Der Kangal ist ein türkischer Herdenschutzhund, der viel Auslauf benötigt und von seinem Halter ausreichend beschäftigt werden muss. Foto: Mauritius

Ein Hund hat in Stetten am kalten Markt eine 72-jährige Passantin am Kopf verletzt. Sie starb an den Bisswunden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung.

Stetten am kalten Markt - Eine Tragödie hat sich am Dienstagabend in Stetten am kalten Markt (Kreis Sigmaringen) ereignet: Eine 72-jährige Passantin ist von einem Hund angefallen worden, sie starb wenig später an den Folgen der Bisswunden. Die Seniorin hatte sich auf einem Fußweg zwischen zwei Gebäuden befunden. Plötzlich sprang der recht große Hund der Rasse Kangal über den Zaun des Grundstücks, auf dem er gehalten wurde. Wie die Polizei mitteilte, habe eine Zeugin sofort den Rettungsdienst gerufen. Allerdings hätten sich die Helfer der am Boden liegenden Frau zunächst nicht nähern können, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Als der Hund schließlich von der Passantin abließ, sei es bereits zu spät gewesen. Trotz der Bemühungen des Notarztes erlag die Frau ihren schweren Verletzungen an Hals und Kopf.

Drei Hunde erschossen

Der Hund lief schließlich auf das Grundstück seiner 43 Jahre alten Besitzerin zurück, wo Polizisten das Tier erschossen. Zwei weitere Hunde auf dem Anwesen wurden von Jägern ebenfalls getötet, die man um Hilfe gebeten hatte. Erst dann konnten die Polizisten das Haus gefahrlos betreten. Im Inneren fanden sie mehr als 20 Katzen – die Besitzerin kam erst am späten Abend zurück. Sie gab an, den ganzen Tag über nicht zuhause gewesen zu sein. Gegen sie und ihren von ihr getrennt lebenden Ehemann wird wegen fahrlässiger Tötung ermittelt. Die Kriminalpolizei hat das Haus noch in der Nacht versiegelt.

Der Fall ist besonders tragisch, da Bisswunden zumeist nicht tödlich enden. In Deutschland starben 2015 exakt fünf Menschen daran, 2014 betrug die Zahl vier und 2013 verzeichnete das Statistische Bundesamt drei Fälle. Im Schnitt schwanken die Zahlen in den vergangenen zwei Jahrzehnten zwischen Null und maximal acht Toten pro Jahr im ganzen Bundesgebiet.

Nur sehr selten enden Hundebisse tödlich

Solche Unfälle seien glücklicherweise äußerst selten, sagt auch Martin Pechmann, ein Hundesachverständiger des Stuttgarter Tierschutzvereins, und sie könnten bei allen Rassen vorkommen – vom Dackel bis zur Deutschen Dogge. „Hunde sind Beutegreifer“, sagt Pechmann. Ein türkischer Herdenschutzhund wie der Kangal sei ein anspruchsvolles Tier. „So ein Hund soll in seiner Heimat Bären und Wölfe auf Distanz zur Herde halten“, er sei territorial geprägt und verteidige seinen Bereich gegen Außenstehende. Wer solch einen Hund halte, müsse ihn erziehen und ihm Aufgaben geben. „Unterforderte Tiere können durchaus zu einem Problem werden.“

Kangal generell als gefährlich einzustufen, wie es zwei andere Bundesländer gemacht haben, hält der Experte für die falsche Methode. Die Gefährlichkeit eines Tieres stehe und falle nicht ausschließlich mit der Rasse, ganz zentrale Aspekte seien die Sozialisierung, die Erziehung oder die Gruppendynamik in einer bestimmten Situation. „Man muss den Halter qualifizieren, das ist das A und O, um Beißvorfälle zu vermeiden“, sagt Pechmann.

Katzen kommen in Tierheim

In Baden-Württemberg gelten laut der Kampfhundeverordnung American Staffordshire Terrier, Bullterrier und Pit Bull Terrier als besonders gefährlich und aggressiv. In der Öffentlichkeit müssen sie an die Leine gelegt werden und einen Maulkorb tragen. Zudem benötigt der Halter eine Erlaubnis des Ordnungsamts. Wird sie erteilt, muss der Hundehalter diese immer bei sich führen. Die Umstände der Tierhaltung im Fall der 43-Jährigen in Stetten am kalten Markt müssen noch überprüft werden. Im Laufe des Mittwochs haben sich Kriminaltechniker und Vertreter des Veterinäramts vor Ort umgesehen. Die zahlreichen Katzen werden laut der Polizei vermutlich in ein Tierheim gebracht.

Wie oft es in Baden-Württemberg zu Hundeattacken kommt, ist schwierig zu ermitteln. Bisse seien nicht meldepflichtig, sagt ein Sprecher des Innenministeriums. Genaue Statistiken würden nicht geführt. Allerdings gebe es Daten im Zusammenhang mit fahrlässiger Körperverletzung mit dem „Tatmittel Hund“ – also in Zusammenhang etwa mit einem Biss. Demnach gab es 1235 solcher Fälle im Jahr 2016 und 1179 im Jahr 2015. Einzelne Rassen würden bei den Taten aber nicht unterschieden.

Verbreitete Rasse

Kangal kommen ursprünglich aus der Türkei. Sie sind Herdenschutzhunde und wurden traditionell gehalten, um etwa Schafe vor Wölfen zu schützen. In Deutschland sei die Rasse recht verbreitet, sagt eine Sprecherin des Verbands für das Deutsche Hundewesen (VDH). Die großen Hunde mit oft hellem Fell und dunkler Schnauze seien vom Charakter her sehr selbstständig. Sie gelten als ruhig und unaufgeregt, wenn sie gut gehalten werden.

Gefährlich seien Kangal eigentlich nicht, sagen Hundeexperten. Dagegen stufen zwei Bundesländer – Hamburg und Hessen – den Kangal und auch Kreuzungen explizit als gefährlich ein. So heißt es beispielsweise im Hamburger Hundegesetz, die Gefährlichkeit werde vermutet, solange der zuständigen Behörde nicht für den einzelnen Hund nachgewiesen werde, dass dieser keine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen oder Tieren aufweise. In Hessen dürfen gefährliche Hunde nur gehalten werden, wenn Besitzer eine Erlaubnis der Behörden haben.