Tierpfleger Harry Aberle, hier mit einem weißen Tigerpython um den Hals Foto: Lichtgut/Volker Hoschek

Das Datum hat er noch genau im Kopf: Am 15. August 1975 hat Harry Aberle mit seiner Lehre als Tierpfleger in der Wilhelma angefangen. 40 Jahre später nennen ihn Kollegen wie Fans „Crocodile Harry“. Denn der heute 57-Jährige aus Vaihingen/Enz bändigt Schlangen wie Krokodile.

Stuttgart - Seit 40 Jahren arbeitet Harry Aberle als Tierpfleger in der Wilhelma. Kollegen wie Fans nennen ihn „Crocodile Harry“. Denn der heute 57-Jährige bändigt Schlangen wie Krokodile, wie er im Montagsgespräch der StN erläutert. -
Herr Aberle, zeigen Sie doch mal Ihre Hände. Und, wie viele Finger fehlen?
Hier, bitte, gucken Sie’s sich an: Jeder Finger noch vollständig dran. Aber ich weiß, auf was Sie rauswollen. Einem Kollegen von mir fehlen zwei Finger an der linken Hand. Ein Schabrackentapir hat ihm die vor mehr als 30 Jahren abgebissen, als er sich zwischen das beißende Muttertier und ihr Junges mischen wollte.
Scharfe Zähne, die haben Ihre Krokodile aber auch.
Klar sind die gefährlich. Genauso wie meine Schlangen. Man darf eben bei seinem G’schäft nicht schlafen, muss immer konzentriert sein und aufpassen. Etwa auch beim Putzen der Gehege. Ein Ausrutscher auf den Algen, dann bin ich weg vom Fenster. Oder wenn mich das Krokodil erwischt, ist’s aus mit mir. Oder wenn wir es fangen müssen, weil es krank und eine Behandlung durch den Tierarzt nötig ist: Dann spring’ ich rein, schnell auf den Rücken drauf – und heb’s Maul zu.
Mit Ihrer Schaufütterung montagnachmittags haben Sie schon Zehntausende Wilhelma- Besucher begeistert.
Das stimmt. Ich glaube, das ist zumindest in Deutschland einmalig. Wir haben beim Umbau der Krokodilhalle extra so eine Empore gebaut. Da stehe ich oben, mit dem Hähnchen in der Hand. Und Tong, das ist unser weißes Leistenkrokodil, Geburtsjahr 2000, zweieinhalb Meter lang, lauert unten und wartet auf mein Zeichen.
Aus dem Stand springt sie mit ihren über 100 Kilo zwei Meter aus dem Wasser raus und schnappt sich das Hähnchen. Ich hatte so etwas mal in einer Zeitschrift über die Philippinen gesehen und mir fest vorgenommen: Das machst du in der Wilhelma auch. Und so konnte ich meinen früheren Direktor, Prof. Jauch, davon überzeugen, dafür diesen Felsvorsprung bauen zu lassen.
Und hat’s mit Ihrer Sprungnummer gleich geklappt?
Nein, das Training hat sechs Jahre gedauert, bis es vorzeigbar war. Anfangs mit einem Fisch an einer Art Schlangenhaken, zunächst niedrig, dann ein bisschen höher. Seit zwei Jahren ist es richtig gut, und wir machen die Show.
Springende Krokodile! Und was ist mit artgerechter Haltung?
Aber das ist es doch. Die Leistenkrokodile kommen aus Thailand, Tong heißt auf Thailändisch die Goldene. In Südostasien oder Australien fressen die Krokodile Fledermäuse oder Vögel und Affen, die auf Ästen über dem Wasser sitzen.
Da springen sie hoch und schnappen sich die. Das ist ihre natürliche Nahrungsbeschaffung. Und das habe ich nun genutzt für die Show am Montag um 14 Uhr.
Wie viele Krokodile sind es in der Wilhelma?
Früher hatten wir mal 18 Krokodile, alles verschiedene Arten. Heute ist es nur noch eine Art. Das Männchen ist 2006 gestorben. Jetzt sind es nur noch vier Weibchen. Das ist nicht so gut. Da gibt’s viel zu oft Zickenkrieg. Da würde ein Mann wieder Ruhe bei den Weibern reinbringen. Das wär‘ mir schon recht.
War der Krokodilbändiger bei Ihnen quasi in die Wiege gelegt?
Also zumindest die Leidenschaft für Tiere. Mein Vater war im Fischereiverein in Vaihingen an der Enz. Da war das Interesse früh geweckt. Ansonsten war es aber auch Zufall: So mit sieben oder acht Jahren habe ich ein Fundtier auf einer Wiese entdeckt: eine Schildkröte. Das war der Ursprung für meine Liebe zu den Reptilien, und die ist bis heute geblieben.
 

„Mit 14 das erste Praktikum in der Wilhelma“

 
Mit 14 habe ich in der Wilhelma als Praktikant im Terrarium begonnen, bin dann rüber zu den Schlangen gewechselt. Drei Jahre später habe ich die Lehre als Tierpfleger angefangen, bin später zum Giftschlangenexperten geworden. Eigentlich sind Schildkröten meine Lieblinge, aber die schönsten Tiere für mich sind Krokodile und Schlangen.
Und auch da besteht wieder höchste Gefahr.
Die Pythons sind schon vier Meter lang. Aber die merken, wenn ich komme. Die haben zwar kein Gehör und können wenig sehen, aber die riechen das. Ich klopf’ denen gleich am Anfang auf den Rücken, und dann wissen sie: Ach, dieser Typ ist wieder da, den kennen wir ja schon – und dann sind sie auch gleich wieder ruhig.
Viele fürchten sich ja, so eine Schlange anzufassen.
Dabei fühlt sich die Haut super an. Wir haben ja auch immer wieder Kindergeburtstage, zu denen eine Schlangenbegegnung gehört. Wenn die Eltern nicht dabei sind, klappt es prima. Aber wenn eine Mutter zweimal Iiiihhh schreit, dann sind auch die Kinder so verpeilt, dass nichts mehr geht.
Was fressen die Schlangen?
Na, Mäuse oder Ratten halt.
Lebendige?
Nein, nein. Wir züchten die auf unserer Futterstation und töten sie vor der Fütterung ab. Aber sie sind dann noch warm, sonst würden die rund 120 Schlangen bei uns sie nicht fressen.
 

„Zwei Ratten reichen für 14 Tage“

 
Aber Schlangen fressen nicht viel. Eine Boa mit zwei Meter Länge, da reichen zwei Ratten für 14 Tage. Und wenn sie sich häutet, dann frisst sie nicht, dann langt’s auch für vier Wochen.
Sie sind der geborene Entertainer?
Na, ich mach’s schon gerne, gerade die Darbietungen in der Krokodilhalle mit Publikum. Ich war schon überall, in Zeitschriften, im Fernsehen, mal ’ne Samstagabendshow oder bei „Eisbär, Affe und Co.“, den Zoogeschichten aus Stuttgart. Wenn ich unterwegs bin, sprechen mich Hamburger oder Hessen an: Sie sind doch der Filmstar? Aber verstellen tu’ ich mich fürs Fernsehen nicht, i schwätz Schwäbisch, net Hochdeutsch.
Haben Sie selbst Haustiere?
Ich hatte früher etliche Haustiere: Fische, Reptilien, Tauben, hab‘ 30 Jahre Königsnattern gezüchtet. Aber nun ist daheim nichts mehr. Mir reichen die Tiere hier in der Wilhelma. Früher bin ich auch überall dort hingereist, wo die Tiere herkommen: Papua-Neuguinea, Borneo, Singapur. Aber mittlerweile hab‘ ich alles gesehen, und ich will nicht mehr so lange fliegen. Jetzt geht’s halt im Urlaub nach Griechenland, wo meine Frau herkommt. 40 Jahre in diesem Beruf schlauchen auch ganz schön, allein mit den Wochenenddiensten alle zwei Wochen.
Und wo finden Sie Erholung?
Na, schon hier in der Wilhelma: frühmorgens, wenn noch keine Besucher da sind, oder abends, nach dem Spätdienst, wenn schon zu ist. Dann schaue ich auf die neue, von mir vor zwei Jahren mit konzipierte Schildkrötenanlage. Oder ich sitze gerne am Seerosenteich und denke: Was für ein schöner Arbeitsplatz!