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Verschiedene Arten von Bären wie Grizzlys, Eisbären, Schwarzbären oder Malaienbären können sich untereinander paaren. Die so entstandenen Kreuzungen rütteln am Begriff der Art.

Stuttgart - Dafür kann mein Klient ins Gefängnis wandern“, schießt es Roger Kuptana durch den Kopf. Der Inuit hatte auf der Banks-Insel in der kanadischen Arktis am 16. April 2006 für einen Jäger einen weißen Bären aufgespürt. Alles war völlig legal, schließlich hatte Jim Martell aus dem US-Bundesstaat Idaho eine 45 450 kanadische Dollar (rund 30 000 Euro) teure Jagdlizenz für einen Eisbären. Nur war das erschossene Tier offensichtlich aber kein Eisbär: Das Fell war zwar weiß, aber mit braunen Flecken gesprenkelt. Beide Augen waren von einem Ring dunkler Haare eingerahmt. Zudem deuteten die langen Klauen ohne Zweifel auf einen Grizzlybären hin.

Wer aber diese Braunbär-Unterart ohne gültige Jagd-Lizenz schießt, dem droht bis zu einem Jahr Gefängnis. Allerdings sah das Tier eben auch nicht wie ein richtiger Grizzly aus. Eine Analyse des Erbguts lieferte dann den Beweis für einen Freispruch: Die Mutter des geschossenen Tieres war eine Eisbärin und der Vater ein Grizzly. Der Jäger hatte einen Hybriden erlegt, den es nach Ansicht vieler Biologen in der Natur gar nicht geben sollte.

Maultiere sind nicht fruchtbar

Schließlich sind Eis- und Braunbären zwei verschiedene Arten, die sich normalerweise nicht miteinander paaren. Und wenn doch, sollten sich zumindest die Nachkommen nicht vermehren können. So können Eselhengste mit Pferdestuten zwar ein Fohlen zeugen, nur sind diese Maultiere später unfruchtbar.

Bei Eis- und Braunbären scheint diese Regel nicht zu gelten. So schoss in der Nachbarschaft der Banks-Halbinsel ein Inuit auf der riesigen Victoria-Insel fast genau vier Jahre später einen weiteren, seltsam aussehenden Bären. Die Analyse des Erbgutes zeigt eine wissenschaftliche Sensation: Der Vater des erlegten Tieres war ein Grizzly, während die Mutter ein Hybrid aus Eisbär und Grizzly war. Auch Hybride aus beiden Arten haben in der Natur also Nachkommen.

Axel Janke vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum BiK-F und der Goethe-Universität im hessischen Frankfurt berichtet von weiteren Hybriden zwischen Eis- und Braunbären aus unserer Zeit. Das waren keineswegs die einzigen Techtelmechtel zwischen diesen beiden Arten. So finden die Forscher im Erbgut von Braunbären bis zu 8,8 Prozent, die eher zu den Eisbären gehören. „Und das Erbgut der Mitochondrien genannten Mini-Kraftwerke in ihren Zellen haben die Eisbären anscheinend vor 150 000 Jahren von einer Braunbärin beschlagnahmt“, erklärt Axel Janke. Echtes Erbgut aus Eisbären-Mitochondrien haben die Forscher dagegen noch nicht gefunden.

Mischung aus Schwarzbär und Malaienbär

Obendrein wurde im Jahr 2005 im Norden von Kambodscha ein junger Bär gefangen, der nicht nur vom Körperbau, sondern auch nach Erbgutanalysen eine Mischung aus Schwarzbär und Malaienbär sein musste. Zumindest diese Bärenarten halten von den in den Lehrbüchern beschriebenen Artengrenzen also weniger als Biologen es bisher vermutet hatten. „Um der Sache auf den Grund zu gehen, wollten wir das Erbgut aller Bären-Arten untersuchen“, erklärt Axel Janke.

Von Eis- und Braunbären sowie den Amerikanischen Schwarzbären waren diese besonderen DNA-Sequenzen im Erbgut bereits bekannt. Bei Routine-Untersuchungen nahmen Tierärzte mehrerer Zoos Blutproben von den in Asien lebenden Kragen-, Lippen- und Malaienbären, sowie von südamerikanischen Brillenbären, aus denen Axel Janke und seine Kollegen dann das Erbgut der Tiere isolierten. Als der Evolutionsgenetiker und seine Kollegen die Reihenfolge der rund 2,5 Milliarden Bausteine in jedem Erbgut ermittelt hatten, konnten sie erstmals das Genom aller sieben Arten der Bären-Unterfamilie Ursinae miteinander vergleichen. Und kamen dabei einer Revolution der Evolutionsbiologie auf die Spur.

Bisher kannten die Forscher neben vier Eisbär- und Braunbär-Hybriden und dem Schwarz- und Malaienbär-Hybriden aus Kambodscha noch eine Reihe weiterer Kreuzungen zwischen verschiedenen Bärenarten, die in Gehegen lebten. Im Erbgut der Tiere entdeckten sie jetzt eindeutige Spuren weiterer intimen Begegnungen zwischen den Arten, die in den vergangenen fünf Millionen Jahren stattgefunden hatten. Bisher vermuteten die Biologen hinter den wenigen Hybriden des 21. Jahrhunderts den Klimawandel, der die Eisbären mangels Meereis länger an das Land fesselt, wo sie eher Braunbären begegnen – und die wiederum kommen auf Grund der steigenden Temperaturen weiter nach Norden als früher. Doch diese Erklärung reicht jetzt nicht mehr aus. „Vielleicht alle zehn oder hundert Jahre kommen solche Hybride vor und hinterlassen Spuren im Erbgut“, schließt Axel Janke aus den Analysen. Das klingt erst einmal wenig. In einigen Hunderttausend oder sogar Millionen Jahren aber häuft sich einiges an.

Mischung über große Entfernung

Sogar zwischen Arten, die sich in der Natur normalerweise nie begegnen, muss es früher bereits Beziehungen gegeben haben. So leben die Eisbären in den Polargebieten des hohen Nordens, während die Malaienbären in den tropischen Gebieten Südost-Asiens zuhause sind. Und doch finden sich im Genom der Südländer Erbeigenschaften, die für Eisbären typisch sind. Da sich beide Arten in der Vergangenheit nie direkt begegnet sein dürften, hegen die Forscher den Verdacht, die in der Nachbarschaft lebenden Braunbären könnten zwischen beiden Arten vermittelt haben: Nach intimen Begegnungen mit Eisbären im hohen Norden könnten die Nachkommen solcher Hybride in Asien dann anderen Bärenarten getroffen haben – und an die haben sie dann neben dem eigenen auch das in ihnen schlummernde Eisbären-Erbgut weiter gegeben.

Mit solchen wechselseitigen Beziehungen rütteln die Forscher am bisherigen Begriff der Art. Zumal solche Hybride auch bei anderen Säugetieren auftreten: Beinahe 600 solcher Fälle sind bekannt. Mehr als zehn Prozent davon können ihrerseits wieder Nachkommen bekommen. Noch bunter scheinen es Vögel zu treiben, bei denen 4000 solcher Hybride gezählt wurden.

Bei genauem Hinschauen kommen solche Beziehungen zwischen den Arten aber nicht allzu überraschend. „Schließlich können so Eigenschaften zwischen den Arten wandern, die sich für das Überleben als wichtig erweisen“, erklärt Janke. Das könnten Abwehrkräfte gegen Krankheitserreger sein, die mit dem Klimawandel aus dem Lebensraum der Braunbären in die wärmer werdende Welt der Eisbären vordringen.

Ungewöhnliche Paare

Maultiere
Zwar tragen Pferdestuten häufig Fohlen aus, deren Vater ein Esel ist. Die männlichen Maultiere aber können sich nicht fortpflanzen und von den Stuten wirft vielleicht nur eine von Tausend jemals ein Fohlen. Dieser minimale Einfluss aber reicht nicht aus, um das Erbgut beider Arten zu vermischen.

Liger
Diese Spezies haben einen Löwen als Vater und eine Tigerin als Mutter. Männchen dieser Hybride können keinen Nachwuchs zeugen. Weibliche Liger dagegen können häufig durchaus Kätzchen werfen, deren Vater dann wiederum entweder ein Löwe oder ein Tiger sein kann.

Menschen
Vor mehreren Zehntausend Jahren gab es verschiedene Gruppen von Menschen, unsere Vorfahren und die Neandertaler. Auch diese zeugten gemeinsam Kinder. Nur so lassen sich jedenfalls die deutlichen Spuren erklären, die Neandertaler in unserem Erbgut hinterlassen haben.