Durch das Streicheln entsteht eine besondere Beziehung zwischen Mensch und Tier Foto: Budimir Jevtic - Fotolia

Allein die Anwesenheit von Tieren gut vielen Senioren gut. Nicht nur deswegen setzten Mediziner und Psychologen Tiere in der Therapie ein.

Stuttgart/Köln - Dank der Initiative Silberpfoten des Stuttgarter Tierheims konnten viele Dramen verhindert werden – Dramen, die entstehen, wenn ältere Menschen ihre geliebten Haustiere abgeben müssen, weil sie die Tiere nicht mehr richtig versorgen können. „Die Tiere sind für die älteren Menschen ein emotionaler Halt “, sagt Marcel Yousef. Der Tierschützer arbeitet für das Projekt Silberpfoten, welches seit 2014 Senioren bei der Betreuung ihrer Haustiere hilft. „Die Senioren wollen die Anwesenheit des Tieres nicht mehr missen, weil sie sich weniger allein fühlen und eine Aufgabe haben“, sagt er. Das Tier gibt Struktur im Tagesablauf, und die Menschen haben etwas, um das sie sich kümmern können.

Tierbesitzer müssen seltener zum Arzt

So wurde nachgewiesen, dass sich Patienten nach einem Herzinfarkt schneller erholen, wenn sie ein Tier besitzen. Bei einem Hundehalter sinkt beim Gassigehen der Blutdruck – selbst die bloße Anwesenheit des Tieres beruhigt den Menschen, und das Herz-Kreislauf-System wird entlastet, wie die amerikanische Herzvereinigung (American Heart Association) herausgefunden hat. Australische Forscher haben zudem festgestellt, dass Tierbesitzer deutlich seltener zum Arzt müssen als Menschen ohne Tier.

Wenn ältere Menschen aber krank werden oder ein Handicap haben, wird es schwierig, mehrmals am Tag mit dem Hund Gassi zu gehen oder das lange Fell der Katze zu bürsten. Oft bleibt dann nur die Option, das Tier abzugeben. Ein Schock für Besitzer und Tier, weiß Yousef. Da greifen dann die freiwilligen Helfer von Silberpfoten ein: Sie führen den Hund aus, fahren mit dem Tier zum Tierarzt oder pflegen das Fell. Durch den Kontakt mit den Tierschützern können Senioren auch regeln, was mit ihrem Hund oder der Katze geschieht, wenn sie ins Altenheim müssen – denn in den wenigsten Fällen sind Vierbeiner dort willkommen. Und das obwohl Tiere einen positiven Einfluss auf die Bewohner haben, sagt Diplom-Psychologin Katharina Blesch, die an einer privaten Akutklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Bad Säckingen tätig ist. Sie hat untersucht, welche Wirkung Tiere im Vergleich zum gemeinsamen Singen auf die älteren Menschen haben. „Beides wirkt sich positiv auf die Gemütslage aus – der Kontakt zu Hunden hatte aber einen höheren Effekt“, sagt sie.

Die Tiere sehen nicht das Leid, sondern den Menschen

Im Unterschied zur Musik entsteht zwischen dem Menschen und dem Hund eine emotionale Beziehung. „Durch das Anfassen oder Ballspielen entsteht eine Bezogenheit“, sagt sie. Der Hund reagiert auf die Stimmung des Menschen und nimmt ihn dabei so, wie er ist. „Tiere bewerten nicht. Das erleichtert die Kontaktaufnahme.“

Aus ihren Erfahrungen weiß sie, dass gerade Menschen, die keine Angehörigen mehr haben, sehr vom Kontakt mit den Tieren profitieren: Jeder Mensch braucht Nähe und Zuneigung, und das Tier kann schneller eine Beziehung aufbauen, als ein Mensch es kann. „Sie sehen den Menschen und nicht nur dessen Defizite und Leiden“, sagt Blesch. Und die Tiere schaffen auch einen Kontakt zwischen den Heimbewohnern. „Die Tiere bieten einen Anlass für ein Gespräch und entspannen die Stimmung zwischen den Menschen.“

Senioren kommen durch Tiere in Kontakt

Eine ähnliche Erfahrung hat auch Markus Burgmüller, Direktor der Seniorenresidenz Augustinum in Stuttgart-Sillenbuch, gemacht: „Über das Tier entstehen soziale Kontakte zwischen den Bewohnern.“ Wer ein Apartment in der Einrichtung bezieht, kann sein Haustier mitbringen. „Für viele Bewohner war das der Ausschlag für ihre Entscheidung, hier einzuziehen.“ Das Tier sei immer ein Teil des Lebens gewesen und gebe in der neuen Umgebung Sicherheit und Vertrautheit, sagt Burgmüller. „Das Tier ist wie eine Bezugsperson.“

Die Erfahrung, dass Tiere eher angenommen werden als Pflegepersonal, hat auch Ralf Joachim Schulz gemacht. „Die Tiere kritisieren nicht und verlangen nicht, dass man jetzt isst oder trinkt“, sagt der Chefarzt der geriatrischen Klinik am St.-Marien-Hospital in Köln. Der Kontakt zum Tier lässt den Patienten ruhiger und ausgeglichener werden. In den USA hat man festgestellt, dass Demenz-Patienten länger am Tisch sitzen bleiben, wenn im Raum ein Aquarium aufgestellt ist. Und auch andere Therapien werden von den Menschen leichter angenommen, wenn ein Tier mit im Raum ist. „Die Patienten verbinden mit der Tagesklinik nicht die Therapie, sondern die gute Erfahrung mit dem Tier und kommen dementsprechend mit einer anderen Stimmung in die Klinik“, sagt Schulz.

Tiergestützte Therapie ist kein Allheilmittel

Eine besondere Rolle spielt die Haptik, also die Berührung, bei der Therapie mit Tieren. Dies hat Katharina Blesch bei ihrem Vergleich mit der Musiktherapie festgestellt. „Durch das Anfassen entsteht eine tiefere Form der Beziehung.“ Aus der Haptik ergeben sich andere Emotionen, weiß auch Schulz. „Für Menschen, die schlecht hören oder sehen können, ist Spüren sehr wichtig.“ Das sei ähnlich wie bei Kleinkindern, die über Körperkontakt viel wahrnehmen.

Zwar sei die tiergestützte Therapie kein Allheilmittel, trotzdem wünscht sich der Altersmediziner Schulz mehr Studien zu dem Thema. „Die Studienlage ist noch sehr dünn. Jeder weiß irgendwie, dass Tiere dem Menschen guttun, aber überprüfbare Daten gibt es noch zu wenige“, sagt auch Katharina Blesch. Dabei setzten schon im 18. Jahrhundert Mönche im englischen Kloster York bei der Behandlung von seelisch Kranken auf die Unterstützung von Tieren.

Auch die Bedürfnisse der Tiere müssen beachtet werden

In Deutschland gibt es keine einheitlichen Standards für die Therapie mit Tieren. „Die Therapie darf nicht auf Kosten des Tieres gehen“, sagt Schulz. Denn wenn der Hund keine Lust mehr hat, dann merkt das auch der Patient. Richtlinien für Ausbildung und Einsatz der Tiere und der Therapeuten würden einem Missbrauch entgegenwirken. Denn nicht selten ist es so, dass mit dem Tier zu viele Erwartungen verbunden werden.

Oder wie Marcel Yousef vom Tierheim berichtet: „Das Tier wird zum Partnerersatz.“ Das wird seinen Bedürfnissen selten gerecht. „Der Mensch geht von sich aus und erwartet vom Tier das Gleiche“, sagt er. Die Enttäuschung kann groß sein – und es spielen sich dann Dramen ganz anderer Art ab.