Groteske aus Reims: Mit dem französischen Gastspiel „La Baraque“ endete am Sonntagabend das Internationale Theaterfestival „Terrorisms“ im Schauspiel Stuttgart Foto: Pascal Gely

Am Sonntagabend ist im Schauspiel Stuttgart das Festival „Terrorisms“ zu Ende gegangen. Gastspiele, Diskussionen, Lesungen und Vorträge illustrierten die These, Terrorismus existiere heute in unterschiedlichsten, ja gegensätzlichen Formen.

„La Baraque“ aus Reims

Draußen ist Krieg. Drinnen erstarrt das Personal. Bomben detonieren, Glasscheiben splittern, Nebelschwaden dringen auf die Bühne, und dann bestellt der Bote, der die jämmerliche Behausung der Bombenbauer betritt, drei Millionen Gasmasken auf Rechnung des Gesundheitsministeriums. Auf die theatrale Spitze getrieben hat das Ensemble von „La Comédie de Reims“ in seinem Festivalbeitrag von Aiat Fayez die absurde Idee, in welchen Strudel Menschen gezogen werden können, die mit Sprengstoff experimentieren. Was als lokale persönliche Racheaktion gegen eine Schuhfabrik gedacht war, nimmt terroristische Dimensionen mit globaler Beteiligung an.

Es ist ein langweilendes Elendsleben, das die Protagonisten Grand und Petit in ihrer mit Sofa, Kühlschrank und Tischchen ausgestatteten Bude führen. Ein Leben wie aus dem Sozialbericht – die Ausstatterin Cécile Kretschmar hat den beiden symbolhaft kleine Tier-Öhrchen verpasst. Bald schon taucht einer der beiden humpelnd und mit weißer Kopfvermummung auf – der Kumpel hat ihn im Kiffwahn aus dem Fenster geschubst.

Tiermasken tragen auch die übrigen Darsteller, die Wind von dem Attentat bekommen haben und jetzt mit Erpressungsmethoden Bomben für eigene Zwecke bestellen. Der Chinese kommt als Pandabär, der Vertreter eines Scheichs aus Kawristan („der einzigen Demokratie im Nahen Osten“) als Kater, ein Alleinauftraggeber als Hund. Geld fließt, viel Geld bald, und Geld ist sinnlich. Weil größere Scheine an der weichen Oberfläche der Haut stärker schmeicheln als kleine, jagen die Aufträge die Bombenbauer in ziemliche Atemlosigkeit.

Immer größere Mengen explosiven Materials werden am immer größeren Labortisch als Doppel-Detos produziert und in immer mehr Kisten verpackt. Wehe, wenn sich einer beim Mixen der Zutaten vertut: Angstvoll wie Hase rast der andere ins Zimmereck. Die böse Comedy der Franzosen in weißen Laborschutzanzügen zum Finale von „Terrorisms“ hat das Zeug zum Thriller. Dann zieht Wohlstand ein: Symbolisch wird ein schicker Kühlschrank auf die Bühne geschleppt. Statt Schlager (wie beim alten kleineren) ertönen nun beim Öffnen der Kühlschranktür Opernarien. Ein Running Gag, wann immer Bier aus dem Gerät geholt wird.

Der Chinese wird mit einer optimierten Geschäftsidee Teilhaber. Der Araber sagt, die Bomben, die er bestellt, richten sich nicht auf Frauen und Kinder, nur „auf Ungläubige“. Die einstige Mitbewohnerin von Grand und Petit prostituiert sich und schleppt immer neue Kunden an. Es ist ein grandioser Parcours macabre, den Julien Allouf, Florence Janas, Alxexandre Pallu, Tom Politano, Samuel Réhault und Julien Storini in der Regie von Ludovic Lagarde auf der Bühne vollführen. Zwei Sonderlinge, zwei Loser waren Grand und Petit. Als Marionetten des Profits treten sie aus der Namenlosigkeit und werden zu Tätern eines finalen Infernos. (bj)

„The Act of Killing“

„Febby, du hast toll gespielt. Hör auf zu weinen!“ Febby schluchzt, sie kann nicht aufhören zu weinen. Eben noch war das Mädchen im Getümmel, als eine Horde Männer in orange-schwarzen Uniformen, Fackeln und Stöcke schwingend, ein Dorf in Brand setzte, als sie die Einwohner mit Macheten niedermetzelten. Febby war nur Statistin einer Filmszene, doch für sie war das Szenario schrecklich real.

Für seinen Oscar-nominierten Dokumentarfilm „The Act of Killing“ (2012) begleitete der US-Regisseur Joshua Oppenheimer neun Jahre eine Gruppe indonesischer Gangster und ließ sie die grausamen Morde nachspielen, die sie 1965/66 nach dem Militärputsch unter General Suharto begingen. Nach seiner Machtergreifung ordnete dieser die „Ausrottung“ aller Mitglieder der kommunistischen Partei PKI an – ein Akt, auf den die Ausführenden bis heute stolz sind. „Niemand ist bisher dafür zur Verantwortung gezogen worden – es ist eine Gesellschaft der Schuldlosigkeit“, sagt der Düsseldorfer Medienwissenschaftler Reinhold Görling im Anschluss an die Übertragung im Kammertheater.

Mehrere Zuschauer haben zu diesem Zeitpunkt bereits den Saal verlassen – obwohl keine einzige Leiche in dem Film zu sehen ist, bestimmt ihn eine Grausamkeit , die nur schwer auszuhalten ist.

Und nur langsam findet eine Wandlung in der Haltung der Protagonisten statt. In dem Film, den Oppenheimer sie drehen lässt, nehmen sie nicht nur die Rolle der Täter, sondern auch die der Opfer ein. „Haben sich die Leute so schlimm gefühlt, wie ich mich eben gefühlt habe?“, fragt der Kleinganove Anwar Congo kindlich-naiv nach einer Folterszene. Ein verstörend-faszinierender Film, der in einem Land der anhaltend anti-kommunistischen Propaganda versucht, die Geschichte neu aufzurollen. (mm)

„Kampf der Werte“

Der Osten, der Westen. Dazwischen: Eine Grenze, eine Kluft der Weltanschauungen, Werte, Religionen. So einfach lässt die Welt sich nicht teilen – sagen Julian Nida-Rümelin und Sherko Fatah übereinstimmend. Nida-Rümelin, Professor für Philosophie in München, und Fatha, deutscher Schriftsteller mit irakischen Wurzeln, diskutierten am Sonntag im Schauspielhaus den Kampf der Werte. Stefan Kister, Literaturkritiker der „Stuttgarter Zeitung“, und Rainer Pörtner moderierten.

Gibt es eine moralische Überlegenheit des Westens? Für Nida-Rümelin, einst Bundes-Staatsminister für Kultur, ist der humanistische Anspruch des Christentums historisch ebenso wenig begründbar, wie eine Verbindung zwischen Kapitalismus und Humanismus. „Geschichtsklitterung übelster Sorte“, nennt er Konstruktionen, die beides behaupten. Im Alten wie im Neuen Testament entdeckt Nida-Rümelin nicht weniger Inhalte, die in direktem Widerspruch zum Humanismus stehen, als im Koran. „Die heiligen Schriften“, sagt er, „sind allesamt nicht demokratiefähig“. Das Zurückdrängen der Religionen insgesamt in die Politik stellt für ihn das eigentliche Problem dar, gegen es anzugehen die große Aufgabe.

Sherko Fatah kennt die Länder des Nahen Ostens von vielen Reisen. „Als Kind“, sagt er, „habe ich noch einen säkularisierten Osten erlebt. Es hat sich ein Wandel vollzogen, der schwer zu verstehen ist, die Islamisierung ganzer Regionen. Aber das kann auch wieder verschwinden.“ Jedoch verspielt der Westen aktuell seine moralische Glaubwürdigkeit: „Drohnenangriffe“, sagt er, „nehmen sich für die Menschen am Boden aus wie gezielte staatliche Mordaktionen.“ (mora)