fällt der Blick auf eine ausgestopfte Katze, die einen aus einer Nische anzuspringen scheint. Spontan wünscht man sich stattdessen den Löwen aus dem Rosensteinmuseum her, der auf „The Lion Sleeps Tonight“ so erhaben, aber friedlich auf einer Essenstafel ruht. So ist es eben, wenn die Traumwolken und Nebelschwaden sich lichten. Die Realität hat einen wieder.

www.clausrudolph.com