Der tragische Unfall ereignete sich an der S-Bahnstation Stadtmitte. Der Helfer war offenbar sofort tot. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Ein Mann kann seinen Bekannten retten – und kommt dabei selbst ums Leben. Zu dem tragischen Unglück an der S-Bahn-Haltestelle Stadtmitte am Dienstagmorgen werden nun weitere Details bekannt.

Stuttgart - Ein tragischer Unfallhat am frühen Dienstagmorgen einen 42 Jahre alten Mann in der Stadt das Leben gekostet. Zwar konnte der einen Bekannten an der S-Bahn-Haltestelle Stadtmitte gerade noch das Leben retten, bevor die S-Bahn einfuhr. Selbst hat er es nicht mehr geschafft. Bei dem Versuch, sich in Sicherheit zu bringen, wurde er zwischen einer einfahrenden Bahn und der Bahnsteigkante eingequetscht. Jede Rettung kam für den Mann zu spät, er war offenbar sofort tot.

Der S-Bahnsteig in der Haltestelle Stadtmitte ist Dienstagfrüh gegen 5.30 Uhr noch ziemlich leer gewesen. Etwa zehn wartende Pendler wurden Zeuge des Unfalls, außerdem zeichneten die Überwachungskameras das Geschehen auf, das mit dem Tod des 42-jährigen Mannes aus dem Landkreis Ludwigsburg endete. Dieses Video jage selbst altgedienten Polizeibeamten einen Schauer über den Rücken, hieß es am Dienstag. Der Retter und der 34-Jährige, der aus dem Raum Böblingen stammt, hatten sich laut der Polizei erst in der Nacht zuvor kennengelernt, vielleicht waren sie zusammen um die Häuser gezogen – genaues weiß die Polizei über die Vorgeschichte noch nicht. Darauf deutet hin, dass Zeugen gegenüber der Polizei aussagten, der 34-Jährige Mann sei über den Bahnsteig getorkelt. Er habe auf sie einen alkoholisierten Eindruck gemacht, sagt der Polizeisprecher Thomas Geiger. Ein Untersuchungsergebnis, ob er tatsächlich stark alkoholisiert war und wenn ja, wie hoch sein Promillewert war, liege noch nicht vor.

Unglück geschieht vor den Augen von etwa zehn Passanten

Der 34-Jährige sei in Richtung Bahnsteigkante gewankt und gestürzt, auf das Gleis, das in Richtung Hauptbahnhof führt. Als der Mann auf den Schienen lag, sei der 42-Jährige sofort hinabgesprungen und habe seinem Bekannten geholfen, wieder nach oben zu klettern. Das sei auch ohne Probleme gelungen. Zu dieser Zeit war indes die S-Bahn der Linie S4, die in Richtung Marbach fuhr, schon im Tunnel vor der Haltestelle Stadtmitte.

Dann versuchte der Helfer, kurz bevor die S-Bahn einfuhr, hochzuklettern. Beinah hätte er es geschafft. Der Mann habe sich schon in den Stütz an der Bahnsteigkante hochgedrückt gehabt, als die Bahn kam und ihn erfasste. Beim ersten Versuch war er abgerutscht. Der Mann wird zwischen dem Zug und der einfahrenden S-Bahn eingeklemmt und mitgeschleift. Trotz einer Schnellbremsung konnte der Lokführer den Unfall nicht mehr verhindern. Der 42-jährige Lebensretter wurde etwa 20 Meter weit – das entspricht einer Wagenlänge der S-Bahn – mitgeschleift. Er war sofort tot. Das Entsetzen über den Unfall ist auch bei den Rettern und bei der Bahn groß: „So einen Unfall haben wir noch nie gehabt, bei dem ein Retter zu Tode kommt“, sagte ein Bahnsprecher.

Zur Bergung des Toten musste die Feuerwehr Hilfe leisten. Da der Mann immer noch eingeklemmt war, schoben die Retter die Bahn mit einem Luftkissen zur Seite, um den Leichnam hervorholen zu können. Die Wehr benutzte dazu ein Hebekissen, das mit Druckluft aufgeblasen werden kann und – je nach Größe – Lasten von bis zu 40 Tonnen anheben kann. Diese Kissen kommen bei Bahnunfällen zum Einsatz oder wenn Unfallopfer unter Lastwagen oder anderen schweren Lasten eingeklemmt sind, die man anheben muss.

Mulde unter Bahnsteig bietet keinen 100-prozentigen Schutz

Ob der Lebensretter sich vor der einfahrenden Bahn auf andere Weise in Sicherheit hätte bringen können, ist fraglich. S-Bahnsteige haben wie Stadtbahnsteige unter der Bahnsteigkante eine kleine Mulde. „Es kann bei jemandem, der nicht allzu kräftig ist, funktionieren, wenn man sich da ganz flach hinein kauert“, sagt der Sprecher der Bundespolizei, Jonas Große. Jedoch sei das kein wirklich sicherer Tipp, gibt er zu bedenken. Das wichtigste sei, wenn jemand auf die Schienen falle, sofort zu versuchen, Alarm zu schlagen – sprich den Notruf 110 zu wählen. Die Polizei veranlasse dann entweder direkt mit der Bahn oder in Zusammenarbeit mit der Bundespolizei eine Sperrung.

Dass die Zeit dafür im Fall des verunglückten Lebensretters am Dienstagmorgen noch gereicht hätte, bezweifelt man aber bei der Bahn. Wer jemanden retten will, der in die Gleise gestürzt ist, solle am besten versuchen, den Verunglückten mit der Hand hochzuziehen. „Selbst wir als Polizei versuchen nur dann die Gleise zu betreten, wenn wir sicher sind, dass kein Zug naht“, sagt Große. Auch in den Kreisen der Ermittler ist die Bestürzung darüber, dass ein Retter für einen Verunglückten sein Leben ließ, sehr groß, fügt er hinzu.

Die Bahn nennt auch das Reinkauern in die Kuhle als einzige Möglichkeit, sich zu schützen. Es gelte aber der Grundsatz, sich als Helfer nie selbst in Gefahr zu bringen. „Viele Möglichkeiten gibt es bei einem solchen Sturz nicht, einzugreifen“, so der Bahnsprecher. Der S-Bahnsteig ist 96 Zentimeter über der Schiene, vom Gleisbett aus ist damit eine Distanz von knapp einem Meter nach oben zu überwinden.

Grundsätzlich warnt die Bahn davor, zu nahe an die Bahnsteigkante zu treten. „Deswegen gibt es an der Kante die weiße Linie, hinter der man unbedingt bleiben soll“, so der Bahnsprecher.