Beim Stadtspaziergang zeigt Tierschützerin Silvie Brucklacher-Gunzenhäußer, welche Ecken in Stuttgart tierfreundlich sind. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Silvie Brucklacher-Gunzenhäußer ist eine Eierdiebin, allerdings nicht aus Eigennutz. Sie sorgt so für gesunde Wildtierpopulationen und erklärt, was die Landeshauptstadt noch dafür tun könnte.

Stuttgart - Die Landeshauptstadt ist gespickt mit grünen, wilden Inseln. Es gibt dort mehr zu entdecken als Sonnenanbeter und Hundebesitzer, das hat am Samstag Silvie Brucklacher-Gunzenhäußer ihren Mitläufern bei einem Stadtspaziergang der Reihe „Mein Stuttgart“ bewiesen. Sie wird von der Stiftung Geißstraße und unserer Zeitung veranstaltet.

Das Wetter sensationell, die Temperatur sommerlich, die knapp 40 Teilnehmer unternehmungslustig und neugierig. Aber würde man wirklich Wildtiere zu sehen bekommen? Schließlich leben in Stuttgart „mehr Tiere als Menschen“, so Michael Kienzle von der Stiftung Geißstraße. Und ist die Stadt wirklich so tierfreundlich, wie die Fotografin und Tierschutzaktivistin glauben machen will? „Jein“, sagt sie, „Stuttgart tut nicht alles, was geht.“

An der Geburtsstätte des Tierschutzvereins

Den Flaneuren, Hunden, Tauben und Singvögeln sollte die Stadt zum Beispiel mehr Wasser zugänglich machen, fordert die Frau, die mit ihren Promi-Portraitfotos vor rotem Hintergrund, den Rotaries, sowie mit ihren Taubenschutzaktionen Aufsehen erregt. Das Plätzchen am Hans-im-Glück-Brunnen beispielsweise sei einer ihrer Lieblingsorte, weil Tiere dort ihren Durst stillen könnten. „Im Hochsommer leiden Tiere wirklich große Not.“

Vielleicht schafft sie es, dass bald mehr Brünnlein fließen. Für die Tauben jedenfalls hat sie schon eine Menge erreicht: Der Bau von Taubentürmen und Taubenschlägen wird von ihr und vielen Haupt- und Ehrenamtlichen vorangetrieben, fünf gibt es schon in der City, insgesamt sind es zehn. Zwei Schläge sind unter dem steilen Kirchendach eingerichtet worden, an einem durchaus geschichtsträchtigen Ort. Leonhards-Pfarrer Albert Knapp vollendete hier, was er zuvor mit seinem Freund, Pfarrer Christian Adam Dann, eingefädelt hatte: Er gründete 1837 den ersten deutschen Tierschutzverein wegen der damals durchaus üblichen Schinderei von Zucht- und Arbeitstieren. Als ein auf der Kirche nistender Storch eines Tages totgeschossen worden ist, war das Maß für die beiden Herren voll. Und en passant bedankt sich die Tierschützerin bei Heinz Rittberger, der mit weit über 80 Jahren nicht nur seine Drogerie in der Esslinger Straße führt, sondern auch den sakralen Taubenschlag hegt und pflegt.

Appell an die Gartenbesitzer

Zur Hege und Pflege gehöre das Auswechseln der Eier gegen Plastikeier, erläutert die Tierschützerin. „Geburtenkontrolle“, um die Population in Grenzen zu halten, fünf bis sechs Mal im Jahr, 20 000 Eier. Das habe sich inzwischen als gute Lösung erwiesen, wie Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle versichert. Besser jedenfalls als „abmurksen, vergiften, abschießen“, wie der Technische Ausschuss des Gemeinderats vor 20 Jahren empfohlen habe, erinnert sich Michael Kienzle. Auch den Enten am Eckensee jubelt die Tierschützerin gelegentlich ein Kunstei unter und ärgert sich über das Enten- und Taubenfütterverbot, das mit hohen Bußgeldern geahndet wird: „Wie schade, das gehört doch zu unserem Kulturerbe!“

Schon ist sie beim nächsten Thema: den kurz geschorenen Rasenflächen rund um den Eckensee. „Die Blumen und Gräser dürfen nie aussamen, das ist für mich und für die Insekten alles viel zu geschleckt.“ Weil wegen des Futtermangels Wildbienen auszusterben drohen und Schmetterlinge seltene Gäste sind, appelliert sie an ihre Zuhörer: „Wir sollten unsere privaten Gärten der Artenvielfalt zuliebe etwas freundlicher behandeln und lässiger pflegen.“

Blick für die Details wecken

Widerspruch erntet sie keinen, im Gegenteil. „Genau das wollte ich wissen“, sagt Dagmar Müller-Buchalik, eine sehr naturinteressierte Grundschullehrerin. Andere erzählen von Fledermäusen in ihren Gärten, von Falken, die sie beobachtet haben. Renate Vogt ist „frisch Rentnerin“ und sagt: „Nun habe ich endlich Zeit, mit neuem Blick durch die Stadt zu gehen. An vielem bin ich bisher vorbeigerannt.“ Bertram Gerdung aus Kornwestheim ist Wiederholungstäter: „Vor fünf Jahren war ich das erste Mal dabei. Es ist wirklich erfrischend, immer wieder neue Ecken und Geschichten zu entdecken.“ Nur beim Thema Eidechsenhabitat am Killesberg folgten einige Teilnehmer der Einschätzung der Tierschützerin nicht, es handle sich „um eine Kleinigkeit“.

Fast am Ende der Tour: Der Stadtgarten an der Universität, „ein trauriges Kapitel“, sagt Michael Kienzle, und weist auf die verlotterten, hässlichen Betonbauten sowie auf die „schwierigen Besitzverhältnisse“ hin. Seit Jahren soll der Park neu angelegt werden, doch weder einigten sich Land und Stadt, noch ist geklärt, wie die Campus-Ideen der Uni zu der öffentlichen Anlage passen könnten. Mit einem Taubenturm ist der Park bestückt, aber „es wird noch nicht mal Geld für Begrünung ausgegeben“, moniert Brucklacher-Gunzenhäußer, „ich reg mich tierisch auf“. Ein Rolltor vor der LBS in der Jägerstraße, der letzten Station der Tour, macht ihre Laune nicht besser. Hier lebte einst Lina Hähnle, die Begründerin des Vogelschutzbunds, der Vorläufer des Naturschutzbunds. Eine Stele erinnert an sie, neuerdings plätschert daneben ein monumentales Wasserspiel. Sie schimpft: „Auch hier werden Mensch und Tier wieder vom Wasser ausgesperrt“, und erntet dafür, aber auch für ihre kundige Führung durch die wilden Ecken Stuttgarts kräftigen Applaus.