Annalisa Cannito, „Silence ist Violence“, 2017 Foto: Annalisa Cannito

Ein Atombunkerprojekt des 1980 gestorbenen jugoslawischen Staatsgründers Josip Brosz Tito ist Ausgangspunkt der aktuellen Ausstellung des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart. „Titos Bunker“ will viel – zu viel für eine Ausstellung?

Stuttgart - Immer weiter, auch, wenn es nicht vorwärts geht. Immer in Kampfbereitschaft, auch, wenn der Gegner nie wirklich sichtbar wird. Immer mit dem Glauben an das Schöne danach, an das künftige Leben mit der Familie, auch, wenn jeden Tag und jede Nacht eigene Mitstreiter sterben.

Die Grenze zwischen dem notwendigen Dennoch und absurder Leere beziehungsweise der Leere des Absurden ist in jedem Krieg, ja, schon in jeder bewaffneten Sicherung von Orten, Institutionen und Nationen allgegenwärtig.

Wie wird das Unaushaltbare greifbar?

Das Unaushaltbare greifbar zu machen, versuchen Künstlerinnen und Künstlerinnen seit Jahrhunderten – und keineswegs verstärkt erst, seit die filmischen oder gar die digitalen Mittel dies eher möglich erscheinen lassen. Schon die Zeit setzt hier ihre eigenen Grenzen. Der russische Filmregisseur Alexander Sokurow aber konfrontiert mit dem Unaushaltbaren – fast sechs Stunden folgt er mit der Kamera 1994 russischen Einheiten in Afghanistan. Patrouillen im Nirgendwo werden dabei zur Spiegelseite für ein Leben im Nirgendwo, in endlosen, Vorläufigkeit behauptenden Gängen, die zu Stollen werden, die zu Bunkeranlagen werden.

„Spiritual Voices“ nennt der in St. Petersburg lebende Sokurow seinen Film, den Iris Dressler und Hans D. Christ als Direktoren des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart jetzt rein räumlich im Zentrum ihrer neuen Themenausstellung „Titos Bunker“ zeigen. Sokurow liefert indes auch einen der stärksten Beiträge einer Schau, die von Beginn an in Gefahr gerät, als erweiterte Anmerkung des zuvor im Vierecksaals des Kunstgebäudes Stuttgart so überzeugend gezeigten Projekts „Post Peace“ zu wirken. „Titos Bunker“ basiert nicht zuerst auf einer Idee, nicht auf einer künstlerischen Behauptung, nicht auf einer zuspitzenden Filterung von Zuständen und Entwicklungen, sondern ist initiiert von eben diesem realen Ort – dem zentralen Atomschutzbunker der ehemaligen jugoslawischen Staatsregierung.

Titos realer Bunker entsteht bei Sarajevo

Josip Brosz Tito, aus dem Befreiungskampf gegen die Besatzung durch Hitler-Deutschland wie aus dem nahezu parallel laufenden Bürgerkrieg zum Regenten eines sozialistischen, sich aber gleichwohl scharf von der Sowjetunion abgrenzenden Landes aufgestiegen, hatte die erst 1979 fertig gestellte Anlage von 1953 an bauen lassen. In Konijc, gerade 40 Kilometer von jener Stadt entfernt, die 1994 zum leidenden Menschenbruder wurde: Sarajevo. Tito war 14 Jahre tot, die von ihm mitgeformte Republik kriegerisch zerfallen in behauptete Nationen.

Die Millionenstadt Sarajevo, die Vielvölkerstadt, die wirkliche Metropole, ist eingekesselt. In einer Senke gelegen, wird sie zur Falle. Die Belagerer tragen Uniformen mit erst wenige Jahre zuvor erfundenen serbischen Wappen. Die Verteidiger tragen viele Wappen, gelten als Serben, Kroaten, Bosnier, Dalmatiner und Slowenen – und fühlen sich als Bürgerinnen und Bürger von Sarajevo.

Alexander Sokurow begleitet die russischen Einheiten in Afghanistan, während der Menschenbruder Sarajevo um das Überleben ringt. „Titos Bunker“ notiert dies, aber verdichtet die Linien nicht.

Im Gegenteil. Über das Umkreisen des realen, für 350 Spitzen aus Militär und Staatsapparat angelegten Tito-Bunkers in Konijc in Jorge Ribaltas Fotoprojekt „Wasser, Wind und Drähte; Bunker/Museum; Phantom-Öffentlichkeit; Besuchen Sie Konjic“, versammelt die Schau künstlerische Positionen zum Thema Bunker an sich, erklärt aber auch den Bunker zu einer Metapher der Bereitschaft zu kriegerischem Denken, Planen und Handeln. Das ist so richtig wie zugleich allumfassend – und so wird eine gewisse vielleicht sogar angestrebte Unschärfe zum bestimmenden Impuls dieser Ausstellung.

Parabel über das Verbrechen vor dem Verbrechen Krieg

Mehr und mehr wird sie in ihrem erstmals für Dressler/Christ auch weniger konsequent erscheinenden Parcours zu einer Parabel über die mit der Idee des Atomschutzbunkers verbundenen Verbrechen vor und nach dem Verbrechen des Einsatzes der Bombe selbst. Der Mensch im Reallabor der Strahlung – gefangen in der Uniform wie die US-Soldaten bei den Bombentests in Nevada oder zuvor schon wie in der Ausstellung von Annalisa Cannito thematisiert, von 1943 an im Nuklearkomplex Hanford Site im Staat Washington.

Einen vielleicht nur provokanten Schritt geht die Schau mit der Übertragung des unterstellten allumfassenden Schutzes im Bunker auf die Wohnmaschinen-Ideen von Le Corbusier. Wie ein Bunker keineswegs ein abgeschlossenes System ist und bei exakter Betrachtung allein schon aus technischen Gründen schier unendliche Öffnungen aufweist, muss auch die Vorstellung künstlich produzierter und in einem ewig sicheren Kreislauf gehaltenen reinen Luft Illusion bleiben. Bernd Behrs Installation „Amoy Gardens“ über die gleichnamige Wohnanlage in Hongkong wird zur bitteren Analyse. Gerade das Verrotten der Kühl- und Heizungsanlagen machte das nahezu aufgegebene Modellquartier zum Ausgangspunkt weltweiter Virenausbreitung.

Titos Bunker ist seit 2011 Ort der Kunst

Titos Bunker? Ist längst internationales Tourismusziel. Aber seit 2011 auch Ort der Kunst, Bühne der von Edo und Sandra Hozic initiierten Project Biennial D-0 ARK.. Iris Dressler und Hans D. Christ waren eingeladen, die 4. Project Biennial zu erarbeiten – und setzen diese (zu sehen bis zum 21. Oktober) mit „Titos Bunker“ in erweitertem Rahmen fort.

Beginnt diese Schau mit einer kartografischen Begriffssammlung von Lia Perjovschi, deren Titel bereits eine Überfrachtung andeutet – „Die Biennale, das Projekt, der Bunker, die Schlüsselbegriffe der KuratorInnen und das Museum“ –, so endet sie still und als Frage, ob und wie sich unsichtbar gewordene Verbrechen sichtbar machen lassen. „Unfruchtbare Böden“ heißt eine Fotoserie von Sandra Vitaljic, die Orte des Mordens im machtpolitisch inszenierten Wahn im ehemaligen Jugoslawien dokumentiert.

Als Ausstellung will „Titos Bunker“ zu viel

„Titos Bunker“ will viel. Zu viel, um als Ausstellung zu überzeugen. Zugleich aber ist „Titos Bunker“ Ausgangspunkt und Diskussionsgrundlage eines umfassenden Ganzen von Diskussionen, Vorträgen und Filmen. Und natürlich ist die Schau ein Schritt, der Biennial D-O ARK Rückenwind für den weiteren Weg auf dem Weg zu einem aus den Biennalen heraus entwickelten Museum für Gegenwartskunst zu geben. Aus dem geheimen exklusiven Schutzort eine öffentliche und von nationalen und politischen Identitäten unabhängige Bühne zu machen, bleibt gleichermaßen ein künstlerisches wie kuratorisches Projekt.

Umfangreiches Begleitprogramm

Zu sehen ist „Titos Bunker“ bis zum 6. August im Württembergischen Kunstverein Stuttgart (Kunstgebäude am Schlossplatz, Di bis So 11 bis 18, Mi 11 bis 20 Uhr, Eintritt 5 Euro, ermäßigt 3 Euro).

Das in Partnerschaft mit der Association Biennial of Contemporary Art Sarajevo, Bosnien-Herzegowina realisierte Projekt bietet ein umfassendes Begleitprogramm – unter anderem mit Marcel Ophüls’ Film „Veillées d’armes. Journalismus in Zeiten des Krieges“ am 4. und 7. Juli.