Wolfgang Drexler (links, SPD), ist Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses im baden-württembergischen Landtag, Thomas Blenke (CDU) ist stellvertretender Vorsitzender. Foto: dpa

Vorläufige Entwarnung im Todesfall einer NSU-Zeugin. Die junge Frau soll nach einem Sportunfall einen Lungeninfarkt gehabt haben – dennoch bleiben Fragezeichen.

Stuttgart - Dass eine 20 Jahre junge Frau an einer Lungenembolie stirbt, ist ungewöhnlich. Dass Melissa M. verstirbt, nachdem sie den Politikern im baden-württembergischen NSU-Untersuchungsausschuss in einer nichtöffentlichen Vernehmung gestand, sich bedroht zu fühlen, ist noch ungewöhnlicher.

Deshalb sind sich die Ermittler „der Brisanz des Falles bewusst“, versichert Staatsanwalt Tobias Wagner: M. war, wenn auch nur für zwei Monate, die Freundin von Florian H. – jenes Neonazis, der behauptete, die Mörder der 2007 in Heilbronn erschossenen Polizeimeisterin Michèle Kiesewetter zu kennen.

H. war aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen. Dann soll er sich – so die bisherigen Ermittlungen – im Herbst 2013 selbst auf dem Cannstatter Wasen in seinem Auto selbst verbrannt haben. Melissa M. habe sich in der Nacht zuvor von H. getrennt.

Keine Hinweise auf ein Fremdverschulden

Bei der jungen Frau, so ergab die Obduktion, gebe es keine Hinweise auf ein Fremdverschulden. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ordnete trotzdem weitere Untersuchungen der Leiche an. So soll nach Spuren von Medikamenten und Giften ebenso gesucht werden wie nach Gewebeveränderungen. Polizei und Staatsanwaltschaft gehen davon aus, dass die Frau an den Folgen einer Lungenembolie starb.

Diese sei die Folge eines Unfalles mit ihrer Moto-Cross-Maschine am vergangenen Dienstag. M. habe sich danach in der Notfallambulanz eines Krankenhauses vorgestellt. Dort habe ein Arzt eine Prellung des Knies diagnostiziert. Als Therapie habe dieser M. eine Thrombosevorsorge verschrieben.

Dies habe – so der bisherige Ermittlungsstand – der Hausarzt der Motorradfahrerin am vergangenen Donnerstag ebenfalls festgestellt. Auch er habe ein Anti-Thrombose-Medikament verordnet. Trotzdem habe ein durch die Verletzung im Knie entstandenes Blutgerinnsel in der Folge ein Blutgefäß in der Lunge verstopft. Als M.s Lebensgefährte sie in ihrer Wohnung fand, habe sie gekrampft.

Der herbeigerufene Notarzt habe die junge Frau nicht retten können. Über 80 Prozent der Lungenembolien löst ein Thrombus genanntes Blutgerinnsel aus, das in den tiefen Bein- und Beckenvenen entsteht und dann bis ins Herz und in die Lunge emporwandert.

„Es dürfen keiner Lücken für Verschwörungstheorien entstehen“

Die von der Staatsanwaltschaft angeordneten weiteren Analysen sind für den Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, Wolfgang Drexler (SPD), wichtig: „Es dürfen keinerlei Lücken für Spekulationen und Verschwörungstheorien entstehen.“

Zumal der Tod Melissa M.s nicht der einzige ist, der im Zusammenhang mit dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) ungewöhnlich ist. Die mutmaßlich rechte Terrorgruppe soll zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen ermordet habe, unter ihnen Kiesewetter.

Von der jungen Bereitschaftspolizistin führt eine Spur direkt nach Schwäbisch Hall in den rassistischen Geheimbund Ku-Klux-Klan (KKK). Diesen hatte 2001 der V-Mann des baden-württembergischen Verfassungsschutzes, Achim Schmid, gegründet. Dem Bund gehörten mindestens zwei Polizisten aus dem Südwesten an; einer von ihnen war am Mordtag als Gruppenführer der Ermordeten eingesetzt.

In der Rassistentruppe streifte zudem ein Spitzel des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV)die weiße Kapuze über: Thomas Richter, Deckname „Corelli“. Er hatte direkte Kontakte zu den Mitgliedern Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe.

Weiterer rätselhafter Todesfall

Im April 2014 wurde der in einem Zeugenschutzprogramm lebende Richter in Schloss Neuhaus bei Paderborn von Beamten einer Sicherheitsbehörde tot in seiner Wohnung aufgefunden. Der 39-Jährige soll an den Folgen einer bis dahin unerkannten Diabetes-Krankheit verstorben sein. Ein Fremdverschulden sei auszuschließen, versicherten die Ermittlungsbehörden schnell.

Zwei Monate vorher hatte sich ein anderer V-Mann beim Hamburger Verfassungsschutz gemeldet und eine CD mit der Aufschrift „NSU/NSDAP“ abgegeben, Diese habe er, versicherte der Informant, schon 2006 von Richter erhalten. Auf der CD befinden sich etwa 15 000 Bild- und Textdateien.

Einige davon ordnen Ermittler Thomas Richter zu, andere entweder direkt dem NSU oder aber zumindest Rechtsradikalen, die diesen direkt unterstützten. Fertiggestellt wurde die CD im Juni 2006 – zu einem Zeitpunkt also, als der Begriff NSU weder in der Öffentlichkeit noch – so beteuern diese – bei den Sicherheitsbehörden bekannt war. Der Begriff NSU wurde erst bekannt, nachdem sich Böhnhardt und Mundlos im November 2011 nach einem Banküberfall in Eisenach selbst umgebracht haben sollen.

Richters Kontaktdaten standen auf einer Telefonliste Uwe Mundlos’, die dieser in der Jenaer Bombenwerkstatt aufbewahrte. Die Liste wurde zwar unmittelbar nach dem Abtauchen des NSU-Trios von Polizeibeamten gefunden, aber erst nach dem Auffliegen der mutmaßlichen Terroristen 2011 ausgewertet.

2002, nach den ersten Morden des NSU, hieß es im Vorwort des von Richter verbreiteten Neonazi-Magazins „Der weiße Wolf“: „Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen ;-) Der Kampf geht weiter . . .“ Die mutmaßlichen Rechtsterroristen hatten den Machern des Pamphlets zuvor 2500 Euro gespendet.

Der Bundestag setzte einen Sonderermittler zum Fall „Corelli“ ein: Jerzy Montag von den Grünen. Sein Bericht soll in diesem Mai zunächst den Mitgliedern des geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages vorgestellt werden.

Baden-Württembergs Abgeordnete wollen Jerzy Montag als Zeugen in den NSU-Untersuchungsausschuss laden, wenn es um das Thema KKK geht.