Ein Rhesusaffe im Tübinger Centrum für Integrative Neurowissenschaften Foto: CIN

Die Debatte um Tierversuche ist jüngst eskaliert. Doch Experimente an Tieren bleiben notwendig, sagen Forscher der Uni Tübingen. Sie wollen die Öffentlichkeit umfassender informieren.

Tübingen - Irritiert schaut der Rhesusaffe durch die Scheibe. Er zeigt die Zähne – eine Drohgebärde. Normalerweise kommen nicht so viele Menschen auf einmal in die Primatenhaltung des Centrums für Integrative Neurowissenschaften (CIN) der Universität Tübingen. Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) und eine Handvoll Journalisten betrachten das Tier, aus dessen Schädel ein Implantat ragt. „Wir untersuchen hier grundlegende Funktionsweisen des Gehirns“, erklärt einer der Forscher. Dazu wird die Aktivität von Nervenzellen im Hirn gemessen. Für den Affen, der dazu bestimmte Aufgaben lösen muss, sei das schmerzlos – denn das Gehirn hat kein Schmerzempfinden.

Drei bis vier Stunden täglich wird mit den Affen experimentiert – manchmal auch länger. Ein gut trainiertes Tier sei für die Wissenschaft sehr wertvoll, sagen die Forscher. „Daher wollen wir, dass es den Affen gut geht. Wären sie gestresst, würde das unsere Untersuchungsergebnisse verfälschen.“ Wenn die Tiere nicht im Primatenstuhl sitzen, in den sie während der Experimente fixiert werden, halten sie sich in ihren Käfigen auf. Dort haben sie Reifen und Stangen zum Klettern. Mit neun Rhesusaffen wird derzeit im CIN gearbeitet.

Die Debatte um Tierversuche hat jüngst an Schärfe zugenommen. Sie gipfelte darin, dass Nikos Logothetis, Direktor am Tübinger Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, nach massiven Drohungen ankündigte, seine Versuche an Primaten einzustellen. Die Wissenschaftsministerin betrachtet diese Entwicklung mit Sorge. „Die Debatte wurde unmöglich gemacht“, sagt sie. Umso wichtiger sei es, ein Forum zu schaffen, in dem auch schwierige Fragen behandelt werden könnten. „Den ethisch-moralischen Diskurs kann die Wissenschaft nicht ersetzen, aber wir brauchen Wissenschaftler in diesem Diskurs“, ist Bauer überzeugt. Ihrer Meinung nach ist die Öffentlichkeit nicht ausreichend informiert. Deshalb müsse zunächst einmal geklärt werden, „wofür wir Tierversuche brauchen“. Sie begrüßt daher, dass die Forscher die Gesellschaft zukünftig umfassender über ihr Tun informieren wollen. Denn die Sorgen der Menschen um den richtigen Umgang mit Tieren nähmen zu. „Ich bitte die Wissenschaftler, respektvoll mit diesen Sorgen umzugehen“, sagt Bauer. Wissenschaft bringe Dinge hervor, über die man „mit Fug und Recht“ streiten könne.

Tierversuche noch unverzichtbar bei Krebstherapie

Zumal nach Auskunft der Forscher in absehbarer Zeit nicht auf Tierversuche verzichtet werden kann. Wichtig seien sie unter anderem für die Entwicklung der Immuntherapie für Krebspatienten. „Immunreaktionen sind nur sehr schwer in der Petrischale untersuchbar“, sagt Nisar Malek vom Zentrum für personalisierte Medizin. Dennoch gebe es neue Entwicklungen, um von Tierversuchen wegzukommen, erklärt Annette Denzinger, eine von fünf Tierschutzbeauftragten der Universität. Regelmäßig besuchen sie die Haltungsbereiche und achten darauf, dass die Tiere artgerecht gehalten werden. Sie beraten tierexperimentell tätige Forscher und schreiben Stellungnahmen zu Anträgen auf neue Versuche. „Die Qualitätssicherung erfolgt auf vielen Ebenen.“

Trotzdem sieht Manfred Wolff, Mitglied der Ethikkommission für Tierversuche des Regierungspräsidiums Tübingen, Verbesserungsbedarf: „Derzeit wird nur veröffentlicht, was gelingt“, kritisiert er. Das heißt: Bringt ein Tierversuch negative Ergebnisse, von denen andere Wissenschaftler nichts wissen, besteht die Gefahr, dass derselbe Versuch erneut von anderen Forschern durchgeführt wird – in der Annahme, es habe ihn noch nie gegeben. „Eine Archivierung sämtlicher Tierversuche wäre notwendig, um misslungene Versuche nicht zu verdoppeln“, sagt Wolff. Er plädiert für mehr Transparenz. Das sei jedoch nicht so einfach, sagt Hans-Peter Thier vom CIN: „Ich veröffentliche auch negative Ergebnisse, weil ich in einem Alter bin, in dem ich es mir leisten kann.“ Würden junge Kollegen das tun, so müssten sie jedoch mit Nachteilen rechnen. Das sei nicht das einzige Problem: Nicht immer würden die für die jeweilige Fragestellung optimalen Modelle genutzt.

Auch im Umgang mit der Öffentlichkeit zeigen sich die Forscher selbstkritisch: „Dass die Debatte so eskaliert ist, haben wir Wissenschaftler mitzuverantworten“, glaubt Thier. Zu lange habe man sich zurückgehalten. „Das ist menschlich verständlich, wenn man mit Anfeindungen rechnen muss.“ Einige junge Wissenschaftler gehen in die Offensive – sie haben die Initiative Pro-Test gegründet, um mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten. „Wir sind in der Bringschuld, uns zur Verfügung zu stellen“, ist Florian Dehmelt, einer der Initiatoren, überzeugt. Es solle ein Austausch auf Augenhöhe sein, denn Wissenschaftler seien nicht besser qualifiziert, ethisch-moralische Fragen zu beantworten.