Szene aus „Tod eines Handlungsreisenden“ in Stuttgart. Nicht zu sehen: Peter Kurth Foto: Julian Röder

Der unbedingte Wille, erfolgreich und beliebt zu sein, macht Menschen kaputt. Davon erzählt Millers berühmtes Drama. Dieser Wille kann aber auch wie am Samstag im Schauspielhaus einen Regisseur zu allerhand Mätzchen verführen - trotz starker Schauspieler.

Stuttgart - Und sie bewegt sich doch. Die hinten an der Bühne angebrachte Stoffbahn, eine Art purpurn bestrahlter Vorhang, zittert sich kaum merklich nach vorne. Gespenstisch, geheimnisvoll, schön. Der Raum schwindet, es wird eng. Kurze Pause, dann zieht sich das merkwürdig animierte Requisit langsam zurück. Plötzlich sieht man Füße und einen Tüllsaum. Eine dicke Ballerina? Nein. Peter Kurth ist’s, im schwarzen Schwanensee-Tüllrock und mit nacktem Oberkörper. Wenige Meter neben ihm liegt eine Frau, Susanne Böwe, im Anzug. Der Mann hat die Hosen heruntergelassen, und die Frau im Haus hat die Hosen an, auch wenn sie (und die damit verbundene Zuschreibung) ihr nicht recht passen. Das ist plakativ, wirkt aber. Peter Kurth steht derart würdevoll da, Susanne Böwe bewegt sich derart feminin in ihrem Anzug, dass man die Kostümierung, die Birgit Bungum sich für Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ am Samstag im Schauspielhaus Stuttgart ausgedacht hat, schon nach wenigen Minuten als absolut passend akzeptiert.

Böwe und Kurth spielen Linda und Willy Loman, ein Ehepaar, das sich eine Welt zusammenfantasiert, die längst keinen Bestand mehr hat. Der Kredit fürs Haus ist fast abbezahlt, aber Willy ist erschöpft, fährt als Handlungsreisender verzweifelt in der Gegend herum, bis er entlassen wird, weil er nichts mehr verkauft. Er heuchelt Stärke - lass das mal den Papa machen –, bricht aber unter der Last zusammen, für die Familie zu sorgen. Sie weiß, dass er versucht hat, sich umzubringen, tut aber so, als wäre alles herrlich. Beide halten partout fest an der Möglichkeit, dass sie und ihre Söhne es irgendwie schaffen in der Gesellschaft.

Bis zur Pause ist Robert Borgmanns Inszenierung fein gearbeitet

Verfehlte Erziehungsmodelle, unauflösliche Generationenkonflikte, drohende Altersarmut, Gier und Konsum: Wie aktuell und tragisch das 1949 uraufgeführte Stück heute noch ist, sieht man bis zur Pause in Robert Borgmanns Inszenierung, die fein gearbeitet ist. Sogar mit Humor, wenn Peter Kurth im Tüllrock mutmaßt, die Leute könnten über ihn lachen, weil er vielleicht verkehrt angezogen sein könnte. Und Susanne Böwe, inbrünstig, empört über die Paranoia, ihm entgegenhält: „Aber nein! Für mich bist du der schönste Mann der Welt.“ Die Schauspieler halten der immer noch omnipräsenten Schlöndorff-Verfilmung mit Dustin Hoffman und John Malkovich starkes Theater entgegen. Mit einer patent mütterlichen Linda (Susanne Böwe), mit einem verzärtelten Sohn Happy (Manolo Bertling), der immerzu alle miteinander befrieden will, mit einem rotzig-verbitterten Sohn Biff (Manuel Harder) in James-Dean-Habitus. Vor allem aber mit einem Peter Kurth, der Willy Loman irrlichtern lässt. Fahrige Bewegungen, flackernder Blick, wenn er sich in Erinnerungen verliert. Cholerisch, wenn er mit Biff streitet, und manchmal nur noch apathisch, als würden nun wirklich alle Probleme dieser Welt auf seinen Schultern lasten.

In einem der besten Momente, die man in dieser Saison im Schauspielhaus erlebt hat, stehen Elmar Roloff und Peter Kurth einander gegenüber. Kurth imitiert Roloffs Bewegungen, als stünde er vor einem Spiegel. Doch während Roloffs Charley es geschafft hat, im Kapitalismus klar zu kommen, ist Kurths Loman gescheitert. Charley, der das weiß, wehrt sich deshalb nicht gegen Lomans Großspurigkeit. Das Geblaffe: „Du isst falsch“, kommentiert er stoisch mit „Ich esse mit dem Mund“. Als wäre es ein Ritual, vertreiben sie sich die Zeit mit einem absurden Möhren-Verkaufsspiel, mit Pokerface der eine, mit Langmut der andere. So viel Beckett, so viel „Warten auf Godot“ steckt in dieser Szene, so viel tragische Poesie, die ohne Worte von vertanem Leben erzählt.

Nach der Pause gibt’s platte Kritik am American Dream

Geradezu geschwätzig geht es nach der Pause zu. Borgmann verliert sich in prätentiösem Aktionismus. Und wird platt. Kritik daran, dass Menschen im Alter ausgemustert werden, stellt er mit Neonschrift auf einem Podest grell aus: Desire, Begehren, auf der einen Seite, auf der Rückseite in Großbuchstaben Capitalism, also Kapitalismus amerikanischer Machart. Auch gern genommen bei der Kritik am American Dream auf deutschen Bühnen: Mickey-Mouse-Verkleidungen (trägt Happy in einer Szene, in denen die Söhne jung sind). Und Marilyn-Monroe-Kostüme (Willys Chef Howard, gespielt von Robert Kuchenbuch, hat sich eine Monroe-Sexpuppe bestellt, verkörpert von Birgit Unterweger).

Ängstlich, dass die Botschaften nicht ankommen, wird dick aufgetragen. Birgit Unterweger spielt auch Charleys erfolgreichen Sohn, sehnsüchtig Biff anstarrend, verzweifelt brüllend, wenn es zu klären gilt, warum Biff sein Leben weggeworfen hat. Eine wenig subtile Ansage, dass Howard heimlich schwul sein könnte. Und wenn Bertling in einer Restaurantszene den lasziven Pole-Dancer in Glitzerhose und Felljäckchen gibt, muss er die Regieanweisung aufsagen, dass nämlich Happy groß und kraftvoll ist und eine enorme Sexualität verströmt. Aber er ist auch nur der wenig beachtete Nachgeborene, weshalb er mehrmals „Papa, schau mal, was ich alles kann!“ ruft, an den Stangen turnt und fällt. Auch der Regisseur sagt mit Szenen wie diesen: Schaut, ich kann auch aus diesen standardisierten Versatzstücken das Baukastentheater basteln, das zurzeit gefragt ist.

Der Regisseur vertraut nur eine von zwei Stunden auf seine Klugheit und auf die exzellenten Schauspieler

Deshalb auch belässt er es nicht damit, die Stoffbahnen von Technikern herunterreißen zu lassen, wenn die Figuren endlich Tacheles reden und der Vorhang, der alle Lebenslügen überdeckt und als bürgerliche Fassade „agiert“ hat, seine Funktion verliert. Borgmann zeigt jetzt, dass jeglicher „Bühnenzauber“ nur hergestellt wird: Techniker zünden Feuer, schieben ein Pferd auf Rollen hin und her. Und, völlig sinnfrei, wird ausgerufen: „Peter Kurth auf die Bühne, bitte“. Natürlich ist Peter Kurth nicht Loman, sondern der Schauspieler, der die Figur verkörpert. Solche Kommentare - Überraschung: Hier wird Theater gespielt - passen irgendwie immer und wirken erst recht an diesem Abend ennuyierend. Und enttäuschend, da Borgmann nur eine von zwei Stunden lang auf seine Klugheit und Subtilität vertraut - und auf seine fabelhaften Schauspieler.

Termine : 18., 22., 29. Mai, 4. ,10. 20. Juni. Karten: 07 11 / 202090