Olympiastadion, Berlin: 2024 wieder Gastgeber für die Jugend der Welt? Foto: dpa

Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), ermuntert Deutschland zur Olympia-Bewerbung 2024. „Das ist ein großes Konjunkturprogramm und die Chance, sich weltweit als führende Nation in Bereichen wie Umwelt-, Energietechnik, Nachhaltigkeit und Gesundheit zu präsentieren“, sagt er im StN-Interview.

Guten Tag, Herr Bach. Haben Sie sich bei Fifa-Chef Joseph Blatter schon bedankt?
(Überlegt) Wofür?
Sie sind jetzt eine Pep, eine „politically exposed person“, unter besonderer Beobachtung der Schweizer Behörden im Hinblick auf Finanztransaktionen. Um Korruption und Geldwäsche zu verhindern.
Das begrüßen wir beim Internationalen Olympischen Komitee. Weil diese Regelung genau unseren transparenten Rechnungslegungs-Vorschriften entspricht. Und sie ist erkennbar nicht wegen des IOC gemacht.
Der Ruf der großen Sportorganisationen hat gelitten. Das IOC begegnet den Problemen mit einem einstimmig verabschiedeten Reformpaket. War der Leidensdruck so groß?
Nein, es war die Einsicht, dass es am besten ist, in Zeiten des Erfolgs Änderungen vorzunehmen.
Sie reden von wirtschaftlichem Erfolg?

Nicht nur. Die Olympischen Spiele in Sotschi und in London sind die wohl erfolgreichsten Spiele, die es jemals gab. Sie haben alle Rekorde gebrochen, was internationale Aufmerksamkeit anlangt. Vor allem über das Internet und die sozialen Netzwerke haben sich junge Menschen den Spielen wieder angenähert. Immer mehr Sportarten wollen ins olympische Programm . . .

. . . warum dann die Reformen?
Weil wir die IOC-Mitglieder überzeugen konnten, dass es immer besser ist, sinnvolle Änderungen rechtzeitig selbst vorzunehmen, bevor man vielleicht irgendwann dazu getrieben wird.
Der Preis für die Aufmerksamkeit ist hoch. Sotschi zahlte 51 Milliarden Dollar für den olympischen Auftritt 2014.
Diese Zahl stimmt in keinerlei Hinsicht. Die hat irgendjemand mal in die Welt gesetzt. Niemand kann sagen, wie sie sich zusammensetzt.
Sie haben die Möglichkeit, dies nun exklusiv zu korrigieren.
Die richtigen Zahlen ergeben sich aus dem operativen Budget der Spiele. Und das war in Sotschi mit etwas über zwei Milliarden US-Dollar in etwa vergleichbar mit dem in Vancouver und anderen Winterspielen. Dieses operative Budget wird einen Gewinn in Höhe von über 100 Millionen Dollar abwerfen, auch weil das IOC etwa 750 Millionen US-Dollar in dieses Budget der Spiele investiert hat.
Sie vergessen Putins Prachtbauten.
Nein, ich mache nur keine Milchmädchenrechnungen. Es entbehrt doch jeder betriebswirtschaftlichen Grundlage, dass man die Kosten von neu gebauten Wohnungen für Tausende Menschen den Olympischen Spielen zurechnet. Die stehen mindestens die nächsten 50 Jahre. Und wenn Hotels entstehen, um die Region touristisch zu erschließen, dann darf man das auch nicht zu hundert Prozent auf die Kosten der Spiele draufschlagen.
Es stellt sich die Frage nach der Henne und dem Ei.
Nein, diese Frage stellt sich nicht. Russland hatte nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion kein Wintersportzentrum mehr. Die waren in Kasachstan oder in den anderen Republiken. Russische Eisschnelllaufmeisterschaften mussten in Berlin ausgetragen werden. Deshalb hat man entschieden, sich mit Sotschi für die Winterspiele zu bewerben – und im dritten Anlauf hat es dann geklappt.
Und jetzt danken es die Russen mit einem riesigen Dopingskandal.

Es gibt schwerwiegende Anschuldigungen. Die beteiligten Sportverbände müssen jetzt aufklären, aber auch sicherstellen, dass sich die Beschuldigten verteidigen können. Die Ethikkommission des Internationalen Leichtathletik-Verbands und die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada führen das Verfahren. Ich hoffe, dass man schnell und klar zu Resultaten und Entscheidungen kommt.

Ist das Reformpaket auch eine Antwort auf die wachsende Kritik an internationalen Großveranstaltungen, deren Konditionen und deren Vergabe-Modalitäten?
Nein, die Grundzüge dieser Agenda stehen schon in meinem Wahlprogramm zum IOC-Präsidenten vom Juni 2013.
Die Kritik gibt es schon seit Jahren.
Lassen wir das mal dahingestellt. Die Agenda beruht schlichtweg auf der Erkenntnis, dass sich die Gesellschaft ändert. Wir leben in einer Welt, die so fragil ist wie nie zuvor. Menschen, die in einer gewissen Unsicherheit leben, stellen mehr und andere Fragen. Darauf gibt die Agenda eine Antwort.
Welche Art von Unsicherheit meinen Sie?
Gesellschaftliche, politische und soziale Unsicherheit. Die Menschen haben mit dem Umbruch ins digitale Zeitalter zu tun, sie erleben eine Weltwirtschaftskrise, politische Krisen, Gesundheitskrisen. Es gibt Bürgerkriege, Terrorismus. Das alles zusammen macht die Menschen erkennbar unsicher.
Das IOC als universaler Problemlöser?
Das sicher nicht. Aber die Botschaften, die mit dem olympischen Sport verbunden werden, sind in solchen politisch krisenhaften Situationen wichtiger denn je.
Welche Botschaften meinen Sie damit konkret?
Dass man miteinander in einen Wettbewerb eintreten kann, mit friedlichen Mitteln, mit den gleichen Regeln. Dass Voraussetzung jedes Verständnisses und jeder Gemeinsamkeit der Dialog ist, der auf gegenseitigem Respekt beruht. Und dass es möglich ist, gleiches Recht weltweit für alle Menschen durchzusetzen – so wie es im Sport üblich ist. Es ist so, wie es UN-Generalsekretär Ban Ki Moon formuliert hat: Die olympischen Prinzipien sind die Prinzipien der Vereinten Nationen. Die UN und das IOC sind ein Team, das diesen Werten zur Durchsetzung verhelfen will.
Jetzt ist der Sport doch wieder politisch.
Alles in der Welt ist irgendwie auch politisch. Das sind aber in erster Linie humanitäre Botschaften. Und um ihnen zur Durchsetzung zu verhelfen, müssen wir uns politischen Gegebenheiten stellen – ohne unsere Neutralität zu beschädigen.
Das IOC ist primär unpolitisch?
Nein, wir sind politisch neutral, aber nicht apolitisch. Diese Linie müssen wir ziehen, um zwischen den Mühlsteinen der Politik nicht zerrieben zu werden.
Das IOC-Reformpaket soll auch die Balance zwischen Aufwand und Nutzen der Olympischen Spiele wiederherstellen.
Nein, die zentralen Punkte sind andere. Wir wollen Fortschritte in der Sicherung der Einzigartigkeit der Olympischen Spiele erzielen, ebenso bei der Verbreitung der mit den Spielen verbundenen Werte. Und wir wollen den Sport in der Gesellschaft weiter stärken.
Das scheint auch nötig zu sein. Die Bewerber für Olympische Spiele stehen nicht gerade Schlange.
Es gibt diese Situation bei den Winterspielen 2022. Das ist aber nicht ungewöhnlich, weil für Winterspiele schon aus geografischen Gründen nicht so viele Orte infrage kommen. Auch als wir mit München für die Winterspiele 2018 angetreten sind, gab es nur drei Bewerber. Und ich erinnere mich nicht, dass sich hierzulande jemand darüber beschwert hat (lächelt). Was wir jetzt dagegen sehen, ist das große Interesse an den Sommerspielen 2024. Nichtsdestotrotz: Die hohen Kosten schrecken viele Länder ab. Das operative Budget von Olympischen Spielen wirft auch aufgrund der hohen Zuschüsse durch das IOC regelmäßig Gewinne ab. Die langfristig wirkenden Investitionen zur Verbesserung von Wohnungsbau, Verkehr und Infrastruktur können nicht in zwei Wochen Olympischer Spiele auf null abgeschrieben werden. Es geht vor allem um Nachhaltigkeit. Die Nachnutzun g von Infrastrukturmaßnahmen jeglicher Art wird schwieriger . . .
. . . weil es weltweit deutlich mehr taugliche Sportstätten als früher gibt?
Nehmen Sie eine Olympiastadt. Da hieß es bisher, man wolle die Struktur mit Tourismus, großen Kongressen und Sportveranstaltungen weiter beleben und die Nachnutzung sichern. Aber das Angebot an solchen Zentren ist unvergleichlich größer geworden. Deshalb müssen wir umdenken.
Was bedeutet?
Heute müssen wir die Bewerberstadt fragen, wie die mit Olympischen Spielen verbundenen Infrastrukturmaßnahmen in ihr langfristiges Nutzungskonzept passen. Wenn für die eine oder andere Sportstätte keine vernünftige Nachnutzung da ist, dann werden wir temporäre oder wiederaufbaubare Sportstätten bevorzugen und im Einzelfall unter bestimmten Bedingungen erlauben, dass eine Disziplin oder Vorrunde außerhalb der Stadt des Bewerbers stattfindet.
Die Einheit von Raum, Zeit und Handlung ist aber ein Alleinstellungsmerkmal der Olympischen Spiele.
Das wird auch so bleiben. Wir dürfen nicht unsere Philosophie gefährden. Das Faszinosum der Olympischen Spiele ist doch, dass die Athleten aller Sportarten aus der ganzen Welt unter einem Dach im olympischen Dorf wohnen. Ausnahmen wird es nur unter klar definierten Bedingungen und mit Genehmigung der IOC-Exekutive geben.
Die Bayern werden sich ärgern. Das Reformpaket kommt für die Bewerbung Münchens zu spät. Womöglich wären die Bürger den Olympischen Winterspielen 2018 dann positiver gesonnen gewesen.
Ich habe schon damals gesagt, dass es vielleicht der eine oder andere noch bereuen wird. Aber das ist im Wortsinn Schnee von gestern.
Der Vertrag mit der ausrichtenden Olympiastadt soll künftig offengelegt werden. Was bleibt dennoch geheim?
Wir können zum Beispiel nicht Passagen offenlegen, die Belange der Sicherheit berühren.
Und was steht zum Thema Steuerbefreiung für das IOC in den Verträgen?
Das ist eine Frage von linke Tasche, rechte Tasche.
Das müssen Sie bitte erklären.
Das IOC stellt für die Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro 1,5 Milliarden US-Dollar zur Verfügung. Wenn das Brasilien vorab über die Steuer abschöpfen würde, könnte es nicht verteilt werden. Außerdem sind die Einnahmen des IOC vom Gastgeberland weitestgehend unabhängig. Sie speisen sich zu 80 bis 90 Prozent aus den Fernsehrechten, die längst vergeben sind, bevor über die Ausrichterstadt entschieden wird. Im Vergleich zu anderen sportlichen Großveranstaltungen geben wir ein Mehrfaches an das Gastgeberland und an den internationalen Sport zurück – auch an den Deutschen Olympischen Sportbund.
Anders als der Weltfußball-Verband Fifa.
Das haben Sie gesagt. Ich nenne keine Einzelfälle.
Die Bewerbungen Hamburgs und Berlins für die Olympischen Sommerspiele 2024 sind mit 50 Millionen Euro kalkuliert. Geht das nicht auch günstiger?
Wenn Sie mit jemand aus der Wirtschaft reden, wird er bestätigen, dass dies sehr akzeptabel ist, wenn dieses Projekt mehrere Milliarden an Investitionen und eine Verbesserung der Infrastruktur bringt.
Das IOC will sich künftig an den Kosten für eine Bewerbung beteiligen.
Wir wollen deutlich machen, welche Kosten tatsächlich auf Initiative des IOC anfallen, und sind dann auch bereit, sie mit zu übernehmen. Wir mieten beispielsweise die Hotels und Räume für den Besuch der IOC-Evaluierungskommission selber an. Für die Präsentation einer Bewerbung reichen nach unseren Anforderungen sechs Delegierte – die Kosten dafür übernehmen wir. Wenn aber eine Stadt meint, sie muss mit 250 Personen anreisen, dann muss das auch auf ihre Kosten gehen.
Welchen Nutzen hat Deutschland, wenn es sich um die Olympischen Sommerspiele 2024 bewirbt?
Das Land könnte sich mal wieder hinter ein Zukunftsprojekt stellen, das enorme Vorteile in der internationalen Darstellung bringt. Das hat man bei der Fußball-WM 2006 gesehen. Da hätte man laut Stiftung Warentest ein paar Monate zuvor noch wegen angeblicher Sicherheitsmängel ein paar Stadien stilllegen sollen. Danach waren alle hellauf begeistert. Ein olympisches Projekt verbessert die Infrastruktur, zum Beispiel den Nahverkehr oder die Digitalisierung. Man könnte sich als eine der führenden Nationen präsentieren in Bereichen der Umwelt- und Energietechnik, der Nachhaltigkeit, der Gesundheit. Und es wäre ein riesiger Schub für den Leistungssport. Olympische Spiele sind ein sportliches, ein wirtschaftliches, aber auch ein mentales Konjunkturprogramm. Olympische Spiele sind die größte Bühne, die uns die Welt zu bieten hat.
Die Deutschen sind gegenüber Großprojekten misstrauisch geworden. Nehmen Sie Stuttgart 21, den Berliner Flughafen, die Hamburger Elbphilharmonie.
Aber genau darum geht es. Mit der ängstlichen Haltung, das kriegen wir sowieso nicht hin, propagieren wir den Stillstand. Wir brauchen wieder mehr Mut, Optimismus und Zuversicht. Wir müssen uns was zutrauen.