Infizierte sich mit Ebola und verbrachte zwei Wochen auf einer Isolationsstation: Sulaiman Kanneh Saidu aus Sierra Leone Foto: MSF

Über Monate hinweg hat Sulaiman Kanneh Saidu aus Sierra Leone versucht, Ebola-Erkrankten zu helfen. Die meisten starben. Dann steckte sich der 47-Jährige selbst an. Er hat überlebt.

Kapstadt - Der Anruf aus dem Labor war keine große Überraschung mehr. Seit Tagen waren da diese Kopfschmerzen, wie er sie noch nie erlebt hatte. Das hohe Fieber, das ihm das Leben förmlich aus dem Körper riss. Und er wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte. In die Isolation, auf seine vielleicht letzte Reise, nahm Sulaiman Kanneh Saidu eine kleine Tasche mit etwas Kleidung, einem Handy und einem Radio mit.

Saidu hat im Krieg gegen Ebola an vorderster Front gekämpft. Der 47-Jährige arbeitet in einem Gemeindezentrum in Koindu, einer Kleinstadt in Sierra Leone. Bis nach Guinea, wo es ebenfalls Hunderte Ebola-Tote gab, sind es nur ein paar Kilometer. Saidu ist kein studierter Mediziner, doch zu seiner Einrichtung kommen die Menschen mit allen möglichen Problemen. Auch mit Krankheiten, und das Personal ist knapp. Er hat medizinische Grundkenntnisse und weiß, wann er Antibiotikum oder Malaria-Medikamente verabreichen muss. Vor ein paar Monaten hatte er auch ein Training zum Umgang mit Ebola-Patienten absolviert. Aber an diesem einen Freitagabend war er müde. Einen Moment unachtsam.

Es war der 27. Juni, als eine Frau ins Zentrum kam. Saidu hatte bereits seit 14 Stunden gearbeitet und gerade seine Schutzkleidung abgelegt. Er war fast auf dem Heimweg, als er in den Behandlungsraum gerufen wurde. Die Patientin sagte, sie komme aus einem Dorf namens Kweru und habe Fieber. „Bist du in diesem Jahr gereist?“ fragte Saidu, der wusste, dass es in Kweru bislang keine Ebola-Fälle gab. „Nein“, antwortete die Frau. „Kanntest du Ebola-Patienten?“

Wieder verneinte sie, und der Gemeindearbeiter beließ es schließlich dabei, sich Handschuhe überzuziehen, bevor er ihren Blutdruck maß. Hohes Fieber ist in der Gegend Alltag, die Symptome von Ebola stimmen in der Anfangsphase mit denen von Malaria überein. Er muss die schwitzende Frau mit dem Unterarm berührt haben. Dass die Frau wenige Tage zuvor in einer Gegend gewesen war, in der es mehrere Ebola-Fälle gegeben hatte, gab sie erst einige Tage später zu. Kurz vor ihrem Tod.

Als sein eigenes Testergebnis vorlag, da hielt Saidu einen Moment inne. Weit über die Hälfte der Patienten sterben an der Krankheit. Er aber werde nicht Teil dieser täglich um Dutzende ansteigenden Zahl gehören, schwor er sich. „Ich werde leben.“ Ein schwerer Anruf noch vor der Reise, bei seiner Frau. Sie hatte nie verstanden, warum er trotz der Gefahr weitergearbeitet hatte.

Angefleht hatte sie ihn, zu Hause zu bleiben wie so viele im Gesundheitssystem der betroffenen Länder. Er solle an die beiden Söhne denke, der Kleine sei doch erst sieben Jahre alt. In ihre Trauer und Angst würde sich Wut mischen, dachte Saidu. Sie weinte nur. Er sagte: „Wir werden jeden Tag telefonieren, bis ich zurück bin.“

Saidu mied seit dem Auftreten der ersten Symptome jeden Kontakt zu anderen, und nur einen Tag nach seinem Positivtest erreichte er ein Isolationszentrum der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen in Sierra Leone. „Ich brauche nicht viel“, sagte der Familienvater, „lasst mich nur telefonieren und Radio hören.“ Den Verstand ablenken. Je weniger er an den Tod denken kann, umso ferner ist er.

Marktreife Medikamente gegen die Epidemie gibt es nach wie vor nicht. Liberia setzt offenbar inzwischen ZMapp ein, ein noch nicht genehmigtes Medikament, mit dem zwei US-Gesundheitsmitarbeiter behandelt wurden. Es wird derzeit mit Genehmigung der US-Behörden drei erkrankten Ärzten verabreicht, die Regierung befindet sich zudem in Gesprächen für eine größere Lieferung. Die zuständige Firma in den USA hatte jedoch zuletzt mitgeteilt, dass die Vorräte erschöpft seien, nachdem man „ein westafrikanisches Land“ unterstützt habe.

Saidu bekam keines der neuen Ebola-Medikamente. Er hatte nur dieses Radio. Meistens hörte er BBC, mal einen Lokalsender, mal Fußball, mal Musik, vor allem aber saugte er die Nachrichten über das Leben in seiner Gemeinde förmlich auf. Auf der Isolationsstation blieb er jedoch für sich und vermied strikt jeglichen Kontakt zu den anderen Erkrankten. Bei vielen waren die Symptome weit ausgeprägter als bei ihm, sie erbrachen sich oder litten unter inneren und äußeren Blutungen. Saidu wollte seinem Körper unter keinen Umständen dem Risiko eines weiteren Kontakts mit einem Ebola-Erkrankten aussetzen.

Nach einer Woche ging es ihm besser. Er gehörte zu den wenigen, die Antikörper gegen die Krankheit entwickelten. Mitte Juli, nach zehn Tagen, wurde er aus der Isolationsstation entlassen. Ob er noch Schmerzen habe? Saidu antwortet wie schon während des gesamten Telefonats mit kräftiger Stimme, fast so, als richte er das Wort an die ganze Nation: „Ich glaube, du kannst hören, dass ich wieder stark bin. Wir können diese Krankheit besiegen. Ich bin der beste Beweis.“ Seines Glücks ist er sich dabei durchaus bewusst. Saidu weiß, dass er trotz Optimismus und Vernunft hätte sterben können – wie so viele andere. Ihm geht es eher um den gesellschaftlichen Umgang mit Ebola. Tabu und Unkenntnis gehören weiter zu den größten Herausforderungen. Als er nach seiner Krankheit nach Koindu zurückkehrte, verließ sein Onkel den Raum, als er ihn sah. Eine Heilung schien ihm unmöglich. Dass sein Neffe nicht länger ansteckend war, wollte er nicht glauben.

Saidu will auch sein zweites Leben dem Kampf gegen die Krankheit widmen. So langsam würden die falschen Mythen um die Krankheit weniger, sagt er. Aber die Menschen müssten verstärkt mit den Behörden kooperieren und in die Krankenhäuser gehen, und nicht etwa zu traditionellen Heilern. Aber viele Krankenhäuser sind geschlossen, weil das Personal die Arbeit verweigert.

Weit über 100 Mediziner sind an Ebola gestorben, noch immer fehlt es vielerorts an der überlebenswichtigen Schutzkleidung. In diesem Jahr, glaubt Saidu, wird die Epidemie nicht mehr gestoppt werden können.