Zur Vorbereitung des Theaterabends gehört auch der spielerische Umgang mit den Themen Flucht und Emotionen. Foto: Sabine Schwieder

In Hohenheim und Sillenbuch proben derzeit Schüler und junge Flüchtlinge für einen gemeinsamen Theaterabend mit Texten aus „Leonce und Lena“. Die Vorführung ist am 18. Juni.

Hohenheim - Theaterproben zu organisieren, ist eine Herkulesarbeit. Im Fall eines gemeinsamen Projekts des Paracelsus-Gymnasiums Hohenheim und des Geschwister-Scholl-Gymnasiums Sillenbuch mit Bewohnern des Flüchtlingsheims „Im Wolfer“ tauchten allerdings ungeahnte Schwierigkeiten auf. Die Beteiligten ließen sich aber nicht entmutigen und werden die Ergebnisse ihrer Arbeit am Samstag, 18. Juni, 19 Uhr, in der Plieninger Zehntscheuer unter dem Titel „Theater für eine bessere Welt“ präsentieren.

Die Theaterpädagogin Judith Ellinger, die seit September an der Schule Französisch und Musik unterrichtet, hatte die Idee zu dieser Kooperation. Sie holte sich finanzielle Unterstützung durch den Elternbeirat und den Bezirksbeirat Plieningen und Birkach. Private Spender steuerten noch Geld bei. Als Fachmann für die Arbeit mit jugendlichen Migranten stieß der Theaterpädagoge Otto Seitz dazu, der Georg Büchners Lustspiel „Leonce und Lena“ im Gepäck hatte. Zur besseren Verständlichkeit erfand er zwei Erzählerfiguren, hinzu: einen Zauberer und eine Märchenerzählerin. Judith Ellinger begann derweil, mit den Schülerinnen ihres Kurses „Literatur und Theater“ Ideen für einen Theaterabend zu sammeln.

Gearbeitet wird körperlich und räumlich

Der gleichnamige Kurs am Geschwister-Scholl-Gymnasium wählte unter Leitung von Stefan Hauck einige Gedichte der Exilliteratur aus. Die Beispiele reichen von Heinrich Heine und Nikolaus Lenau bis zu zeitgenössischen Schriftstellern. Darunter sind die in der Türkei geborene und in Bayern lebende Alev Tekinay sowie die spanische Schriftstellerin Conchita Hernando, die sich mit dem Thema „Gastarbeiter in der zweiten Generation“ beschäftigt hat. „Wir arbeiten mehr körperlich und räumlich, mit Bildern und Wortteilen“, beschreibt Stefan Hauck, wie die Schülerinnen und Schüler seines Kurses die Lyrik auf der Bühne verdeutlichen wollen.

An den abiturvorbereitenden Kursen der beiden Schulen sind auch Schülerinnen und Schüler des Königin-Charlotte-Gymnasiums in Möhringen beteiligt. Eine sprachkundige Schülerin half darüber hinaus, den Bewohnern der Unterkunft „Im Wolfer“ das Projekt vorzustellen. Es bestand auch durchaus Interesse, doch die Zahl und Zusammensetzung der Gruppe wechselt immer wieder. Keine leichte Aufgabe für die Organisatoren, die dankbar für die Unterstützung des Schauspieler-Ehepaares Dominik und Anna Führinger sind.

Integration trotz Sprachbarrieren

Die beiden stellen die Schnittstelle zwischen Heim und Schule dar, was im Konkreten auch bedeuten kann, die jungen Männer, die meist um die 20 sind, an Termine zu erinnern, sie abzuholen und vor allem bei den Proben immer dafür zu sorgen, dass die Gäste trotz der Sprachschwierigkeiten integriert sind. Dominik Führer hat einen guten Draht zu den jungen Männern aufgebaut. Während der Probe übersetzt er leise auf Englisch und lädt sie immer wieder dazu ein, sich spielerisch zu beteiligen.

Das funktioniert auch recht gut. Natürlich geht es dabei weniger um konkreten Text als um Emotionen, die für die Zuschauer sichtbar transportiert werden müssen. „Auf Eins bewegt Ihr Euch in Zeitlupe, auf fünf in allergrößter Hektik“, ordnet Judith Ellinger an, und die Gruppe bewegt sich auf Kommando durch den Raum. Eine Möglichkeit, sich spielerisch mit dem Thema Flucht auseinanderzusetzen. Geflüchtet wird ja aus vielerlei Gründen: aus Spaß beim um die Wette Laufen oder vor Schreck beim Anblick einer Spinne. Die Jugendlichen üben dabei, die Anweisungen so umsetzen, dass auch die sprachunkundigen Mitspieler verstehen, worum es geht.

Büchner war selbst auf der Flucht

Doch wie kommt Büchners „Leonce und Lena“ ins Spiel, das in der kurzen Zeit der Probenphase natürlich nicht wortgetreu auf die Bühne gebracht werden kann? Otto Seitz hat dafür eine schön illustrierte Bilderbuchversion mitgebracht, aus der einzelne Textbausteine genommen werden. „Georg Büchner war ja selbst auf der Flucht“, erläutert der Theaterpädagoge die Stückauswahl: der Revolutionär und Schriftsteller des Vormärz musste über Straßburg nach Zürich fliehen.

Sein 1836 entstandenes Lustspiel „Leonce und Lena“ ist die Geschichte zweier Königskinder, die heiraten sollen und einander bei der Flucht vor dem jeweils anderen begegnen. „Es geht aber auch um das Thema Langeweile“, erzählt Otto Seitz: Leonce ist ein reicher Müßiggänger, der sich die Zeit damit vertreibt, auf Steine zu spucken und Sand in die Luft zu werfen. Langeweile ist den Flüchtlingen aus Gambia, Somalia oder Syrien vertraut. Zum Teil warten sie seit zwei Jahren auf eine Entscheidung über ihre Zukunft. Die beteiligten Schüler dagegen sind in der Abiturvorbereitung und stehen zeitlich oft sehr unter Druck. Das passt nicht immer zusammen.

Fastenmonat bringt ungeahnte Schwierigkeiten

Am Schluss von Büchners Verwechslungskomödie heiraten die beiden Protagonisten doch noch. Otto Seitz hält es aber für entscheidender, dass der Prinz und die Prinzessin Ideen für eine bessere Welt entwickeln. Sie wollen ein Dekret erlassen, dass „jeder, der sich rühmt, sein Brot im Schweiße seines Angesichts zu essen, für verrückt und der menschlichen Gesellschaft gefährlich erklärt wird“. Und dann, so heißt es bei Büchner, „legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um Makkaroni, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, klassische Leiber und eine commode Religion!“

Genau in dieser Frage sind die Theaterleute des Gemeinschaftsprojekts allerdings an ihre Grenzen gestoßen: Noch während die Proben laufen, beginnt der islamische Fastenmonat Ramadan. Einige der jungen Männer sind vom Fasten, das nicht nur Verzicht auf Essen, sondern auch auf Getränke beinhaltet, zu müde, um bei den Proben mitzuhalten. Und ein gemeinsames Essen, das während des Wochenend-Workshops als verbindendes Element unter den insgesamt etwa 50 Teilnehmern gedacht war, muss wohl auf die späten Abendstunden verschoben werden: wenn die Sonne untergegangen ist und wieder gegessen werden darf. Theater unter diesen Bedingungen erfordert eine organisatorische Höchstleistung. Aber wert ist es die Mühe auf alle Fälle.

Aufführung in der Zehntscheuer:

Der gemeinsame Abend in der Plieninger Zehntscheuer, Mönchhof 7, beginnt am 18. Juni um 19 Uhr mit Theateraktionen und Getränken. Von 20 Uhr an wird eine Theatercollage gezeigt, die Texte aus Georg Büchners Drama „Leonce und Lena“ sowie eine Auswahl an Exilgedichten vorstellt. Der Eintritt ist frei, Karten können unter theaterprojekt2016@gmx.de oder der Rufnummer 45 999 46 reserviert werden.